HIV Alt werden mit dem tödlichen Virus

Düsseldorf · Harald Schüll ist 61, Kathi Feldner 49 Jahre alt. Beide infizierten sich in den 80er Jahren mit HIV. Überlebt haben sie dank moderner Medikamente und Therapien. Doch sie stellen fest, dass es in den nachfolgenden Generationen immer noch an Aufklärung mangelt.

 Langzeitpatienten und Aufklärer in Sachen Aids: Kathi Feldner und Harald Schüll von der Aidshilfe Düsseldorf.

Langzeitpatienten und Aufklärer in Sachen Aids: Kathi Feldner und Harald Schüll von der Aidshilfe Düsseldorf.

Foto: RP, Andreas Endermann

Harald Schüll lebt in einer hellen, geschmackvoll eingerichteten Maisonette-Wohnung in Pempelfort. Er ist Kunstliebhaber, vor allem die Düsseldorfer Künstlergruppe Zero hat es ihm angetan. An den Wänden seiner Wohnung hängen Bilder von Günther Uecker und Otto Piene. Harald Schüll führt auf den ersten Blick ein ganz normales bürgerliches Leben.

Doch das Gegenteil ist der Fall, an Normalität ist gar nicht zu denken. Harald Schüll hat Aids, und er gehört zur ersten Generation der Infizierten. 1983 hat er sich bei einem Mann angesteckt und Glück im Unglück gehabt, dass die Krankheit erst nach mehr als zehn Jahren Inkubationszeit ausbrach. Er ist jetzt 61 und hat die meisten Infizierten dieser ersten, todbringenden Aids-Welle lange überlebt.

Auch Kathi Feldner lebt schon seit mehr als zwanzig Jahren mit dem HI-Virus. Sie war drogenabhängig, infizierte sich mit verseuchtem Besteck. Beide engagieren sich seit Jahren in der Düsseldorfer Aidshilfe, Schüll hat sie 1985 mit gegründet.

Noch knapp drei Jahre zu leben

Wenn die beiden an den Tag zurückdenken, als sie ihre Diagnose bekamen, fällt ihnen spontan nur ein Wort ein: Panik. Und: "Jetzt ist alles vorbei." Eine Aids-Diagnose in den 80er Jahren kam einem Todesurteil gleich. Als bei Schüll 1994 die Krankheit ausbrach, erklärte man ihm, er habe noch knapp drei Jahre. "Ich habe natürlich sofort nachgerechnet: Juli 1997", sagt er. Dass sowohl er als auch Kathi Feldner immer noch leben, ist der modernen Medizin zu verdanken.

Während es in den 80er Jahren nur so genannte Monotherapien gab, die eingesetzt wurden, um die Virus-Vermehrung zu behindern, wird die Immunschwäche inzwischen mit einem ganzen Heer von Medikamenten behandelt. Das ist Segen und Fluch zugleich. Vor allem Kathi Feldner leidet oft unter schwerwiegenden Nebenwirkungen. "Aber im Moment geht es mir gut. Meine Viruslast ist unter der Nachweisgrenze", sagt sie. Große Sprünge kann sie trotzdem nicht machen. "Ich plane nicht mehr als drei Monate im Voraus", sagt sie. Niemand kann vorhersagen, wie lange sie den jeweilligen Medikamentenmix verträgt. Beim nächsten Test kann alles schon wieder ganz anders sein.

Auch Harald Schüll, bei dem die Krankheit voll zum Ausbruch kam, muss täglich Medikamente nehmen — auch gegen das, was erst durch Medikamente ausgelöst wurde. "Ich habe eine Nervenentzündung an Beinen und Armen bekommen. Ich wäre beinahe im Rollstuhl gelandet, weil ich nicht mehr laufen konnte." Erst eine Veränderung der Medikamenten-Therapie brachte Erleichterung. "Manchmal kommt man sich schon vor wie ein Versuchskaninchen", findet Kathi Feldner. Doch das ist leichter zu ertragen als die immer noch weit verbreitete Tabuisierung und damit einhergehende Unkenntnis der Krankheit. Und nach wie vor überlegen sich Erkrankte sehr genau, wem sie davon erzählen. Ärzte sind meist erste Ansprechpartner, in Großstädten gibt es inzwischen genügend Spezialisten.

Aber auch in Düsseldorf wurden Patienten in den ersten Jahren nach bekanntwerden von Aids wie Aussätzige behandelt. "Kommen Sie als letzter, wir müssen danach die Praxis desinfizieren", war so ein Standard-Satz. Kathi Feldner wollte offen mit der Diagnose umgehen, weihte ihren Arbeitgeber ein, weil sie ihn für einen aufgeschlossenen Menschen hielt. Die Auswirkungen ihrer Offenheit bekam sie gnadenlos zu spüren. "Kollegen haben mich gemieden, wollten nicht mal mehr mit mir an einem Tisch Kaffee trinken, hatten Angst, diesselbe Toilette zu benutzen." Aids — das war die "Lustseuche", wer's bekam, war selber schuld.

Schüll und Feldner ließen sich dennoch nicht unterkriegen. Und natürlich ist es mit ihrer Krankheit so wie mit anderen schweren Erkrankungen auch. "Man sortiert aus. Man wird gezwungen darüber nachzudenken, was man im Leben noch schaffen kann." Schüll reiste noch vor Ausbruch der Krankheit nach Asien, als Aids-Kranker sogar zu den "Gay Games" nach Sydney. Ein bisschen Harakiri, da stimmt er zu, denn er wusste nicht, wie stabil sein Immunsystemsein würde.

Jetzt, mit 61 und nach einer überstandenen Krebs-Operation, lässt er es ruhiger angehen. Die vielen Medikamente fordern ihren Tribut. "Ich bin nicht mehr so leistungsfähig, kann mich nicht mehr so gut konzentrieren" sagt er. Auch Kathi Feldner weiß, dass sie mit ihren Kräften haushalten muss. "Ich bin viel draußen. Und wenn ich's mir leisten kann, gehe ich ganz gerne auf Konzerte." Weiter weg traut sie sich nicht. Dafür hängt sie zu sehr am Leben. "Ich hoffe, dass ich die 70 erreiche", sagt Schüll und lächelt demütig. Seine Todesangst hat mit den Jahren nachgelassen.

(RP)
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