Düsseldorf Der Barbier von Stadtmitte
Düsseldorf · Shamsedin "Hagi" Rada führt an der Graf-Adolf-Straße einen Laden, der wie eine Mischung aus 50er-Jahre-Bar und Saloon wirkt. Auch sonst hat der Barber Shop nicht viel mit gewöhnlichen Friseurläden gemeinsam.
Angeblich lassen immer noch die meisten deutschen Frauen kein gutes Haar an nicht oder (noch schlimmer!) schlecht rasierten Männern. Egal, ob am Kinn oder in anderen, nicht jedem sichtbaren Regionen des Körpers - was von Natur aus wuchert oder sprießt, mal dicht oder zaghaft, soll weg. Glatt wie der Popo eines Säuglings haben Gesicht, Rücken und Brust zu sein, nichts darf stoppeln, kratzen oder kitzeln. Heißt es.
In Hagi's Barber Shop an der Graf-Adolf-Straße glaubt daran keiner. Wer dort arbeitet oder als Kunde auftaucht, trägt am Kinn mindestens den Bewuchs von sechs Tagen, sehr oft deutlich mehr. Im Hagi's werden Haare geschnitten und Bärte gestutzt oder gebürstet, gekämmt und gewaschen, mit wohlriechenden Essenzen behandelt, wie ein Schmuckstück in Form gebracht und gehalten. Und zwar von Barbieren, darauf legt man Wert.
Mischung aus Bar und Saloon
Hagi's erinnert kaum an altbekannte Friseurläden. Kein kühles, glattes Design mit Stahl, Kunststoff und Glas, sondern alte Ledermöbel, Fotos berühmter Bartträger an den Wänden, eine Theke (auf der ein iMac steht!), Holzvertäfelung kombiniert mit Fliesen, topfförmige Lampenschirme. Eher eine Mischung aus stylisher Bar der 1950er-Jahre und Western-Saloon, nostalgisch und schick, gemütlich und ein bisschen chaotisch. Vollbartträger und Scotch-Trinker Hemingway wäre begeistert gewesen: Verschiedene Whisky- und Rumsorten warten auf einer Anrichte neben einer alten Kasse, die Zerstäuber der Barbiere sind umgenutzte Jack-Daniels-Flaschen. Acht Männer kümmern sich um die Kunden - und jeder von ihnen könnte in einer Werbung für Geländewagen, Trekkingtouren, schottischen Malt oder herbe Düfte auftreten. Wenn es ein Klischee des echten Kerls gibt: Im Hagi's ist es live zu bewundern. Alle sind uniform gekleidet: helles Hemd, lässige Hose, kniekurze Schürze aus einem deftigen Stoff mit Taschen fürs Werkzeug.
Babylonisches Sprachgewirr
Schwer vorstellbar, dass einer von denen seinen Körper komplett enthaart. Natürlich tragen alle Bart. Allerdings unterschiedlicher Länge. Der eine hat dazu eine Art Cowboyhut auf dem Kopf, daneben schnibbelt einer mit Wollmütze, einer bevorzugt es barhäuptig mit Schnäuz und Undercut, und der nächste hat ein rotes Armeebarett auf dem Kopf - das ist der Chef: Shamsedin "Hagi" Rada (52). Gerade rasiert er seinem (bärtigen!) Kunden einen breiten Scheitel ins dichte Haupthaar ("straight edge razor parting"). Zusammen mit seinen beiden Söhnen Seaver (25) und Ahmed (22) managt Hagi den Laden, der Kollege neben ihm ist Hussein, sein Schwager. Hagi ist Kurde und stammt aus dem Norden des Irak, Hussein ist Turkmene, einer der Kollegen stammt aus der Türkei, und auch ein Italiener gehört zum Team. Babylonisches Sprachgewirr also: Die Familie spricht kurdisch, manchmal turkmenisch und türkisch untereinander. Deutsch können alle nahezu perfekt, ansonsten ist auch Englisch oder Italienisch kein Problem - und über allem liegt eine locker-entspannte Stimmung. Kleine Jungs tollen umher, wer mag, trinkt einen Kaffee.
In einer Ecke sitzen, sozusagen als Kontrastprogramm, drei junge Frauen, jede im weißen, langen Brautkleid und mit prunkvollem Diadem auf dem Kopf: In der (deutlich kleineren) Frauenabteilung des Hagi's gibt es diesen speziellen Service für die Damen an ihrem Hochzeitstag - ein finales Make-up mit Hairdressing, sozusagen. Dazu das übliche Programm: Waschen, schneiden, färben - alles das, was von ihr so verlangt wird.
Handwerker mit Messer, Klinge und Wachs
Aber vor allem ist das Hagi's Männersache, und für die ist das Angebot übersichtlicher: Kein Schnickschnack, sondern es soll weg, was nicht erwünscht oder aus der Fasson gewachsen ist. Barbiere legen Wert darauf, Handwerker zu sein, also Haare zu schneiden, den natürlichen Körperbewuchs in Form zu bringen. Mehr nicht. Sie arbeiten mit Schere, Messer und Rasierklinge, manchmal auch mit Wachs. Der Aufwand ist hoch, man nimmt es haargenau mit dem, was der Kunde gern hätte. Denn Frisur und Bart gelten als Zierde des Mannes - aber nur, wenn sie gepflegt, also unter Kontrolle sind. Zauseliger Wildwuchs wie bei Fidel Castro, Wolfgang Thierse oder Fritz Teufel lässt den Jungs im Hagi's die Haare zu Berge stehen.
Ob man vom Trend hin zum Bart profitiert oder ihn mit ausgelöst hat - Seaver Rada (studiert Psychologie in Groningen, Niederlande) ist sich da nicht so sicher. Er ist jedoch überzeugt, dass Läden wie der seiner Familie aus dieser ursprünglich flüchtigen Modeerscheinung eine Art stabilem Lifestyle gemacht haben. Weil man halt nicht nur eine Frisurenmode anbietet, sondern durch das Team, den Umgang mit den Kunden und den Laden eine Art Gesamtkunstwerk in durchgestylter Optik entwickelt hat, das offenbar sehr gut ankommt. Und das nicht nur bei jenen jungen Männern, die sich Hipster nennen und mit entsprechendem Haupthaar, üppigem Bart und vermeintlich rustikaler Bekleidung ihren persönlichen Stil betonen.