Düsseldorf/Neuss Der Mann, der Mircos Mörder verteidigte

Düsseldorf · Rechtsanwalt Gert Meister steht vor Gericht neben Messerstechern und Kinderschändern. Doch warum eigentlich?

 Die Urteilverkündigung im Mirco-Prozess vor dem Landgericht Krefeld: Gert Meister steht vor seinem Mandanten. Der Spruch lautete auf lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld.

Die Urteilverkündigung im Mirco-Prozess vor dem Landgericht Krefeld: Gert Meister steht vor seinem Mandanten. Der Spruch lautete auf lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld.

Foto: Lammertz, Thomas

Gert Meister sitzt in seiner Küche, er kommt gerade aus dem Düsseldorfer Landgericht, der Kaffee ist fertig, da wird er hypothetisch. Das liegt ihm, Juristen neigen zu Gedankenspielen, die sind sie gewohnt.

Nehmen wir also einmal an, Olaf H., der Mörder von Mirco S., dem Jungen aus Grefrath, hätte bei seiner Vernehmung durch die Polizei geschwiegen. Nehmen wir also weiter an, Olaf H. hätte im Prozess gesagt, dass er Mirco auf der Straße angefahren und Panik bekommen hätte, weil der Junge auf dem Weg zum Krankenhaus in seinem Auto gestorben wäre. Und Olaf H. hätte behauptet, Mirco in ein Waldstück gelegt und dann alles verdrängt zu haben.

"Drei Jahre", sagt Meister, "mehr nicht." Niemand hätte H. beweisen können, dass es anders war. "Wahrscheinlich hätte H. immer noch seine Familie, weil solch ein Verhalten bei aller Verwerflichkeit ja nachvollziehbar gewesen wäre." Entschuldbar gar. Doch H. gestand die Tat, den Missbrauch, den Mord. Das Landgericht entschied auf lebenslänglich und stellte die besondere Schwere der Schuld fest.

Ein Nicht-Jurist könnte jetzt einwenden, dass dieses Urteil ja auf den Fakten beruhe, dass es vielleicht ganz gut war, dass Olaf H. damals ausgesagt hat. Gert Meister macht eine längere Pause. "Das kann schon sein", sagt er.

Er raucht zu viel, Selbsgedrehte. Eigentlich sollte er aufhören, meint Meister. In Verhandlungspausen eilt er oft nach draußen, um die Nikotinsucht zu befriedigen. Meister ist klein und schmächtig. Manchmal, wenn es eine harte Verhandlung ist, sieht Meister aus, als ziehe die Zigarette an ihm.

Man ist schnell in einem moralischen Dilemma, wenn man mit Gert Meister redet. Meister sagt, seine Aufgabe sei es, seinen Mandanten bestmöglich zu verteidigen, was er nach allem was man so hört, auch macht. Auch jemanden, der nachweislich furchtbare Taten begangen hat. Meister hat seine Rechtfertigung dafür. Er sagt, dass er nicht nur für seinen Mandanten arbeite, sondern auch für das Prinzip des Rechtsstaats, "der ja ein Wert an sich ist."

Nun könnte man wieder hypothetisch werden. Wenn also jemand freigesprochen wird, jemand wie Olaf H., und dann wieder ein Kind ermordet, könnte er dann noch schlafen? "Ich weiß es nicht", sagt Meister. "Wenn ich wüsste, dass von jemandem weiterhin eine Gefahr ausginge, würde ich wohl das Mandat niederlegen." Zum Glück sei das noch nie vorgekommen. Allerdings habe er auch schon Mandanten aus der Rockerszene gehabt. "Da wollte ich es auch nicht so genau wissen", sagt er. Es fällt Meister nicht leicht, seinen Job moralisch zu rechtfertigen.

Er hat Zweifel. Das unterscheidet ihn von vielen seines Berufsstandes. Der Fall Mirco hat ihn mitgenommen. Damals wurde er bedroht, weil er so jemanden verteidige, schrieben die Leute. Bis heute bekommt er noch Mails von einem, der vorgibt, ein Tatbeteiligter zu sein. Doch vor allem nahm ihn dieser Fall mit, weil er sein Bild von dem Angeklagten nicht mit dessen Tat in Einklang bringen konnte. "Freundlich, intelligent, ein liebevoller Vater und Ehemann" sei Olaf H. gewesen. Warum er letztlich Mirco ermordete, wird man wohl nie erfahren. Er wehrt sich weiterhin gegen jede psychologische Betreuung und Therapie. Meister versucht Distanz zu halten, wenn er Mörder verteidigt, Pädophile, Zuhälter. Distanz ist wichtig für einen Anwalt, sagt er. Es gelingt ihm nicht immer, die zu halten.

So kann Meister sich auch über die U-Haftbedingungen in Deutschland aufregen. Viel zu lang, viel zu schnell werden die Leute weggesperrt in Deutschland. Einmal habe er einen Mandanten gehabt, der ein halbes Jahr lang in U-Haft saß, freigesprochen wurde, und dessen Leben trotzdem kaputt war. Zweimal seien Mandanten von ihm in den vergangenen 25 Jahren geflüchtet. Er plädiert stattdessen für Fußfesseln. Oder die Strafen für Insolvenzverschleppung. Er hatte einen Mandanten, der sein ganzes Privatvermögen in seine Firma pumpte, der Richter hingegen ging davon aus, dass man die wirtschaftliche Ausweglosigkeit hätte erkennen müssen. Der Mann war Reiseunternehmer, dann kam die Vogelgrippe. Er bekam drei Jahre.

Es gibt viele Fälle, die Meister mit sich rumträgt. Zuletzt verteidigte er den Mann, der im Jobcenter Neuss seine Sachbearbeiterin ermordete. Anders als bei Mirco, macht er hier auch den ermittelnden Beamten einen Vorwurf. Sein Mandant sei nicht richtig aufgeklärt worden, Meister bekam vor Gericht Recht, Teile der Vernehmung durften vor Gericht nicht verwendet werden. Trotzdem lautete das Urteil lebenslang. Man könnte meinen, es ärgere ihn, den Prozess verloren zu haben. Das tut es aber nicht: Gewinner gibt es in Mordprozessen eigentlich nie.

(sap/EW/pst)
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