Netzwerk betrügerischer Pflegedienste Vier Ärzte von Pflegemafia bestochen?

Düsseldorf · Mehrere kriminelle Pflegedienste sollen in Düsseldorf und Neuss mindestens 8,6 Millionen Euro ergaunert haben. Auch vier korrupte Ärzte aus dem Düsseldorfer Raum sollen in den Betrug verwickelt sein – ebenso wie Patienten.

 Eine Pflegehausbewohnerin in einem Seniorenzentrum (Symbolfoto).

Eine Pflegehausbewohnerin in einem Seniorenzentrum (Symbolfoto).

Foto: dpa

Mehrere kriminelle Pflegedienste sollen in Düsseldorf und Neuss mindestens 8,6 Millionen Euro ergaunert haben. Auch vier korrupte Ärzte aus dem Düsseldorfer Raum sollen in den Betrug verwickelt sein — ebenso wie Patienten.

Die beiden Männer gaben sich als Investoren aus Osteuropa aus: Juri und Leon suchten in Düsseldorf Geschäftspartner, um in die boomende Pflegebranche einzusteigen. Ihre Kontaktperson, ein Mann namens Yefgeny, sprang prompt darauf an. Freimütig erläuterte der 37-jährige Ukrainer an jenem Augusttag 2015 in einem Café auf der Königsallee seinen Gesprächspartnern das System der osteuropäischen Pflegemafia.

Er, Yefgeny, wisse, wie man Geld so bewege, dass es nicht auffalle. Allein in Düsseldorf gebe es 40 Firmen, die russischsprachige Patienten betreuen — und zwar auf die krumme Tour. Falsche Leistungsabrechnungen mit Krankenkassen und städtischen Sozialämtern gehörten ebenso zum Repertoire wie Schmiergeldzahlungen an Patienten, damit diese die fingierten Nachweise abzeichneten. Mitunter habe man Hilfsbedürftige auch mit Gewalt zur Unterschrift gezwungen. Die Gewinne seien enorm, schwärmte Yefgeny. Es sei nun mal nicht gesund, ehrlich zu sein.

Seine Zuhörer lauschten interessiert. Tags darauf brachten sie alles zu Papier: Bei den vermeintlichen Geschäftsleuten Juri und Leon handelte es sich um zwei verdeckte Ermittler des Landeskriminalamts (LKA) NRW. Das Gespräch findet sich in der Anklage der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft gegen neun Gesellschafter und Verantwortliche betrügerischer Pflegefirmen.

Die Angeklagten sollen über falsche Abrechnungen bei Pflegekassen der Städte Düsseldorf und Neuss mindestens 8,6 Millionen Euro ergaunert haben. Zudem sollen sie über ein undurchsichtiges Finanzkarussell Steuern im großen Stil hinterzogen haben. Monatlich ging es um Beträge von bis zu 250.000 Euro.

In den Schwindel sollen laut Oberstaatsanwalt Ralf Möllmann auch vier korrupte Ärzte aus dem Düsseldorfer Raum verwickelt sein. Es bestehe der Verdacht, so der Behördensprecher, "dass diese quartalsmäßig Zuwendungen in bisher nicht bekannter Höhe erhalten haben". Eine geständige Pflegerin will sogar eine Liste mit 15 bestechlichen Medizinern gesehen haben. Zudem wird laut Möllmann gegen 187 Patienten ermittelt.

Der Fall gewährt einzigartige Einblicke in die Abläufe eines bundesweit operierenden Betrüger-Netzwerks, das laut Bundeskriminalamt und LKA 230 korrupte russisch-eurasische Pflegedienste umfasst. Den jährlichen Schaden schätzen die Sonderermittler auf etwa eine Milliarde Euro. Die Hintermänner betätigen sich auch als Schutzgelderpresser, Geldwäscher, mutmaßliche Auftragskiller oder Dealer.

Auf die Spur der Düsseldorfer Bande gerieten die Ermittler Anfang 2014. Berliner Drogenfahnder fanden bei einer Razzia gegen osteuropäische Gangster Mustervorlagen für fingierte Rechnungen. Zudem entdeckten sie Kontounterlagen von zwei Düsseldorfer Pflegegesellschaften. Die Papiere legten den Verdacht nahe, dass diese in einem Jahr 1,3 Millionen Euro über Briefkastenfirmen der Dealer gewaschen hatten. Wie sich später herausstellte, sollen die Düsseldorfer Angeklagten die Mini-GmbHs dazu genutzt haben, über Scheinrechnungen Schwarzgeld aus Pflegediensten herauszuziehen.

Als einer der mutmaßlichen Bandenbosse soll ein 42-Jähriger aus Berlin den Pflege-Schwindel eingefädelt haben. Bald schon hörte das LKA G.s Telefonate ab. Seit 2006 war der inzwischen inhaftierte Geschäftsmann in Düsseldorf aktiv. Im Laufe der Jahre gründete er stetig neue Pflegedienste. Laut Anklage soll der Berliner die Schwarz- und Schmiergeldflüsse gesteuert haben. Allein aus neugegründeten Gesellschaften zog der Angeklagte demnach in gut einem Jahr knapp eine halbe Million Euro. Verbucht wurde die unter der Rubrik "Offene Posten". Das Geschäft lohnte sich. Im Herbst 2015 legte G. in der Schweiz einen Teil der Gewinne in zwei Kilogramm Gold an.

Putzen statt Pflegen

Konkret verlief der Abrechnungsbetrug stets nach derselben Methode: Die überwiegend russischen Patienten erhielten monatlich Bestechungsgelder zwischen 75 und 100 Euro — mitunter bis zu 800 Euro. Die mitangeklagte Geschäftsführerin einer der Firmen bezifferte im Verhör die monatlichen Vergütungen aus dem Schwarzgeldpool nur für ihre Patienten auf 20.000 Euro.

Ferner wurde bei den Senioren geputzt. Auch half mal ein Dolmetscher bei Behördengängen aus. Etliche Hilfskräfte übernahmen Maniküre, Pediküre oder frisierten die Haare. Das Betrugspaket enthielt kostenfreie Fahrten zum Arzt oder zum Besuch auf dem Friedhof. Im Gegenzug mussten sich die meisten Hilfsbedürftigen selbst versorgen. Leistungen wie das tägliche An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen, Körperwäsche, die Gabe von Medikamenten und Insulin, Blutdruckmessungen entfielen.

Die Mitarbeiter der kriminellen Pflegedienste stellten Patienten einen Medikamenten-Dispenser hin, der für eine Woche bis zur nächsten Visite reichen musste, manche kranken Senioren bekundeten in ihren Vernehmungen, dass ihre Pfleger den ganzen Monat nicht aufgetaucht seien. Tatsächlich aber hätten sie täglich nach ihnen sehen müssen. In langen Tabellen listeten die Ermittler auf, dass in Tausenden Fällen falsch abgerechnet wurde.

Oft ließen Betreuer ihre Schützlinge Blankoleistungsverzeichnisse unterschreiben. Am Ende des Monats mussten die Pfleger ins Büro und die leeren Rubriken mit falschen Tätigkeitsnachweisen füllen. Im Durchschnitt summiert die Staatsanwaltschaft den Schaden pro Patient auf 21.000 Euro.

Brenzlig wurde es, wenn sich Prüfer der Krankenkassen oder der Stadt angesagt hatten. Mitte Juli 2016 stellte eine städtische Kontrolleurin bei einer 93-Jährigen fest, dass sie nicht täglich gewaschen wurde. Die Badewanne fand sie gänzlich trocken vor. Die Prüferin witterte Betrug. Bei den Pflegern liefen die Telefone heiß: Das sei Scheiße, erregte sich eine Helferin. Die Prüferin sei ein Miststück.

Mediziner lieferten neue Rezepte auf Wunsch

Meist aber wurden die Senioren instruiert, um Kontrolleure zu narren: So empfahl eine Pflegedienstleiterin einer Seniorin, heftige Rückenschmerzen vorzutäuschen und einen Gehstock zu benutzen. Auf diese Weise sollte sie dokumentieren, dass sie sich nicht selbst Kompressionstrümpfe überstreifen könne. In Wahrheit aber benutzte sie gar keine Strümpfe. Weil ihre Exemplare noch sehr sauber seien, entgegnete die russischstämmige Frau am Telefon, wolle sie diese vor dem Kontrollbesuch noch ein wenig verschmutzen. Die Pflegedienstleiterin reagierte beruhigt. Falls noch Fragen auftauchen sollten, könne die Seniorin gerne im Büro anrufen. "Welche Fragen?", konterte sie, "ich werde morgen schauspielern."

Besonders teuer wurde es für die Pflegemafia an jedem Quartalsbeginn des Jahres: Etwa 65.000 Euro Schwarzgeld sollte die Bande allein im Juli 2016 für korrupte Ärzte berappen: Die Mediziner lieferten auf Wunsch neue Verordnungen für Patienten. Mal ging es um Kompressionstrümpfe, andere Arzneien oder sonstige Pflegeleistungen, die mitunter gar nicht notwendig waren. Und sie sorgten für neue Kunden. In einem abgehörten Telefonat diente ein Arzt der Mitinhaberin einer russischen Pflegefirma eine ältere Dame an. Ob sie denn das besondere System verstanden habe, fragte die Frau. Lachend ergänzte der Arzt: "Na ja, ich musste sie ein wenig vorbereiten."

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