Kolumne Das große Herz des Rheinländers

Düsseldorf · Wer als Norddeutscher nach Düsseldorf zieht, muss erst einmal Land und Leute kennenlernen - das gilt auch und ganz besonders für Journalisten. Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln beschleunigen diesen Prozess, fand Stefan Weigel heraus.

Man fährt niemals ganz allein. Der Neu-Düsseldorfer und stellvertretende Chefredakteur der Rheinischen Post, Stefan Weigel, vor einem Zug der Rheinbahn

Man fährt niemals ganz allein. Der Neu-Düsseldorfer und stellvertretende Chefredakteur der Rheinischen Post, Stefan Weigel, vor einem Zug der Rheinbahn

Foto: Andreas Bretz

Am Montag vergangener Woche hatte ich meinen ersten Arbeitstag als stellvertretender Chefredakteur der Rheinischen Post. Bis jetzt habe ich in Hamburg gelebt und gearbeitet, bin also als Norddeutscher ganz neu im Rheinland, was mir ursprünglich große Sorgen bereitete.

"Du musst Dir keine Sorgen machen", beruhigten mich Freunde, die hier aus der Region stammen. "Wirklich. Gar keine Sorgen. Ü-ber-haupt keine Sorgen! Der Rheinländer hat ein großes Herz." Also machte ich mir weniger Sorgen.

Tja. Und dann kam ich am Sonntagabend in Düsseldorf an. In der Straßenbahn vom Hauptbahnhof nach Grafenberg saß ich direkt hinter dem Fahrer, hatte also einen Logenplatz für folgende Szene.

Ort und Zeit der Handlung: ein Zug der Rheinbahn, ein lauer Abend im Mai, es dunkelt schon. Die handelnden Personen: ein Straßenbahnfahrer (grantig), ein Ortsunkundiger (weiblich), ein Fahrgast aus Norddeutschland (ich). An einer Haltestelle steht eine Dame. Sie klopft zaghaft an des Fahrers Fenster. Der Mann öffnet eine katzenklappengroße Luke.

Dame: "Entschuldigung. Können Sie mir sagen, ob diese Bahn zum Krankenhaus fährt?"

Fahrer: "Äuglein immer auf die Tafel! Es steht alles geschrieben."

Dame: "Da habe ich schon geschaut. Ich werde aber nicht so recht schlau daraus, da steht noch etwas von einem Bus..."

Fahrer: "Ich bin kein Hellseher."

Der Fahrer schiebt die katzenklappengroße Luke zu und fährt los. Der Fahrgast aus Norddeutschland sieht zu, wie die fassungslose Dame an den erleuchteten Fenstern der Straßenbahn entlang langsam im Dunkel der lauen Düsseldorfer Mai-Nacht verschwindet. Vorhang.

Keine Ahnung, ob an diesem Straßenbahnfahrer irgendetwas groß ist - sein Herz ist es aber wohl eher nicht. Nun kann es natürlich sein, dass der Mann a) gar kein Rheinländer ist oder b) zwar ein Rheinländer ist, aber einen angeborenen Herzfehler hat. Wie auch immer, ein solches Verhalten gegenüber Kunden ist jedenfalls nicht gut - nirgendwo auf der Welt. Und ich benutze die etwas zurückhaltende Formulierung "nicht gut" nur deshalb, weil meine Kollegen mir nachdrücklich versichert haben, dass der von mir ursprünglich verwendete Ausdruck nicht dem Stil der Rheinischen Post entspricht.

Ich habe mich an dem Abend übrigens ziemlich geschämt. Nicht für den Fahrer, der soll sich gefälligst selbst was schämen, sondern für mich. Denn ich habe nichts getan, außer entgeistert zuzuschauen.

Andreas Hartnigk, Aufsichtsratschef der Rheinbahn, hat versucht, mich wieder ein wenig aufzubauen, als er in der vergangenen Woche bei der Rheinischen Post zu Gast war. Und er gab mir einen guten Tipp mit auf den Weg: Sollte ich wider Erwarten noch einmal so etwas erleben, dann solle ich Uhrzeit, Linie und Wagennummer notieren und ihm sofort eine Mail schicken.

Ein solches Verhalten eines Fahrers sei selbstverständlich inakzeptabel, allerdings auch ein extremer Einzelfall; normalerweise gebe es da keine Probleme. Ü-ber-haupt keine. Ich vermute, das stimmt, und ich habe einfach nur Pech gehabt. Denn auch für Straßenbahnfahrer gilt: Eigentlich hat der Rheinländer ein großes Herz! Da mache ich mir gar keine Sorgen. Ü-ber-haupt nicht.

Wenn Sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben oder aber ganz andere, viel bessere - dann schreiben Sie mir! Ich freue mich auf Ihre Nachricht: stefan.weigel@rheinische-post.de

(RP)
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