Interview mit Christoph Sochart "Betriebe nehmen gute Hauptschüler"

Düsseldorf · Die Stiftung Pro Ausbildung der Unternehmerschaft Düsseldorf bringt Schulen und Firmen regional zusammen, um Schüler bei der Berufswahl zu unterstützen. Der Geschäftsführer spricht über Erfahrungen und neue Projekte.

 Christoph Sochart von der Unternehmerschaft setzt auf Tages-Praktika und ist froh, dass es an Schulen Koordinatoren für Berufwahlorientierung gibt. Gleichzeitig sieht er großen Nachholbedarf im MINT-Bereich (Archivfoto).

Christoph Sochart von der Unternehmerschaft setzt auf Tages-Praktika und ist froh, dass es an Schulen Koordinatoren für Berufwahlorientierung gibt. Gleichzeitig sieht er großen Nachholbedarf im MINT-Bereich (Archivfoto).

Foto: Frank Wiedemeier

Im März beginnen für Achtklässler in Düsseldorf die Berufsorientierungstage, bei denen die Schüler unterschiedliche Berufsfelder kennenlernen sollen. 2013 hat die Landesregierung diese Aktion ins Leben gerufen. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Christoph Sochart Bei den Berufsfelderkundungstagen gibt es im ersten Halbjahr vor Weihnachten eine Potenzialanalyse. Dabei werden die Stärken und Schwächen der Schüler ermittelt. In Anknüpfung daran gehen die Schüler vor den Osterferien an vier Tagen in Betriebe oder Institutionen, um unterschiedliche Berufsfelder kennenzulernen. Dazu muss man sagen: In der achten Klasse sind die Schüler noch sehr jung und keine klassischen Ansprechpartner für eine Ausbildung, aber es ist ein guter Zeitpunkt, um langsam in das Thema hineinzukommen. Für Unternehmen ist damit jedoch ein erheblicher Aufwand verbunden.

Es handelt sich ja jeweils nur um einen Tag. Welcher Aufwand ist damit verbunden?

Sochart Die Berufsfelderkundungstage sind schon intensiv. Da ist es nicht damit getan, eine Führung zu machen und einen Film anzuschauen. In einer Kfz-Werkstatt beispielsweise geht es auch mal darum, dass ein Schüler Hand anlegt und einen Reifen wechselt. Aus dem Unternehmen ist dann immer jemand dabei. Dabei eingebunden sind oft Auszubildende, die dafür angeleitet werden müssen. Wenn sie aus ihrer Warte über den Beruf berichten, bekommen die Jugendlichen einen realistischen Einblick. Und auch um das Thema Sicherheit müssen sich die Firmen kümmern. Alles in allem gibt es unter den Unternehmen viele Wiederholungstäter. Sie sehen, dass es Sinn macht, und haben auch Spaß daran.

Häufig gibt es ja auch Klagen von Unternehmen, dass sie keine geeigneten Bewerber für eine Ausbildung haben und sogar Stellen unbesetzt bleiben. Machen Firmen, die Praktika anbieten, bessere Erfahrungen?

Sochart Auf jeden Fall. Diejenigen, die sich für Lernpartnerschaften mit Schulen engagieren, melden zurück, dass sie zufrieden mit ihren Bewerbern sind. Hinzu kommt, dass man über diese Kontakte zu den Schulen auf dem kleinen Dienstweg schnell Probleme lösen kann. Zum Beispiel, wenn ein guter Bewerber mehrere Zusagen bekommt und die nicht wahrgenommenen Angebote nicht absagt. Ein großes Unternehmen, das zehn Auszubildende einstellen will, hat dann vielleicht nur noch acht. Um die zwei übrigen Plätze kurzfristig zu besetzen, können wir über unsere Listen von Schulen mit dem Berufswahlsiegel schnell die richtigen Ansprechpartner finden.

Die erfolgreiche Suche nach einem Platz zu diesen eintägigen Praktika ist oft abhängig vom Elternhaus. Wer gute Kontakte hat, lernt leichter interessante Berufe kennen. Stärken hin oder her - wer keine Kontakte hat, verbringt einen Tag in der Eisdiele oder der eigenen Grundschule.

Sochart So ist es nicht gedacht. Die Schüler sollen sich die Plätze nach ihren Stärken und Fähigkeiten aussuchen. Unter berufsorientierungstage.de haben wir jedes Jahr einen Pool mit rund 3000 Plätzen. Hinzu kommen mehr als 1000 überbetriebliche Möglichkeiten. Außerdem können die Schulen ihre Kontakte nutzen, beispielsweise über die 120 Düsseldorfer Lernpartnerschaften oder über die Projekte "Ausbildungsbotschafter" und "Wirtschaft Pro Schule".

Eigeninitiative dürfte eine ebenso wichtige Erfahrung sein wie die im Berufsalltag.

Sochart Auf jeden Fall. Ein Bekannter mit einem Bauernhof erzählte, dass eines Tages ein Achtklässler mit Rucksack vor seiner Tür stand, sich vorstellte, von der Berufsfelderkundung berichtete und sagte: "Ich will das bei Ihnen machen." Der Inhaber war so beeindruckt und begeistert, dass er sofort sagte: "Klar, kannst du das machen." Es geht also auch ohne Kontakte.

Die Schüler haben ihre Halbjahreszeugnisse bekommen. Die Bewerbungsphase für eine Ausbildungsstelle hat begonnen. Wie sieht die Situation in den Unternehmen aus?

Sochart Die Situation in den Unternehmen ist teilweise sehr unterschiedlich, aber viele Betriebe haben noch nicht ihre Ausbildungsplätze für dieses Jahr besetzt. Dies betrifft in erster Linie die chemische Industrie, die Metall- und Elektroindustrie, den Groß- und Außenhandel und den Dienstleistungsbereich. Und im Handwerk werden die Plätze oft recht kurzfristig vergeben.

Man hört häufig, dass Hauptschüler heutzutage überhaupt keine Chance mehr auf einen Ausbildungsplatz haben. Wie sieht es in Düsseldorf aus?

Sochart Ein guter Hauptschüler bekommt in Düsseldorf einen Ausbildungsplatz.

Ohne vorher einen weiteren Abschluss am Berufskolleg zu absolvieren? Kennen Sie Beispiele, die Sie nennen können?

Sochart Wir schätzen die vielen Möglichkeiten an den Berufskollegs durchaus. Aber: Gute Hauptschüler und auch Realschüler werden von den Betrieben gerne genommen. Beliebte Arbeitgeber sind der Groß- und Außenhandel, die klein- und mittelständischen Unternehmen in der Metall- und Elektroindustrie und in der chemischen Industrie, die Systemgastronomie und auch das Handwerk.

Die Unternehmerschaft hat 2006 das Kompetenzzentrum Übergang Schule/ Hochschule -Beruf gegründet. Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Berufswahl- und Studienorientierung in Düsseldorf?

Sochart Es hat sich viel getan an den Schulen. An jeder Schule gibt es mindestens einen Koordinator für Berufwahlorientierung. Das ist schon sehr gut organisiert. Und auch die Vernetzung zu den Hochschulen und die Kommunikation ist besser geworden.

Wo herrscht an den Schulen aus Ihrer Sicht noch besonderer Nachholbedarf?

Sochart Beim Thema MINT (Mathe, IT, Naturwissenschaft und Technik) ist noch Luft nach oben. Zum Beispiel gibt es in Düsseldorf nur eine Schule, die das Gütesiegel "MINT-Schule NRW" trägt: die Georg-Schulhoff-Realschule. Und bei den Gymnasien ist es noch drastischer: Keine Schule ist eine MINT-EC-Schule. Dies ist das große nationale Excellenz-Netzwerk von Schulen mit Sekundarstufe II und einem ausgeprägtem MINT-Profil.

Die Unternehmerschaft hat angesichts des drohenden Fachkräftemangels gerade auch in diesem Bereich ein Interesse daran, dass dort mehr in den Schulen passiert. Gibt es dafür Pläne?

Sochart In der Tat. Im Januar haben wir ein zdi in Düsseldorf gestartet. zdi heißt "Zukunft durch Innovation". Die Idee: Qualifizierte Referenten gehen in die Schulen ab der 8. Klasse, um dort MINT-Kurse durchzuführen. Wir beginnen mit den Themenbereichen Technik, Informatik und Life Sciences, dazu gehören auch der 3D-Druck, die Brennstoffzelle, die Robotik und das Programmieren. Wir sind bereits mit neun Schulen im Gespräch. Weitere interessierte Schulen können sich jederzeit bei uns melden (mint-duesseldorf.de).

DAS GESPRÄCH FÜHRTE SONJA SCHMITZ.

(RP)
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