Interview "Bürgerstiftung lebt von Ideen fürs Helfen"

Düsseldorf · Die Bürgerstiftung Düsseldorf gehört zu einer großen Familie. Mehr als 300 Bürgerstiftungen gibt es in Deutschland bereits. Was unterscheidet Bürgerstiftungen von anderen Stiftungen?

 Suzanne Oetker-von-Franquet (r.) und Sabine Tüllmann engagieren sich ehrenamtlich in der Bürgerstiftung

Suzanne Oetker-von-Franquet (r.) und Sabine Tüllmann engagieren sich ehrenamtlich in der Bürgerstiftung

Foto: Bretz, Andreas

Die Bürgerstiftung Düsseldorf gehört zu einer großen Familie. Mehr als 300 Bürgerstiftungen gibt es in Deutschland bereits. Was unterscheidet Bürgerstiftungen von anderen Stiftungen?

Oetker-von-Franquet Eine Bürgerstiftung ist eine gemeinschaftliche Stiftung. Viele Bürger, Firmen oder Selbstständige engagieren sich und zahlen in einen Kapitaltopf für gemeinsame Ziele. Das macht leistungsfähig. Sie bringen aber auch Ideen ein, wie Menschen in Düsseldorf geholfen werden kann. Eine Bürgerstiftung ist auch ein Pool von Ideen für Projekte.

Tüllmann Es gibt viele Projekte, die unterstützenswert sind. In einer Bürgerstiftung kann jeder das Passende für sich heraussuchen. Ziel ist es, bürgerschaftliches Engagement zu fördern und zu unterstützen — in Schule und Erziehung beispielsweise die gesunde Ernährung für Kinder in unserem Projekt "gesund und munter" oder in der Singpause in Grundschulen — eine Initiative, die wir unterstützen. Schwerpunkte sind auch Hilfe für Krebskranke und der Übergang von Hauptschülern in die Berufs- und Arbeitswelt.

Nach welchen Kriterien fördert die Stiftung Projekte anderer?

Oetker-von-Franquet Sie sollten ehrenamtlich sein. Die Nachhaltigkeit muss gewährleistet sein. Sie dürfen nie städtische Aufgaben ersetzen. Und sie sollen zu dem Schwerpunkt passen, den die Bürgerstiftung gerade setzt. Im Moment ist er Bildung und Erziehung benachteiligter Kinder.

Wie überprüfen sie die Nachhaltigkeit von Projekten?

Tüllmann Die Stiftung unterstützt keine punktuellen Vorhaben. Die Projekte müssen auf Dauer angelegt sein. Wir gehen natürlich zu den Initiatoren hin und schauen uns ihre Aktionen an. Man hat dabei schnell im Gefühl, ob das Projekt länger trägt.

Die Bürgerstiftung kann mit finanziellen Hilfen über das Wohl und Wehe von Projekten entscheiden. Fühlen Sie sich manchmal wie eine Art Weihnachtsmann?

Oetker-von-Franquet Wenn die Anträge auf Unterstützung kommen — im Juni werden wir im Vorstand über 40 entscheiden müssen — kann das schon einmal sein. Denn manche Anträge sind unrealistisch, es werden zu hohe Summen erwartet. Aber viele haben insgesamt eine realistische Einschätzung unserer Möglichkeiten und haben ein hohes Vertrauen in uns.

Tüllmann Es bleibt nicht unbedingt bei der Förderung einer Maßnahme. Ein Beispiel ist die Gehörlosenschule. Wir haben für die Förderung der Kinder ein Theaterstück in der Schule finanziert. Ich war berührt von der Begeisterung der Kinder und hatte die Idee, das eigene Projekt der Bürgerstiftung — Workshops für das Clown-Theater "Rote Nasen" — auch für diese Kinder zu ermöglichen. Das zeigt, wie die Basis und gegenseitiges Vertrauen wachsen.

Ist die Unterstützung einer Initiative durch Ihre Stiftung ein Gütesiegel?

Tüllmann Ich denke schon. Es eröffnen sich nach unserer Förderzusage gelegentlich auch weitere Hilfsmöglichkeiten, denn man weiß, dass die Bürgerstiftung eingehend prüft, ob Unterstützung gerechtfertigt ist.

Oetker-von-Franquet Wir fühlen uns den Spendern und Stiftern verpflichtet. Sie sollen wissen, was mit ihrem Geld passiert, und sicher sein, dass es für eine gute Sache verwendet wird. Jeder Stifter bleibt dauerhaft in die Geschehnisse der Bürgerstiftung eingebunden.

Warum ist das nötig?

Oetker-von-Franquet Es gibt einen großen Informationsbedarf über den Fortgang der Projekte. Die Stifter wollen die Entwicklungen kennen, wollen auch für weiteres Engagement beraten werden.

Tüllmann Wichtig dafür sind auch das jährliche Stifterforum und die Stifterversammlung, zu dem alle eingeladen sind, die zugestiftet, erheblich gespendet haben oder ehrenamtlich ihre Zeit für die Stiftung zur Verfügung stellen. Es kommen fast alle, um sich zu sehen. Die Stiftung wächst wie eine Familie zusammen, die durch ein Ziel verbunden ist. Gemeinsam ist auch die Heimatverbundenheit und Bodenständigkeit, aus der heraus man etwas für Düsseldorf tun will.

Wann gründen Sie ein neues Projekt?

Tüllmann Wenn eine Lücke deutlich wird. Eines unserer ersten eigenen Projekte war die Krebsberatungsstelle. Wir haben mitbekommen, dass Frauen nach einer Krebsbehandlung auf sich allein gestellt waren, keine ausreichende medizinische Beratung bekamen und nicht wussten, woher sie Hilfe für den Haushalt und für die Familie bekommen. Ähnlich war es bei dem Projekt "gesund und munter". Es war klar zu sehen, dass manche Kinder zu wenig gute Ernährung bekommen und sportlich gefördert werden mussten.

Wie wird ein Projekt organisiert?

Oetker-von-Franquet Wir fangen stets klein an. Gesund und munter startete mit einem Pilotprojekt in einer Schule. Das wurde gut durchstrukturiert. Durch Fehler wurde deutlich, wo Verbesserungen nötig sind. Und es muss maßgeschneidert auf die Bedürfnisse der Menschen sein. Konzerte für Senioren beispielsweise müssen nachmittags stattfinden, weil ältere Menschen abends nicht mehr gerne ausgehen. Und für Barrierefreiheit muss gesorgt sein. Das Beachten solcher Punkte ermöglicht erst den Erfolg: Inzwischen kommen zu den Seniorenkonzerten Hunderte.

Reicht das Geld für Projekte?

Tüllmann Wenn eine finanzielle Lücke im Hilfsangebot geschlossen werden muss, muss eben Geld beschafft werden. Dann beginnt das Klinkenputzen bei möglichen Spendern. Und es werden neue Ideen entwickelt. Den Verkauf von hochwertiger Damenbekleidung in unserer Kleiderbörse haben wir begonnen, um die Krebsberatung finanzieren zu können.

Die Bürgerstiftung hilft der Stiftung Elfmeter, die rückenmarksverletzte Kinder und deren Familien unterstützen will. Warum engagieren Sie sich?

Tüllmann Das ist auch persönlich begründet. Ich kenne Emma und ihre Familie gut, habe miterlebt, wie Emma mit Hilfe ihrer Familie die Querschnittslähmung nach dem Unfall meistert. Und wenn das zwölfjährige Mädchen anderen helfen will als Dank für die Hilfe, die sie selbst erfahren hat, dann ist die Gründung einer Stiftung unterstützungswürdig. Und Familien mit querschnittsgelähmten Kindern brauchen Rat und Unterstützung. Es ist ein Zufall, dass sich bei diesem Projekt persönliche Verbundenheit und generelle Notwendigkeit mischen.

Was ist die Aufgabe der Bürgerstiftung bei Elfmeter?

Oetker-von-Franquet Wir übernehmen die treuhänderische Verwaltung der Stiftung und kümmern uns um die Geldanlagen, die Steuererklärungen, den Zahlungsverkehr oder um Anträge an die Stiftung. Das entlastet die Mitarbeiter von Elfmeter, sie können sich auf die Hilfen konzentrieren. Durch diese Entlastung von Verwaltungsarbeiten wird das Stiftungswesen generell gefördert. Das wird vom Deutschen Stiftungsverband ausdrücklich gewünscht.

Die vielen Aufgaben können Mitarbeiter überfordern.

Oetker-von-Franquet Wir sind an der Grenze des Leistbaren angekommen und suchen daher nach Mitarbeitern, die Aufgaben bei der Verwaltung der Stiftung übernehmen. Der Vorstand und der Stiftungsrat arbeiten ehrenamtlich, für die Geschäftsführung gibt es eine hauptamtliche Stelle mit 20 Stunden. Die ist auch gespendet. Aber wir brauchen Zeitstifter, die zum Beispiel bei der Pflege unseres Internet-Auftritts, bei der Vorbereitung von Veranstaltungen der Projektarbeit oder beim Fundraising helfen.

Michael Brockerhoff führte das Gespräch.

(RP)
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