Prozess um Kindstötung in Kasierswerth „Das bin doch nicht ich gewesen!“

Düsseldorf · Wegen Totschlags an ihrem neugeborenen Sohn steht eine 38-jährige Mutter seit gestern vor dem Landgericht. Laut Anklage hatte sie das Baby in einer "psychischen Ausnahmesituation" nach einer Sturzgeburt im Waschkeller getötet - und gab sich zu Prozessbeginn selbst fassungslos darüber.

 Die 37-jährige Mutter kam mit einer Bewährungsstrafe davon.

Die 37-jährige Mutter kam mit einer Bewährungsstrafe davon.

Foto: RP, A. Bretz

Er sollte Michel heißen. Er wurde aber nur wenige Stunden alt. Kurz nach der Geburt im Waschkeller seiner Eltern ist er von seiner Mutter getötet worden. Michel ist erstickt. Eingewickelt in eine Decke, mit einem Jutebeutel über dem Kopf, hatte er keine Chance, Frischluft zu holen. Fast vier Jahre ist das her. Gestern begann vor dem Landgericht der Totschlags-Prozess gegen seine Mutter (38). Da gab sich die Bürokauffrau fassungslos über ihre Tat: "Das bin doch nicht ich gewesen", habe sie nach dem Lesen der Anklageschrift gedacht. Und brachte vor lauter Tränen zeitweise kaum noch ein Wort heraus.

Ihren Kopf unter einem Strick-Poncho versteckt, von ihrem Verteidiger an der Hand geführt, tastete sich die Angeklagte zur Anklagebank. So blieb sie sitzen, bis alle Fotografen den Saal verlassen hatten, lüftete dann den Wollschleier. "Ich hab' immer versucht, ein normales Leben auf die Reihe zu kriegen", sagte sie später den Richtern. Bis 2003 ist es ihr gelungen.

Nach der Geburt der ersten Tochter (1997) gab sie ihren Job bei einem Wertpapierhändler auf, heiratete ihren drei jahre älteren Mann. 2000 kam die zweite Tochter zur Welt. Nun versuchte sich der Vater als selbstständiger Fotograf. Doch vergebens. Mit über 10000 Euro Schulden und arbeitslos, habe er sich verändert, sagte sie. "Er hat lange geschlafen, war nachmittags mit Bekannten unterwegs und ich hab' keinen Zugang mehr zu ihm gefunden." Was es im Haushalt und mit den Kindern zu tun gab, blieb an ihr hängen. "Ich hab' versucht, das irgendwie in den Griff zu kriegen", presste sie weinend hervor. "Ich hab' mich alleine gefühlt, hab' wie eine Maschine weiter gelebt." Und Mitte 2003 festgestellt, dass sie wieder schwanger war - bereits im sechsten Monat. "Dabei hatte ich mich doch viel fitter gefühlt als bei den anderen Schwangerschaften!"

Sie schaffte es nicht, ihrem Mann davon zu erzählen, fand keinen passenden Moment. Erst habe sie zum Arzt gehen, ihrem Mann ein Ultraschallbild vorlegen wollen. Dazu ist es aber nie gekommen. Er sei immer später heimgekommen, manchmal angetrunken, oft missmutig. "Er wollte nur noch seine Ruhe. Und es war so viel auf meinen Schultern", schluchzte sie. Daher sei sie nicht mal beim Arzt gewesen. Und ihr Mann habe bis zuletzt nichts von ihrer Schwangerschaft geahnt.

Mitte September sollte die älteste Tochter eingeschult werden. Am Vorabend bat sie ihren Mann, deshalb nicht so lange weg zu bleiben. Doch er sei wieder spät heimgekommen, stark angetrunken, gleich eingeschlafen. Nichts bekam er davon mit, dass seine Frau zur Nachtstunde mit Leibschmerzen aufstand. "Ich wollte an die frische Luft." Aber auf dem Weg durch den Waschkeller kam es zur Sturzgeburt. Der Säugling sei dabei auf den Boden aufgeschlagen. Doch an Details, was danach geschah - "nein, daran kann ich mich nicht erinnern", versicherte sie. "Ich weiß nur noch, auf einmal war das Baby da und ich hatte es im Arm." Später, als der kleine Leichnam in einer Kühlbox entdeckt wurde, stellten Mediziner zwei Kopfwunden fest. Doch Spezialisten der Uni München fanden heraus: Der kleine Michel starb nicht deswegen, sondern ist erstickt. Da die Mutter damals in einer "psychischen Ausnahmesituation", daher nur eingeschränkt schuldfähig war, blieb sie auf freiem Fuß. Und darf wohl auf eine milde Strafe hoffen.

(RP)
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