Düsseldorf Ballons aus dem Weltall kitzeln die Phantasie

Düsseldorf · Im Jungen Schauspielhaus hatte Daniel Cremers Produktion "Die Wahrheit über alles, was es gibt" ihre umjubelte Premiere.

VON REGINA GOLDLÜCKE

Etwas ist anders vor dieser Premiere im Jungen Schauspielhaus. Auf den Rängen verteilen sich auffallend viele ältere Menschen. Sie bilden die größte Gruppe der Besucher. Jüngere Zuschauer haben sich zwar auch daruntergemischt. Aber die eigentliche Zielgruppe von "Die Wahrheit über alles, was es gibt" ist nur ganz spärlich vertreten: Kinder ab sechs Jahre. Das liegt am besonderen Charakter des Theater-Mobil-Projekts von Daniel Cremer. Bei "Gesprächen zwischen Sandkasten und Schaukelstuhl" spielen sieben Jungen und Mädchen gemeinsam mit vier älteren Damen und einem älteren Herrn. Dieser Brückenschlag der Generationen führt dazu, dass sich das Premieren-Publikum überwiegend aus den erwartungsvollen Familienangehörigen der Darsteller zusammensetzt.

Zunächst wird es bis auf einen dünnen Lichtstrahl zappenduster. Eine kecke Stimme stellt Regeln auf: Essen und Trinken sind verboten, Husten und Niesen sind einzustellen. "Bitte behalten Sie Ihre Hände bei sich", mahnt der Junge und funzelt mit seiner Taschenlampe. "Wenn ihr es langweilig findet, dann fragt warum - wahrscheinlich liegt es an euch." Danach passiert im tiefen Dunkel eine lange Weile gar nichts. Die Geduldsprobe wird von den in der ersten Reihe sitzenden Schauspielern mit lauten Rufen aufgebrochen: "Anfangen!" Da macht sich Paula auf den Weg und sucht nach dem Anfang, der so leicht nicht zu finden ist. Bis die rundliche Omi Lisa Pohl mit rheinischem Singsang und "isch" und "misch" Leben in die Bude bringt. Eine Sympathieträgerin, die sofort die Lacher auf ihrer Seite hat: "Der schwarze Klotz muss weg", mosert sie über die platte Bühne, "der ist schrecklisch." Der Ödnis begegnet sie mit einer Idee: "Ich könnte eine Geschichte erzählen." Begeistert springen ihre Mitspieler auf und scharen sich um sie.

Lisa Pohl berichtet anschaulich vom Wolkentheater, vom goldenen Käfer und seiner Angebeteten, vom missgelaunten Hahn und allerlei weiterem Getier. Sie überragt mit ihrer Munterkeit die Riege der erwachsenen Laien-Darsteller. Nicht alle Spielszenen glücken, einige geraten zu langatmig und angestrengt. Wenn Regisseur Daniel Cremer Karteikärtchen zückt und Fragen stellt, die von Jung und Alt hurtig beantwortet werden müssen, wird vieles bloß angekratzt, wo etwas mehr Reflexion gut getan hätte: Warum geht die Sonne auf? Warum schaffen es Menschen nur bis zum Mond? Wie würde die Welt aussehen, wenn alle blind wären? Aber es gibt auch ganz viele zauberhafte Momente. Die besten sind dem erfrischenden Nils Hansen zu verdanken. Mit originellen Schlenkern erklärt der Junge die Entstehung der Erde: "Sie wetzt sich ihre Nase an einem Planeten ab und furzt sich ihre eigenen Freunde." Mit den Wellen eines Tuches werden Gaswolken erzeugt, Ballons kullern als Brocken von Sternenstaub umher und simulieren die Geburt einer Sonne. Ertönt dann aus dem Off die sonore Stimme eines Physikers, der mit wissenschaftlicher Prägnanz Sternenstaub, Supernova und Universum erläutert, zeigt sich Nils wenig beeindruckt: "Meine Geschichte ist bühnenreifer, weil mehr Phantasie drinsteckt." Das finden die Zuschauer daraufhin natürlich auch.

Sehr hübsch gelingt ein Schattenspiel, das die Entwicklung der Menschheit mit ihren Errungenschaften nachvollzieht. Zum Schluss formiert sich ein bunt kostümiertes Trüppchen von Außerirdischen. Nach 150 Jahren Beobachtung auf der Erde reisen sie zurück ins Weltall und nehmen wichtige Erkenntnisse mit: "Ihr liebt Pizza, ihr hasst es, euch einzucremen und im Stau zu stehen."

Daniel Cremer und sein Team wollen mit diesem Stück alle wichtigen Fragen beantworten. Weil das ohnehin nicht gelingen kann, ergötzt man sich dafür an den kleinen Geschichten. Großer Jubel bei der Premiere über die spielfreudige Schar.

(RP)
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