Sportschützengruppe der Blinden- und Sehbehinderten Der Blinde ist König

Düsseldorf (RP). Sie gehören zur Kompanie St. Martin und treffen die meisten Ringe. Einmal im Monat trainiert die Sportschützengruppe der Blinden- und Sehbehinderten an der Ubierstraße. Und auch den Wettkampf mit den Sehenden scheuen die 20 Männer und Frauen nicht.

Der Kompanie-König wird in den Schießstand geführt. Beim Laden braucht er Hilfe. Dann legt er auf, zielt ganz ruhig ­ und trifft die Zehn. Peter Joedecke weiß das, weil alle klatschen. Er selbst kann die Scheibe nicht sehen. Peter Joedecke, seit sechs Jahren aktiver Sportschütze, ist blind.

"Als ich noch gucken konnte”, erzählt der 39-Jährige, "hab‘ ich mal aus Spaß geschossen. Aber mein Sport war Basketball.” Und in einen Schützenverein hat er nie gewollt. Zehn Jahre war er, als die Ärzte sagten, dass er irgendwann erblinden würde. Zwanzig war er, als sich die Netzhaut von seinen Augen ablöste und Farben und Bilder für ihn Erinnerungen wurden. Ein gutes Gehör habe er schon immer gehabt, sagt Joedecke. "Weil ich ja von Geburt an sehbehindert war.” Nach der Erblindung schärfte sich der Hör-Sinn weiter.

Und heute wird er Schützenkönig ­ der Mann mit dem sicheren Ohr. Neben ihm steht Frank Schmitz. Im Juli hat er beim Bilker Schützenfest die Scheibe abgeschossen. Jetzt will der einstige Sportschütze, der heute vor allem des Brauchtums wegen bei den St. Sebastianern ist, zeigen, dass der Königsschuss kein Glückstreffer war. "Ob der blind ist, interessiert mich nicht,” sagt Schmitz. Für ihn ist Joedecke in erster Linie Schützenkamerad. Und im Augenblick ist er sein Gegner. (Gegen den er gleich mit 91 Ringen verlieren wird. Joedecke hat 93.)

Voriges Jahr, erinnert der Erste Chef der Bilker Schützen, Hans-Dieter Caspers, "haben uns die Kollegen von der Blinden- und Sehbehinderten Gruppe regelrecht geschlachtet.” Das war bei der Premiere zum Schießwettkampf "Ohr gegen Auge”, der nicht bloß in Düsseldorf seinesgleichen sucht. 50 Vereine hat Klaus Bierbaum angeschrieben, bevor die Bilker "einfach ja” sagten. Bierbaum, 64, ist im Blindenverein engagiert. "Wir wollen uns nicht hinterm Ofen verkriechen und Bücher in Punktschrift lesen”, sagt er. Die Klassiker im Blindensport ­ Skat und Schach ­ findet er öde. "Beim Schießen kann auch ein Blinder eine unabhängige, eigene Leistung bringen.” Möglich macht das "Optronic”, eine Zielvorrichtung, die die Zielscheibe zum Klingen bringt. Der Schütze hört über Kopfhörer den Piepton, der zur Mitte der Scheibe hin heller wird. "Ich hab das mal probiert: Nach zehn Schuss hab ich überhaupt keinen Unterschied gehört”, sagt Ulrich Müller ­ der sehende Sportwart der Bilker Schützen.

Er war‘s, der Bierbaum mit seiner spontanen Zusage überrascht hat, damals, 1999. Der Verein kaufte zwei der 450 Euro teuren Zielvorrichtungen und seither ist die Blinden-Gruppe, die der Kompanie Sr. Martin angegliedert ist, von neun auf 21 Mitglieder angewachsen. Peter Joedecke kam im Jahr 2000 dazu.

In seiner Gruppe ist er seitdem immer König geworden, wenn er zum Wettkampf angetreten ist. Regina Schmeing ist übrigens nicht "seine” Königin , sondern hat sich ihren Titel selbst erkämpft, mit 92 Ringen. Beim Duell mit der sehenden Bilker Königin Desiree Schmitz kommt sie auf 91. Desiree verteidigt mit 96 die Ehre der Sehenden. Wenn Integration überall so liefe wie bei den Bilker Schützen, sagt Chef Caspers, "wäre die Welt friedlicher.” Es geht doch allen nur um eins: "Hauptsache, die Mitte treffen ­ ob einer sieht oder nicht, das ist doch egal.” Bloß einen Unterschied gibt‘s: Bei der Siegerehrung machen die Sehenden Fotos. Und Klaus Bierbaum einen Mitschnitt auf einem digitalen Tonbandgerät.

WEITERE INFORMATIONEN:

Optronic:
Es sieht fast aus wie ein gewöhnliches Zielfernrohr ­ bis auf die Buchse für den Kopfhörer. Innen drin ist statt Okular und Fadenkreuz eine Fotozelle, die einfallendes Licht in einen Summton verwandelt. Je heller die Farbe, desto heller der Ton. Ring 9 und 10 haben die selbe Farbe und somit auch den selben Ton.

Ansprechpartner:
Klaus Bierbaum, Blindenverein Düsseldorf eV, Telefon 0211-298665 Gunnar Frisch, Betreuer Blindenschießsport bei St. Sebastianus Schützenverein Bilk, Telefon 0211-3179024

(Rheinische Post)
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