Menschen des Jahres 2013 in Düsseldorf Der letzte Autofahrer auf dem Tausendfüßler

Düsseldorf · Der 24. Februar war für Zehntausende Düsseldorfer ein besonderer Tag: Vor dem Abriss konnte jeder Abschied nehmen von der denkmalgeschützten Hochstraße, die fünf Jahrzehnte lang mitten durch Düsseldorfs Innenstadt verlief und auch die Bürger in zwei Lager teilte.

Der Taximann und seine letzte Fahrt über den Tausendfüßler
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Für die einen war der anstehende Abriss ein Grund zur Freude, weil dieser Teil der Stadt endlich neu gestaltet werden kann, für andere bedeutete er einen großen Verlust. Unter die Massen, die am Nachmittag über die für Autos gesperrte Hochstraße spazierten, mischte sich auch ein Trauerzug mit schwarz gekleideten Tausendfüßler-Fans.

Taxifahrer Jürgen Koll, der als Taximann einen Blog im Internet betreibt und sich ebenfalls zu den Anhängern der Hochstraße zählte, nahm auf ungewöhnliche Weise Abschied von jenem Asphalt, über den er — wie täglich 25 000 andere — so oft gefahren war. Sein Taxi war das letzte Auto, das in den frühen Morgenstunden vor der Sperrung über den Tausendfüßler fuhr. Mit an Bord saß Kolls Stammkundin Claudia Otto. Im Internet hatte der Taximann diese Fahrt angeboten, sie griff zu.

Eine Stunde kurvten sie über und rund um den Tausendfüßler, bis kurz nach 6 Uhr hinter ihnen tatsächlich die Absperr-Barken aufgestellt wurden. Traurig waren sie beide: Claudia Otto sah die Hochstraße als ebenso wichtiges Wahrzeichen an wie St. Lambertus. "Der Tausendfüßler ist ein Teil meiner geliebten Heimatstadt", so Taximann Koll. Auch deshalb war für ihn die letzte Fahrt am Ende jener Nachtschicht so wichtig. Eine Verbeugung vor einem Bauwerk, das ihn Jahrzehnte ohne Kreuzungen und Staus durch die Innenstadt gebracht hatte.

Es wurde ein Abschied mit der richtigen Inszenierung: Zur letzten Fahrt lief "(It's all over now) Baby Blue" von Van Morrison. Und am Ende erfüllte sich Koll noch einen Traum: Mitten auf der Abfahrtrampe an der Johanneskirche wendete er, zu "Caruso" von Julio Iglesias rauschte sein Taxi entgegen der Fahrtrichtung über die Hochstraße. Ein beeindruckender Moment.

Zehn Monate später — vom Tausendfüßler ist kein Steinchen übriggeblieben, der Tunnel, der ihn ersetzen soll, wächst — sieht Koll das differenzierter. "Als Autofahrer vermisse ich ihn immer noch." Der 59-Jährige findet aber durch den frei gewordenen Raum und das Tageslicht auch, dass die Stadt durch den Abriss gewonnen hat.

"Ich sehe es mit einem lachenden und einem weinenden Auge." Nun komme es darauf an, dass der neue Blick aufs Schauspielhaus nicht wieder zugebaut werde. "Ich habe das Gefühl, das Schauspielhaus stellt sich darauf schon ein und strahlt die Fassade besonders an." Mit dem Wunsch nach einer freien Sichtachse ist der Taximann in guter Gesellschaft: OB Elbers macht sich dafür ebenso stark wie die Düsseldorfer Jonges.

(RP)
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