Virologe Jörg Timm zur Düsseldorfer Kita-Studie „Wenn wir schon alles wüssten, bräuchten wir keine Forschung“

Interview | Düsseldorf · An Düsseldorfer Kitas startet eine Studie zu Corona-Infektionen. Der Leiter der Virologie an der Uni-Klinik spricht darüber, wie viele positive Tests er erwartet, was bei Funden passiert – und warum ihn die Menschenmassen in der Altstadt noch nicht nervös machen.

 Virologe Jörg Timm im Labor. Der Wissenschaftler will neue Erkenntnisse zu Corona und Kindern gewinnen.

Virologe Jörg Timm im Labor. Der Wissenschaftler will neue Erkenntnisse zu Corona und Kindern gewinnen.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Herr Timm, ab Montag öffnen die Kitas in Düsseldorf wieder. Zwei Tage später startet die Studie, in der 5152 Kinder und Mitarbeiter aus Düsseldorfer Kitas für eine Studie auf das Coronavirus getestet werden. Mit wie vielen positiven Befunden rechnen Sie zu Beginn?

Timm Das ist eine schwierige Frage. Wir beobachten aktuell wenig Virusaktivität in Düsseldorf, daher rechnen wir mit wenigen Funden. Wir wissen aber auch, dass eine Infektion bei Kindern oft ohne Symp­tome verläuft. Aus diesem Grund ist unsere Untersuchung so wichtig: Es gibt bislang wenige Studien zu Corona und Kindern. Wenn wir dazu schon alles wüssten, bräuchten wir die Forschung nicht.

Die Teilnehmer werden über einen Zeitraum von vier Wochen immer wieder getestet. Was genau versuchen Sie herauszufinden?

Timm Natürlich ist allein die Zahl der Funde schon spannend. Wir wollen aber auch mehr darüber herausfinden, welche Rolle Kinder bei der Verbreitung des Coronavirus spielen. Wir wissen bereits, dass sie im Falle einer Infektion weniger schwer krank werden. Es gibt auch Daten, die nahelegen, dass es bei Kindern seltener zu Infektionen kommt. Erste Studien besagen da­­­rüber hinaus, dass Kinder seltener das Virus in ihrem Umfeld weitergeben. Aber in allen Fällen gibt es noch Klärungsbedarf. Der Shutdown war eine schwierige Zeit für Studien, weil die Kinder weniger Kontakte hatten. Nun können wir erstmals verlässliche Daten aus dem Kita-Alltag sammeln.

Viele Eltern sehen den Kita-Start mit gemischten Gefühlen. Wie viel mehr Infektionen wird es nach Ihrer Einschätzung am Ende der vier Wochen geben?

Timm Das wissen wir nicht. Ich würde von zehn bis 15 ausgehen, aber wir müssen schauen.

Die Studie startet am Montag zeitgleich mit der Wiedereröffnung der Kitas. Hätte man nicht vorab mehr über das Virus wissen müssen, bevor die Kitas überhaupt wieder in Betrieb gehen?

Timm Diese Frage geht über die Virologie hinaus. Man muss für diese Entscheidung das Kindeswohl als Ganzes betrachten. Dazu hat es ja eine breite öffentliche Diskussion gegeben. Letztlich würde ich sagen, dass mehr für die Öffnung der Kitas spricht als dagegen.

Mehr als 10.000 Interessenten haben sich für die Studie gemeldet, in manchen Kitas haben fast alle Eltern eingewilligt. Warum haben Sie die Zahl der Teilnehmer nicht erhöht?

Timm Wir würden es leider nicht schaffen, eine größere Menge von Tests durchzuführen. Daher hatten wir die Qual der Wahl. Wir haben versucht, eine Auswahl zu treffen, die inhaltlich nachvollziehbar ist und zu gutem Datenmaterial führt. Uns war es zum Beispiel wichtig, viele Kinder aus einzelnen Kita-Gruppen auszuwählen, um die Entwicklung nachvollziehen zu können. Dafür mussten wir anderen Einrichtungen leider absagen.

Durch die regelmäßigen Tests dürfte ein Ausbruch schneller erkannt werden. Geben die Tests den teilnehmenden Kitas dadurch mehr Sicherheit?

Timm Wir bekommen viele Rückmeldungen von Eltern und Mitarbeitern, die getestet werden wollen, weil sie sich genau ein solches zusätzliches Maß an Sicherheit erhoffen. Man muss da aber vorsichtig sein. Tests können immer nur ein Teil einer Strategie zur Eindämmung eines Virus sein. Natürlich könnte es sein, dass durch unsere Tests ein Ausbruch in einer Kita früher erkannt wird. Aber ich muss klar sagen: Unsere Studie ist kein Teil der Sicherheitsmaßnahmen in den Kitas. Uns geht es um neue wissenschaftliche Erkenntnisse.

Was passiert denn im Falle eines positiven Tests? Muss dann die ganze Gruppe in Quarantäne?

Timm Wir informieren bei einem positiven Befund die Betroffenen und auch das Gesundheitsamt, denn Corona ist meldepflichtig. Über weitere Schritte entscheidet das Amt. Eine Quarantäne der nächsten Kontaktpersonen ist üblich, das könnte also die Gruppe, die Erzieherinnen und auch die Eltern betreffen.

Die Eltern sollen selbst die Tests nehmen. Trauen Sie ihnen das zu?

Timm Ja. Wir haben uns bewusst gegen einen Rachenabstrich entschieden. Das machen Kinder nicht gern mit. Die Eltern nehmen Speichelproben und reichen sie ein. Das funktioniert durch eine Mundspülung. Das Verfahren ist nach den bisherigen Daten zuverlässig.

Zeigt der Test auch, ob die Kinder früher schon Corona hatten?

Timm Nein, er weist nur akute Infektionen nach.

Auch für die Kitas gelten Schutzmaßnahmen, zum Beispiel eine Maskenpflicht für Erzieherinnen. Aber von Kleinkindern kann man nicht erwarten, dass sie auf Infektionsschutz achten.

Timm Nein. Es ist allen bewusst, dass Zwei- oder Dreijährige nicht auf Abstand bleiben können. Um so mehr macht es Sinn, sich über andere Maßnahmen Gedanken zu machen. Dazu zählt zum Beispiel auch viel Aufenthalt im Freien.

In Düsseldorf startet bald auch eine Studie, bei der 1000 repräsentativ ausgewählte Düsseldorfer auf Corona getestet werden. Erwarten Sie andere Ergebnisse als in anderen Städten?

Timm Es gibt keinen Grund, das anzunehmen. Die Studie ist ein erstes Projekt, dem groß angelegte Studien folgen könnten. Es geht um die Frage, wie verbreitet das Virus schon ist, also die sogenannte Durchseuchung. Ich glaube nicht, dass es in Düsseldorf schon so viele Fälle gegeben hat. Wir bekommen viele Anfragen von Menschen, die im März verdächtige Symptome hatten und nun glauben, dass es schon Corona war. In den meisten Fällen zeigt der Test das aber dann nicht. Bei der groß angelegten Studie in Gangelt im Kreis Heinsberg wurden bei 15 Prozent der Getesteten eine Infektion nachgewiesen. Ich vermute, in Düsseldorf werden es deutlich weniger sein.

In den letzten Tagen wurde viel darüber diskutiert, ob die Menschen wieder zu sorglos werden. Vielleicht haben Sie auch die Bilder von der vollen Altstadt gesehen. Was denken Sie als Virologe dazu?

Timm Ich hätte Sorge, wenn die Infektionszahlen wieder hochgehen. Das tun sie ja zum Glück gerade nicht. Ich habe auch den Eindruck. dass sich die meisten Menschen immer noch an viele Regeln halten und zum Beispiel auf Abstand bleiben. Das hilft. Dazu kommt, dass die Menschen wegen des guten Wetters viel draußen sind. Spannend wird es sicherlich, wenn das Wetter wieder schlechter wird. Dann wird es entscheidend sein, dass sich die Menschen an die Abstands- und Hygieneregeln erinnern.

Wie optimistisch sind Sie, dass sich das Leben bald wieder normalisiert?

Timm Es hat sich ja schon vieles wieder normalisiert. Ich bin optimistisch, dass das irgendwann vollständig passieren wird. Ein Impfstoff wird dafür sicherlich entscheidend sein. Die zentrale Frage ist, wann er verfügbar ist. Bis dahin wird es keine Rückkehr zur Normalität geben.

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