Serie: Lageberichte der Gestapo "Damit der Holocaust nie vergessen wird"

Düsseldorf · Eine Woche hat die Rheinische Post in einer Serie die Rolle der Gestapo in Düsseldorf beleuchtet. Anlass ist die erste Edition der Lageberichte, die im Dritten Reich nach Berlin gesandt worden waren. Wir haben Vertreter von Kirchen und Politik zur Bedeutung der Aufarbeitung befragt.

 SA-Aufmarsch 1938: Auf dem heutigen Gelände des heutigen Aquazoos weihten die Nationalsozialisten ein Dienstgebäude ein.

SA-Aufmarsch 1938: Auf dem heutigen Gelände des heutigen Aquazoos weihten die Nationalsozialisten ein Dienstgebäude ein.

Foto: Stadtarchiv

Nach Berlin war die Geheime Staatspolizei (Gestapo) Düsseldorf die größte im Dritten Reich: 170 Mitarbeiter kontrollierten 4,15 Millionen Menschen und schickten ihre Berichte über politische Gegner und die Stimmung im Volk nach Berlin zu Gestapo-Chef Heinrich Himmler. Der Düsseldorfer Historiker Kurt Düwell und Ottfried Dascher, ehemaliger Leiter des Hauptstaatsarchivs, veröffentlichen nun die erste kommentierte Edition der Lageberichte aus Düsseldorf. 2011 soll der erste Band erscheinen.

Vertreter von Kirchen und Politik begrüßen die wissenschaftliche Aufarbeitung der Akten. "Die junge Generation muss dafür sorgen, dass die Vernichtung eines Volkes, dass ein Holocaust nie wieder passiert." Aus dieser Überzeugung heraus hält Michael Szentei-Heise, Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde, die Veröffentlichung der Lageberichte für wichtig. "Nur durch solche Dokumente werden wir gewahr, mit welchen Mechanismen die Nationalsozialisten gearbeitet haben und wie unmenschlich das Handeln war", so Szentei-Heise.

Er wünscht sich, dass die Dokumente möglichst im Schulunterricht verwendet werden: "Denn gerade die persönlichen Berichte und die Einzelfälle machen betroffener als allgemeine Schilderungen über den Holocaust, weil sich jeder mit Einzelschicksalen besser identifizieren kann."

Die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus wird nach Beobachtungen von Michael Hänsch, Geschäftsführer des katholischen Stadtdekanates Düsseldorf, von Institutionen oder Firmen zurückhaltend gehandhabt. Das gelte auch für die katholische Kirche. "Die Veröffentlichung der Lageberichte kann daher ein Anstoß sein, sich noch einmal mit der Geschichte und der Rolle der Kirche auseinanderzusetzen", so Hänsch. So könne deutlich werden, wo Menschen Zivilcourage bewiesen hätten, aber auch, wo Kirche und deren Mitglieder angesichts der Repression geschwiegen hätten.

Für eine aufschlussreiche Dokumentation hält auch Stadtsuperintendent Ulrich Lilie die Veröffentlichung. Gerade für die jüngere Generation, die das alles zum Glück nicht miterlebt habe, sei das hilfreich. Lilie: "Die evangelische Kirche ist noch in der Aufarbeitung, was die Beteiligung oder Nicht-Beteiligung im Dritten Reich angeht."

Auch CDU-Fraktionschef Friedrich G. Conzen findet das Projekt verdienstvoll: "Wir müssen uns dieser Vergangenheit stellen. Nur dann können wir aus ihr lernen und aufmerksam auf Entwicklungen reagieren, die ein Leben gefährden, das bestimmt wird von Toleranz, Mitgefühl füreinander und der Achtung unserer Demokratie." Der distanzierte und emotionslose Ton der Gestapo-Berichte habe ihn schockiert. "Der Mensch ist auf das zu beobachtende Objekt reduziert worden, dabei blieb völlig außer Acht, dass es sich auch um eine Mutter, einen Vater, ein Kind, einen Nachbarn, einen Kollegen handelte", so Conzen. Überrascht habe ihn, dass nach Hitlers Übernahme in keinem anderen Regierungsbezirk so viele Menschen verhaftet worden seien wie in Düsseldorf.

Manfred Neuenhaus, Vorsitzender der FDP-Fraktion, bedauert, dass diese Vergangenheitsaufarbeitung erst so spät kommt. Nichtsdestotrotz sei sie unverzichtbar. Positiv findet der Liberale auch das Projekt der Mahn- und Gedenkstätte, die in einem Buch über die erste Judendeportation aus Düsseldorf für jedes Opfer eine Kurzbiografie angefertigt haben. "Der Einzelne wird nicht hinter einer anonymen Zahl versteckt, sondern als Mensch und Mitbürger erkennbar." Iris Bellstedt, Sprecherin der Grünen-Fraktion, sieht die Stadt in der Pflicht, die Aufarbeitung zu unterstützen. "Die Lageberichte spiegeln wider, welch unglaubliche Dimension das System der Denunziation hatte."

Auch den SPD-Fraktionschef Markus Raub hat das, was in den Akten steht, von der Menge her überrascht. "Aber nicht unbedingt die Intensität, denn die Gestapo-Mitarbeiter waren ja Schreibtischtäter". Die Auswertung der Lageberichte und Personalakten, die die "völlige Skrupellosigkeit" des Nazi-Regimes zeigten, so Raub, müsse auch ein Zeichen setzen, dass so etwas "nie wieder auf deutschem Boden passieren darf."

Alle Folgen der Serie lesen sie unter www.rp-online.de/duesseldorf

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort