Gastbeitrag Wilfried Schulz Bekenntnis zur Kunst- und Kulturstadt

Düsseldorf · Der Generalintendant des Schauspielhauses über seine Ideen für das vielfältige Zusammenleben in Düsseldorf im Jahr 2030

 "Kulturgebäude sind Zeichen, die vom Zustand einer Gesellschaft erzählen", sagt Wilfried Schulz. Er macht sich dafür stark, den Kulturgürtel in der Stadt stärker kenntlich zu machen.

"Kulturgebäude sind Zeichen, die vom Zustand einer Gesellschaft erzählen", sagt Wilfried Schulz. Er macht sich dafür stark, den Kulturgürtel in der Stadt stärker kenntlich zu machen.

Foto: Andreas Endermann

Der Generalintendant des Schauspielhauses,Wilfried Schulz, über seine Ideen für das vielfältige Zusammenleben in Düsseldorf im Jahr 2030.

Wenn wir im Augenblick im Theater Projekte und Inszenierungen auf die Bühne stellen, die in die Zukunft schauen, dann handelt es sich zumeist um sogenannte Dystopien, Szenarien der Angst, des Misstrauens in die menschliche Vernunft, des Entgleitens jeglichen Maßstabs unseres Lebens. Die Suche nach der Utopie ist auch in der Literatur und der bildenden Kunst selten geworden und findet sich eher auf Immobilienmessen, bei den Drohnenbastlern und in den Autozeitschriften wieder. Dass dieses vorausdenkende Nachdenken fehlt, ist Ausdruck großer Verwerfungen und Zerrissenheit in unserer Welt, grenzenloser Hilflosigkeit von Politik und gierigster materieller Interessen. Solidarität und Empathie schrumpfen, das Ego wächst, Leben auf der Überholspur und mit Lichthupe.

Wer kann uns retten, wer macht den Blick auf die Zukunft wieder lustvoll, wo wächst Neugier und die einfache Frage danach, wie wir leben wollen? Ein guter Trick ist es, erst einmal die Perspektive oder den Rahmen zu ändern, die Probleme neu zu "framen", die Utopien im Alltag zu begründen. Also reden wir nicht von der Welt, sondern von unserem Düsseldorf, schauen wir auf die Stadt wie auf eine Modelleisenbahn-Platte, und die Realität scheint uns beherrschbarer.

Träumen wir uns zum Beispiel ein wenig die Kunst und die Kultur zurecht. Auch als Übungsfeld einer selbstbewussten streitlustigen Demokratie, Labor für Experimente des Lebens, Trainingsraum für Einfühlung und Raststätte der Reflexion. Vielleicht können dann Kunst und Kultur der Kitt, die Klammer sein, die hilft, unsere Gesellschaft zusammen zu halten: Konzertsäle, Museen, Tanzhäuser, Theater, Bürgerbühnen, Akademien, Kulturzentren wären gemeinsame Orte, wo man das Verschiedene erfährt. Dieses immer noch halbwegs entspannte, angenehm heterogene Düsseldorf hätte das Potenzial.

Kleine Träume. Düsseldorf lässt die stumpfe Debatte darüber, ob es eine Stadt des Geldes, eine Mode- oder Messe- oder Sportstadt ist, oder was auch immer, und bekennt sich zur nicht gegeneinander auszuspielenden Vielfalt des Lebens, die sich in der Struktur und im Selbstbewusstsein der Stadt niederschlägt. Damit wäre man auf dem Weg zur Metropole, deren Kennzeichen Diversität ist. Die Stadt bekennt sich und schmiedet Pläne rund um die Kultur: Hochkultur, Populärkultur, Interkultur; ihre kluge Verknüpfung wird zum "Freistellungsmerkmal" Düsseldorfer Politik. Die innovativsten und durchsetzungsstärksten Politiker aller Parteien, die sich in der Kulturpolitik versammelt haben, weil sie wissen, dass man dort Karriere machen kann, erledigen mit einem Zehn-Jahres-Plan die ewige Diskussion um undichte Dächer, modernde Mauern, fehlende Proberäume, notwendige Brandschutzmaßnahmen. Und in diesem Bewusstsein, dass Kultur gewachsen ist und der Aufmerksamkeit und Pflege bedarf, dass Gebäude nun einmal altern, auch wenn die Menschen darin immer wieder jung und ideenreich sind, werden Akzente für die Zukunft gesetzt, denn in die Zukunft muss man investieren, damit sie eine wird.

Ja, vielleicht braucht es eine neue Oper. Kulturgebäude sind Zeichen, die vom Zustand einer Gesellschaft erzählen. Aber es gibt auch Ansätze und Chancen, die schon auf der Hand liegen und die es gilt, deutlich konzeptionell zuzuspitzen. Zum Beispiel der Kulturgürtel mitten in der Stadt zwischen Einkaufsmeile, Hofgarten und Altstadt: Schauspielhaus, Oper (ist sie dann noch dort?), Kunstsammlung NRW, Kunsthalle, Filmmuseum, die vielen benachbarten Galerien und Institutionen.

Diese Zone kenntlich zu machen, strahlen zu lassen, zu verbinden, zu bewerben, Heart of the City/Art of the City, wäre eine Aufgabe. Bewusst gekontert wird dies durch einen zweiten Gürtel am Bahnhof entlang, einem symbolischen Ort der Vielfalt, der Ankunft und des Aufbruchs. Hier steht nicht der Glanz, sondern das Unfertige, die Transformation der Gesellschaft und ihrer Kultur im Vordergrund. Vom Tanzhaus bis zur neuen Stadtbibliothek, vom Central des Schauspielhauses bis zur "Botschaft", vom FFT und dem neuem Theatermuseum bis zum Kino und zum Capitol. Zwischen den kleinen Hotels und den türkischen und asiatischen Restaurants, den Obdachlosen und den Reisenden, den Taxiständen und dem Busbahnhof. Ist in unserer Stadt Entwicklung ohne die vielen negativen Aspekte der Gentrifizierung möglich? Die Verknüpfung dieser offenen und lebendigen Kulturmeile wird nicht Partial- oder vagabundierenden Investoreninteressen überlassen, sondern gemeinsam mit den Trägern und Nutzern entwickelt. Es könnte ein Herzstück moderner urbaner Kulturpolitik sein.

Die Stadt nimmt offensiv ihre Rolle als Landeshauptstadt auch in der Kultur an. Und sie begreift, dass Kunst und Kultur die intelligenteste, menschenfreundlichste und - ja, meinetwegen - beste Investition in den Zusammenhalt dieser auseinanderdriftenden Gesellschaft ist, dass Kunst Kreativität und Partizipation ermöglicht, dass sie humane Werte vermittelt, Debatten ermöglicht, ein spielerisches, schönes, verschwenderisches Lebensmitttel ist. Und im Gegenzug verpflichten sich für die Zukunft Kunst- und Kulturinstitutionen zu kooperieren, offen und transparent zu sein für die komplexe Stadtbevölkerung und diese in ihrer ganzen Vielfalt mit ihren Programmen und Angeboten einzuladen, die Stadtgesellschaft zu spiegeln. Nicht einfach? Wo gibt es übrigens im Jahre 2030 den Begegnungsort für die in Mentalität, Geschichte des Hierseins und sozialer Verortung so unterschiedlichen Communitys dieser Stadt, die aus Tradition und Erfahrung die Aufnahme des Fremden als Teil ihrer Lebenskultur begreift? Düsseldorf, das ist der Eindruck eines erst kürzlich Hinzugekommenen, profitiert heftig von den Menschen, die aus so unterschiedlichen Gründen in dieser Stadt Fuß gefasst haben.

Wie könnte - um den Rahmen noch ein wenig kleiner zu ziehen - ein Stadttheater 2030 aussehen? Diese Zahl ist übrigens gar nicht so weit entfernt, wenn man den üblichen Rhythmus von Idee, Planung und Realisierung öffentlicher Institutionen betrachtet. Es steht dann das Schauspielhaus immer noch und wieder hell und leuchtend, weich fließend und sich gut behauptend mitten auf dem Gustaf-Gründgens-Platz. Die Kinder toben über den Platz, die Menschen flanieren und verweilen. Das Foyer mit seinem wunderbaren Blick in den Hofgarten ist tagsüber geöffnet - zum Arbeiten, zum Reden, zum Spielen, zum Lernen. Die Menschen gehen vom Gründgens-Platz durch das Haus hin zum Hofgarten. In den Vorstellungen sitzen Zuschauer aller Generationen, Schichten und Communitys. Sie sehen neue und alte Stücke, merkwürdige Kunstformen, die Vermischung der Genres.

In manchen Produktionen spielen sie mit. Im Central am Bahnhof leuchten auf der Brücke Hunderte von Glühbirnen. Und ich sehe schon von der Straße aus interessante und fröhliche Menschen. Musik, Tanz, eine Bar, schrille und schöne Szenen. Und tagsüber natürlich viele Kinder und Jugendliche. Ein inter-kultureller Treffpunkt. Viele Sprachen und Gesichter... Das ganze Theater ist Alltag und ständiges Fest zugleich, jeder ist eingeladen und kann entscheiden, wie er teilnimmt. Es ist ein gemeinsamer Ort dieser Stadtgesellschaft.

Das ist doch gar nicht so kompliziert. Für uns. Für Düsseldorf.

(RP)
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