Düsseldorf "Christen haben im Irak keine Zukunft"

Düsseldorf · Ihre Töchter sollten zum Islam konvertieren. Als Drohbriefe ankamen, verließen Ribuar und Clara Ilya Daoud ihre Heimatstadt Kirkuk.

 Ribuar Ilya Daoud mit seinen Töchtern Talya (l.) und Catya. Gemeinsam mit seiner Frau Clara und Sohn Elie wohnen sie in einem kleinen Zimmer in einem Düsseldorfer Industriegebiet.

Ribuar Ilya Daoud mit seinen Töchtern Talya (l.) und Catya. Gemeinsam mit seiner Frau Clara und Sohn Elie wohnen sie in einem kleinen Zimmer in einem Düsseldorfer Industriegebiet.

Foto: Andreas Bretz

Angefangen hat es mit einer Frage von Kollegen und Freunden. Einer Frage, die vorher nie gestellt wurde, die zu den ungeschriebenen Tabus im nordirakischen Kirkuk zählte: "Wann wirst Du Muslim?" Damals, vor etwa zehn Jahren, fuhr Ribuar Ilya Daoud der Schreck in die Glieder. Die alte Gewissheit, in diesem schwierigen Land wenigstens in religiösen Fragen unbehelligt leben zu können, war plötzlich weg. Und sie kehrte nie wieder zurück.

"Dann kam der Brief", berichtet der 33-jährige Christ, der wie seine Familie der chaldäisch-katholischen Kirche angehört. Nicht per Post. Die gibt es so im Nordirak nicht. Sondern per Bote. Vor etwa zwei Jahren schob der Unbekannte das Dokument einfach durch die Ritze unter der Haustür. "Da stand drin: Gib uns Deine Töchter, damit wir sie zu Musliminnen machen; dann, nur dann lassen wir deine Familie in Ruhe", erzählt Ilya Daoud. Am Absender hat er keinen Zweifel. "Es war die Sprache des Islamischen Staates oder seiner Sympathisanten. Das IS-Einflussgebiet liegt nah genug an unserer Stadt." Die deutliche Botschaft saß. "Wir bekamen Angst, unsere älteste Tochter Catya wollte immer öfter nicht mehr in den Kindergarten", erzählt ihre Mutter Clara (30).

18 Monate nach der ungebetenen Post sitzt der Mann, der in Kirkuk ein Haus, zwei Autos und einen Job besaß, mit seiner Frau Clara und den inzwischen drei Kindern in einem kleinen Zimmer in Düsseldorf. Das mehrstöckige, schlichte Etagenhaus liegt weit draußen vor den Toren der Stadt in einem Industriegebiet, irgendwo zwischen ein paar Firmen. Nachts versperrt ein Rollgitter die Zu- und Abfahrt. Für die meisten ist das kein Problem. Ein eigenes Auto kann sich eh keiner leisten. Gekocht wird in der Gemeinschaftsküche, pro Etage gibt es jeweils einen Sanitärbereich.

"Wir hatten Angst um unsere Töchter und Angst um uns. Wir sind geflohen", sagt der Vater. Das ist 15 Monate her. Sohn Elie hat die Heimat seiner Vorfahren nie gesehen. Er kam vor einem halben Jahr in Düsseldorf zur Welt.

Die Ilya Daouds sind gläubige Menschen. Obwohl kaum Platz ist, haben sie an der Wand einen kleinen Hausaltar eingerichtet. Eine Marienfigur, Kerzen und ein Kreuz spenden Trost in dem Raum, der keinen Rückzug ermöglicht. Warum sind er und seine Frau nicht einfach konvertiert, haben sich dadurch Wohlstand und Heimat erhalten? Ilya Daoud schaut erstaunt. Schon die Frage ist ihm wesensfremd. "Jesus hat gesagt: Wer mein Jünger sein will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach", zitiert der Familienvater das Matthäus-Evangelium.

Der Flüchtling und seine Frau sind gebildet. Er hat einen Abschluss in englischer Literatur, spricht aramäisch, kurdisch und arabisch, arbeitete als Lehrer und Übersetzer, sie hat einen Abschluss als Ingenieurin für Kommunikationstechnologie. Über ihren langen Weg nach Europa sprechen die beiden nicht so gern. "Wir waren drei Tage unterwegs, in Fahrzeugen, die uns immer weiter Richtung Deutschland brachten", meint der Ehemann. Angst hätten sie gehabt. "Wir mussten Menschen vertrauen, denen man normalerweise nicht vertraut." Doch am Ende ging es gut. Die Ilya Daouds kamen an. In Gießen. Stationen in Dortmund und Schöppingen folgten. Am 11. Oktober 2013 landeten die Ilya Daouds in Düsseldorf.

Der Preis ihrer Flucht ist hoch. Kontakt nach Kirkuk, sagen sie, gibt es nicht. Keine Telefonate, kein Skype-Kontakt über das Internet. Ob es seiner Mutter oder ihren Eltern gut geht? Ob sie überhaupt noch in der Heimatstadt leben? Die Familie Ilya Daoud weiß es nicht. "Wir müssen unsere Familie und Freunde schützen. Alles wird kontrolliert, jeder Austausch kann gefährlich sein", glaubt der Ehemann. Betreut wird die Familie von der Diakonie. Mitarbeitern wie der Dolmetscherin Banas Abdalrahman und dem Ehrenamtler Jochen Rzaza, der die oft bürokratischen Behördengänge organisiert, sind sie dankbar.

Am Sinn ihrer Flucht zweifeln die Eheleute nicht. Schon zu Zeiten von Saddams Diktatur gab es Probleme. "Mein Vater war Arzt, saß elf Jahre im Gefängnis, weil er Patienten behandelt hatte, die er nach Meinung des Regimes besser nicht behandelt hätte", erinnert sich Ribuar Ilya Daoud. Doch jetzt sei es alles noch schlimmer. "Was würden Sie tun, wenn Ihre Töchter von Zwangskonversion bedroht sind?", fragt der Vater.

Manchmal hat der Mann, der in seiner mit Rom unierten chaldäischen Kirche Diakon war, Fragen an das Land, das ihn und seine Familie zurzeit schützt und versorgt. So wundert er sich über einen Behörden-Mitarbeiter, der ihm sagte, er solle doch bitte deutsch sprechen. Das würde der sprachbegabte Ribuar Ilya Daoud nur zu gerne. "Doch ich darf auch 15 Monate nach meiner Ankunft an keinem Sprachkursus teilnehmen, weil unser Asylverfahren nicht einmal richtig eröffnet ist." Auch arbeiten dürfen er und seine Frau nicht. Und eine eigene Wohnung suchen auch nicht - selbst wenn sie die bezahlen könnten.

"Wir sind dankbar, aber nach fast anderthalb Jahren liegen in dem kleinen Zimmer, das wir mit drei Kindern bewohnen, die Nerven manchmal blank." Zurzeit sparen sie jeden Cent für Fahrkarten für den Besuch eines Weihnachtsgottesdienstes im chaldäischen Ritus. Gemeinden gibt es nur in Essen und Bonn. Dass es für Menschen wie sie noch einmal eine Zukunft im Irak geben könnte, glauben die Ilya Daouds nicht. Sie werden still.

Dann sagen sie: "Der Islam radikalisiert sich in unserer Region immer mehr. Für Christen wie uns gibt es nach mehr als 1500 Jahren Geschichte im Irak keine Zukunft mehr."

(RP)
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