Viele Lehrbeauftragte leben auf Hartz-IV-Niveau Der Betteldozent

Düsseldorf · Viele Lehrbeauftragte und Privatdozenten leben auf Hartz-IV-Niveau. Sie bekommen wenig bis gar nichts für ihre Arbeit. Zwei Dozenten brechen das Schweigen über den "Trend zur Billiglehre" an deutschen Hochschulen.

 Viele Dozenten leben auf Hartz-IV-Niveau.

Viele Dozenten leben auf Hartz-IV-Niveau.

Foto: RP (Werner Gabriel)

Düsseldorf Johannes Roskothen (48) war beliebt bei Studenten, weil er sich viel Zeit genommen hat. Er besprach Hausarbeiten gründlich und prüfte 168 Germanisten an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität. Was viele der Studenten nicht wussten: Er tat das unentgeltlich. Für manche Lehraufträge gab es weniger als 20 Euro pro Stunde, für andere nichts und auch für die Prüfungen nichts. Roskothen war auf die Hilfe seiner Mutter angewiesen. Als Professor. Seine Situation "ist leider die Regel", gesteht Erhard Reckwitz, Dekan der Geisteswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen.

Roskothen trägt den akademischen Titel "außerplanmäßiger Professor". Nach der Habilitation wurde er zum Privatdozenten ernannt, der prüfen darf und muss. Schon nach einer Woche meldeten sich 20 Studenten an. Er sagte nie "Nein", weil ihm die Arbeit Spaß machte. Rechtlich stehen Privatdozent aber in keinem Dienstverhältnis. Roskothen bewarb sich wie viele erfolglos auf Professorenstellen. Nach fünf Jahren Forschen, Lehren und Prüfen erhielt er den Status "außerplanmäßiger Professor". Ein Titel, "für den ich mir nichts kaufen kann", sagt er. Denn es gelten dieselben Regeln wie für Privatdozenten: Sie müssen pro Semester mindestens ein Seminar leiten, um die Lehrerlaubnis zu behalten.

Hochschulen nutzen diese Verpflichtung zur Lehre aus. Sie zahlen dem hochqualifizierten Nachwuchs wenig bis gar nichts. Dabei sind sie von den billig Arbeitenden abhängig. "Ohne Privatdozenten und Lehrbeauftragte könnten wir nicht auskommen", sagt Dekan Reckwitz von der Uni Duisburg-Essen. Bei ihm in den Geisteswissenschaften bestreiten die Nebenamtler 25 Prozent der Lehre. Die Philosophische Fakultät Düsseldorf führt nach eigenen Angaben keine Statistik. Dekan Ulrich von Alemann sagt: "Natürlich gibt es Probleme", aber die meisten Lehrbeauftragten stünden im Beruf und kämen ergänzend in die Uni.

Ein Lehrauftrag sei in der Tat einmal als Zusatzjob gedacht gewesen, sagt Torsten Bultmann, Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Inzwischen aber seien viele Lehrbeauftragte und Privatdozenten reine Wissensarbeiter, die für eine Karriere außerhalb der Hochschule überqualifiziert und zu alt seien. "Sie wurden über den Bedarf der Hochschulen hinaus ausgebildet", bemängelt Reckwitz.

Bereits einmal hat es einen Streik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München gegeben. Im Sommer 2006 weigerten sich junge Lehrbeauftragte und ältere Privatdozenten der Ethnologie und Afrikanistik, ihre Lehraufträge anzunehmen. Sie sollten nur neun Euro je Lehrstunde - die Vorbereitung und Sprechstunden nicht inbegriffen- erhalten. Der Protest blieb wirkungslos.

In der Regel schweigen die Betroffenen. Wer in Ungnade fällt, ist raus aus dem Rennen um eine hauptamtliche Stelle. Bestes Beispiel: die Historikerin Sabine Todt (39). In der Sendung "Monitor" am 1. März hatte sie mutig zugegeben, wie schwierig es sei, sich gegen Ausbeutung an der Hochschule zu wehren. "Weil man die Festanstellung möchte, ist man in einer totalen Zwickmühle", sagte sie. Kurz nach der Sendung entzog ihr die Universität Hamburg den Lehrauftrag. "Er wurde nicht entzogen, sondern nicht erteilt", erklärt Viola Griehl von der Uni Hamburg. Mehr sagt sie nicht.

Rund 57000 Lehrbeauftragte gibt es derzeit in Deutschland. Tendenz steigend. Eine Statistik über Privatdozenten existiert nur in Berlin. Dort sind es bereits mehr als 700. Die Zahlen des Wissenschaftsrates zeigen eine Tendenzen auf: Seit Beginn der 90er Jahre stagniert die Zahl der Professorenstellen, während der akademische Mittelbau in Deutschland um rund zehn Prozent und die Lehrbeauftragten um mehr als 30 Prozent aufgestockt wurden. Einen "Trend zur Billiglehre" nennt das Torsten Bultmann.

Die vielen Betroffenen, die er ein "akademisches Proletariat" nennt, hoffen im Stillen weiter auf den Tag, der eine angemessene Bezahlung bringt. Vernetzt sind sie nicht, jeder erlebt das Dilemma als Einzelkämpfer. Johannes Roskothen hat davor kapituliert. Schweren Herzens sagte er den Studenten: "Ich tu's nicht mehr". Jetzt arbeitet er in Berlin in Teilzeit für eine Bundestagsabgeordnete.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort