Lehrer-Kolumne Bitte mehr Ausgewogenheit, Herr Bundespräsident!

Lehrer-Kolumne Bernd Kowol wünscht sich einen offenen Dialog in Schule und Politik.

 Bernd Kowol von der Montessori-Gesamtschule in Flingern. 

Bernd Kowol von der Montessori-Gesamtschule in Flingern. 

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

„Mehr Gespräch miteinander“ wünschte sich unser Bundespräsident in seiner Weihnachtsansprache, auch gerade mit Andersdenkenden. Zum sehr begrüßenswerten Plädoyer für mehr Toleranz, Kommunikation und Kompromiss als Bedingung für eine gelingende Demokratie fehlte für mich die Ausgewogenheit. Es könnte hilfreich sein, was jeder Lehrer in seiner Arbeit mit seinen Schülern zu berücksichtigen hat. Und vielleicht kann Politik von Schule lernen. Wir sind laut Schulgesetz zu einer ausgewogenen Darstellung verpflichtet, haben immer weitere Argumente, auch die der anderen Seite deutlich zu machen.

Genau diese Balance vermisse ich, wenn Steinmeier einseitig „in den sozialen Medien“ die Quelle benennt, wo „gegiftet“ wird.

Beispiele dafür finden sich leider auch in den sogenannten Qualitätsmedien: In der Welt konnte man lesen, dass ein Verständnis für AfD-Wähler nicht nur „peinlich“ ist, sondern ihr Hauptstadtautor Alan Posener diffamiert sie mit „Dummheit und Perfidie“. Er begrüßte auch die Aufnahmeverweigerung eines Kindes eines AfD-Abgeordneten durch eine Waldorfschule kurz vor Weihnachten. Vielleicht hilft die Erinnerung, dass die heutigen AfD-Wähler noch vor nicht allzu langer Zeit CDU-, SPD- usw. Wähler waren.

Christian Lindner wies mittlerweile besorgt darauf hin, dass „auf die AfD nur mit der Denunziation ihrer Wähler reagiert wird“. Der Wunsch nach Dialog und Zusammenhalt wird von Steinmeier zudem inhaltlich nicht untermauert. So werden die massenhaften Proteste der Gelbwesten in ganz Frankreich nur als „brennende Barrikaden in Paris“ dargestellt. Immerhin deutet Steinmeier an: „Auch bei uns im Lande gibt es Ungewissheit, gibt es Ängste, gibt es Wut.“ Nur in Frankreich und auch bei uns gibt es dafür wirtschaftliche und soziale Gründe, auf die Steinmeier nicht eingeht. Wie sonst kann man sich die schnelle Verbesserung des Mindestlohns und den Stopp der Steuererhöhungen durch Staatspräsident Emmanuel Macron erklären?

Nichtsdestotrotz ist Steinmeiers Appell für mehr Gesprächs- und Diskursbereitschaft sehr zu begrüßen. Die Achtung der Würde auch des Andersdenkenden ist die eine Seite. Ausgewogenheit und das Anpacken der Ursachen für Ungewissheit und Ängste die andere. Bernd Kowol

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