Auf dem Festival „Theater der Welt“ Anklage endet mit Versöhnungssong

„Ist mein Mikro an?" wird von Düsseldorfer Jugendlichen gespielt, wendet sich aber an Erwachsene, die für die Folgen des Klimawandels verantwortlich gemacht werden. Dennoch hat das kanadische Stück – das heute Abend noch gespielt wird – eine versöhnliche Botschaft.

 Szene aus „Ist mein Mikro an?“ von Jordan Tannahill und Erin Brubacher.

Szene aus „Ist mein Mikro an?“ von Jordan Tannahill und Erin Brubacher.

Foto: Th. Rabsch/Thomas Rabsch

Wie so manche Produktion für „Theater der Welt“ durchlebte auch das Stück „Ist mein Mikro an?“ durch den Aufschub des Festivals um ein Jahr einen Wandel. Als sich im Mai abzeichnete, dass dem kanadischen Team um Autor Jordan Tannahill und Regisseurin Erin Brubacher eine Reise nach Deutschland weiterhin nicht möglich war, kam Bassam Ghazi ins Spiel. „Man sagte mir, es gäbe da eine Produktion, die zu retten wäre“, erzählt der Regisseur und neue Leiter der in Stadt:Kollektiv umbenannten Bürgerbühne am Schauspielhaus. „Ich wusste, da warten 18 Jugendliche seit eineinhalb Jahren auf ihren Einsatz. Das hat mich darin bestärkt, die Produktion zügig zu übernehmen.“

Wie das gehen würde, war ihm zunächst nicht ganz klar. „Das Stück wurde eigens für das Festival geschrieben. Fünf kanadische Künstlerinnen hatten sich fast zwei Jahre mit der Konzeption beschäftigt und eng mit dem Autor zusammengearbeitet“, sagt Bassam Ghazi. „Das war eine gewachsene Gemeinschaft. Aber dann ergaben sich gute Gespräche, was nicht immer der Fall ist, wenn zwei Regie-Teams aufeinander treffen. Schließlich vertraute mir Erin Brubacher die Jugendlichen an.“ Sie alle kommen aus Düsseldorf und wurden noch vor Corona bei einem Casting in Anwesenheit der verantwortlichen Kanadier ausgewählt. Ein wenig hat sich die Gruppe seitdem verändert. Einer der Gründe war die einzige Bedingung des Autors. Die Akteure durften nicht über 18 Jahre alt sein und nicht wählen dürfen.

Dieser Zusammenhang stellt sich über das Thema des Stücks ein. Gespielt wird es von Jugendlichen, aber angesprochen sind die Erwachsenen. Mit ausschließlich jungem Publikum würde es nicht funktionieren, erklärt der Regisseur. Es brauche einen Gegenpol, denn es geht um die Folgen des Klimawandels. In einer Art Tribunal wird die ältere Generation in die Verantwortung genommen. Wichtigster Anklagepunkt: „Ihr habt die Regierungen gewählt, die den Klimawandel noch immer ignorieren, das werfen wir euch vor.“ Die Botschaft am Ende aber sei versöhnlich, ergänzt Bassam Ghazi: „Wir vergeben euch, doch es muss sich etwas ändern, und das geht nur gemeinsam.“

Die größte Herausforderung sei für ihn nicht das Einspringen gewesen, sondern die Verlegung der Aufführung auf den Gustaf-Gründgens-Platz. Ursprünglich sollte „Ist mein Mikro an?“ im Kleinen Haus gezeigt werden. Wenig sinnvoll mit nur 30 erlaubten Zuschauern. „Draußen herrschen andere Bedingungen und Aktions-Möglichkeiten“, beschreibt er. „Das hat Vor- und Nachteile. Im Saal stellt sich eine größere Konzentration ein, was für längere Textpassagen günstiger ist. Auf dem Platz kann man sich flexibler bewegen, aber dort ist es niemals ganz still. Ich selber mag diese Kulisse, nur muss man sich darauf einlassen.“

Definierte Rollen wurden von Jordan Tannahill nicht ausformuliert. Bei drei, vier Monologen könne man sich eine Figur vorstellen. „Es ist eher die kollektive Stimme von 18 Jugendlichen, die als eine Generation für sich sprechen.“ Was erfuhr Bassam Ghazi über ihre persönliche Haltung zum Klimawandel? „Ich wusste bei meinem späten Einstieg nicht, wer aus welchen Gründen mitmacht. Das wurde mir erst in Einzelgesprächen klar. Etwa die Hälfte ist aus Überzeugung für das Thema dabei oder selber aktiv. Andere wiederum wollten einfach nur Theater spielen.“

Die Handlung wird auch „Protestsongs“ mit Band-Begleitung transportiert, die musikalische Leitung hat Hajo Wiesemann. „Ohne diesen Beistand hätte ich das nicht inszeniert“, sagt Bassam Ghazi. „Wir legen einen musikalischen Teppich aus, allein der Versöhnungs-Song zum Schluss dauert fünf Minuten.“

Die bis zu fünf Stunden dauernden Proben an den extremen Hitzetagen forderten den Jugendlichen viel ab. Ein Motivationsschub sei da gelegentlich nötig gewesen. „Der kam auch von Einzelnen aus der Gruppe, je näher die Premiere rückte.“ Er sieht sich als „Nadelöhr der Kommunikation“ zwischen Festival, kanadischem Team und Schauspielhaus. Bis zuletzt lief vieles über Zoom, man war ständig in Kontakt mit Choreografin Cara Spooner und Regisseurin Erin Brubacher, die das Stück parallel mit 20 Jugendlichen für die kanadische Premiere am 7. September inszeniert. Ganze Passagen aus den Düsseldorfer Proben wurden per Video nach Toronto geschickt und dort kommentiert. „Für die Jugendlichen war dieser Austausch wichtig“, weiß Bassam Ghazi. „Sie waren seit den Osterferien intensiv mit dem Projekt beschäftigt, haben mit den Kanadiern immer auf Englisch kommuniziert. Da ist so viel Beziehungsarbeit reingeflossen.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort