Serie: Unser Rhein Als die Schiffe den Fluss hinaufgezogen wurden

Düsseldorf · Zwischen Kaiserswerth und Wittlaer steht ein leer stehendes Fachwerkhaus, das Ausflüglern Rätsel aufgibt.

 Die Rheinfront bei Kaiserswerth: Hinter den grünen Bäumen links befindet sich das leer stehende Fachwerkhaus.

Die Rheinfront bei Kaiserswerth: Hinter den grünen Bäumen links befindet sich das leer stehende Fachwerkhaus.

Foto: Kaluza

Die grauen Holzfensterläden in der ersten Etage sind geschlossen, die Scheiben im Erdgeschoss zugeklebt. Büsche haben den Weg zur Eingangstür überwuchert. Jeder Versuch, hinter die Fassade dieses Hauses zu schauen, ist vergeblich. Das "Geisterhaus" nennen einige das Gebäude, das am Leinpfad von Kaiserswerth nach Wittlaer in Höhe des Stromkilometers 757 nah am Rheinufer steht. Sichtlich unbewohnt, aber gut in Schuss. Was ist - oder war - das für ein Gebäude, das als Haus Werth in die Denkmalliste der Stadt eingetragen ist?

AD 1775 steht in Eisenankern auf der Wand der Nordseite, und verschlungen die Buchstaben C und T. "Das sind die Initialen von Kurfürst Carl Theodor von Pfalz-Sulzbach," sagt Bruno Bauer, Mitglied im Heimat- und Kulturkreis Wittlaer und Herausgeber der Heimatjahrbücher. 1775 ließ der damalige Landesherr das Haus am Rhein renovieren. Das ist urkundlich verbürgt.

 Bruno Bauer vom Heimat- und Kulturkreis Wittlaer hat viel zur Geschichte von Haus Werth geforscht.

Bruno Bauer vom Heimat- und Kulturkreis Wittlaer hat viel zur Geschichte von Haus Werth geforscht.

Foto: Bretz, Andreas

Einer Gedenktafel an der Fassade zufolge wurde in diesem Jahr auch erstmals eine Treidelstation der Rheinschiffer an Haus Werth erwähnt. Diese Annahme stützt sich nach Bruno Bauers Auffassung auf mündliche Überlieferung, "die allerdings immer wieder in der Literatur auftaucht". Eine große Treidelstation habe es nachweislich im benachbarten Kaiserswerth gegeben.

Treideln, so nannte man es früher, als es noch keine oder wenige Dampfschiffe gab, wenn Schiffe von Menschen und Tieren auf Wasserwegen flussaufwärts gezogen wurden. Die Treidelseile waren am Schiffsmast befestigt, durften weder das Wasser noch den Uferboden berühren. Auf dem Treidelpfad am Flussufer zogen Pferde und Treidelknechte die Schiffe an den Seilen stromaufwärts. Ihre Arbeit war hart und gefährlich, so dass Mensch und Tier in regelmäßigen Abständen Pausen brauchten. Die legten sie an den Treidelhäusern ein, die meist von den Pächtern landwirtschaftlicher Gehöfte betrieben wurden.

Das Wittlaerer Werth war damals eine Insel (das alte Wort dafür ist Werth), gebildet vom Rhein und einem östlichen Nebenarm, der sich von Kaiserswerth bis zur heutigen Schwarzbachmündung zog. Haus Werth bestand ursprünglich aus dem Wohnhaus (das heute noch steht), einer Scheune und einem Schuppen unten am Rheinufer. Dort wurden vermutlich die Pferde gewechselt und die Reiter beköstigt. Ein Relief des Künstlers Hannes Esser am Zugang von der Rheinpromenade zum Kaiserswerther Markt veranschaulicht, wie es beim Treideln zuging.

Welch' reger Verkehr am Fluss zwischen Kaiserswerth und Wittlaer geherrscht haben muss, hat Bruno Bauer für das Heimatbuch Wittlaer 1985 recherchiert: Demnach war noch im 19. Jahrhundert der Rhein acht Monate im Jahr schiffbar. Durchschnittlich passierten den Rhein an der Wittlaerer Werth "täglich drei Kohle-Nachen, jeder im Durchschnitt vier Pferde, jede Woche drei holländische und Lastschiffe, jedes mit acht Pferden im Durchschnitt, macht also 3760 Pferde pro Jahr".

Die Expansion der Dampfschifffahrt macht dem Treideln ein Ende. "Es war ein schleichender Prozess, bis der Betrieb zwischen 1840 und 1850 zum Erliegen kam. Das genaue Datum ist nicht verbürgt", so der ehemalige Förderschulkonrektor und Hobbyhistoriker. Durch Hochwasser, Abspülungen und Eisgang wurden Scheune und Stall von Haus Werth zerstört. Der damalige Treidelpfad liegt heute im Rhein.

Das Wohngebäude überdauerte die Zeiten und wechselte etliche Male die Besitzer. 1829 kaufte der Gutsbesitzer Heinrich Schmitz aus Ilverich Hof und Land: "An Gärten und Obstgarten 16, Ackerland 41, Wiesen 43, Wardholz 68 und an Wasser und Leinpfad 39 Morgen", wie Jakob Kau in der Publikation "Zwischen Angerbach und Schwarzbach" 1975 auflistete. Schmitz' Nachkommen veräußerten die stattliche Liegenschaft 1887 an Kommerzienrat Friedrich Wilhelm Haniel aus Ruhrort.

Das Duisburger Industrieunternehmen habe Ende des 19.Jahrhunderts zwischen Kaiserswerth und Bockum in großem Stil Land gekauft, erzählt Bauer: "Von einem Hüttenwerk mit Hochofen war die Rede. Und von einem Industriehafen am Wittlaerer Werth." Bohrungen nach Kohle und Erz brachten aber nicht das erwünschte Ergebnis, "Bergbau- und Hüttenprojekt standen finanziell auf schwachen Füßen, so dass die Pläne vom Industriestandort aufgegeben wurden", sagt Bauer.

Friedhelm Haniel, der unter anderem das Wittlaerer Werth erbte, hatte - anders als seine Familie - kein Interesse an einer ökonomischen Verwendung seines Landbesitzes. Er schlug aus der Art und wurde Kunstmaler. 1925 verkaufte er das Werth an die Stadt Duisburg, die das Gelände von da an als Wassereinzugsgebiet für das Wasserwerk Wittlaer nutzte. "Vermutlich haben wir es Friedhelm Haniel zu verdanken, dass dieses landschaftliche Kleinod erhalten blieb", sagt Bruno Bauer.

Letzter Bewohner von Haus Werth war Josef Brand, dessen Eltern die Gaststätte "Brands Jupp" in Wittlaer besaßen. Josef Brand war "der letzte Fischer von Haus Werth".

1956 kündigten die Stadtwerke Duisburg ihrem Mieter. Haus Werth war dem Verfall preisgegeben. Als das marode Haus 1983 abgerissen werden sollte, habe es einen heftigen Bürgerprotest gegeben, so Bruno Bauer. Der Eigentümer lenkte ein; das Haus wurde abgetragen und neu aufgebaut, das Innere entkernt.

Leben gibt es in Haus Werth schon lange nicht mehr. "Das Gebäude steht unter Denkmalschutz, und wir pflegen es, es gibt aber keine konkrete Planungen für eine Nutzung", sagt Thomas Nordiek, Pressesprecher der Stadtwerke Duisburg. So wird das ansehnliche Anwesen am Leinpfad wohl bleiben, was einige in ihm sehen: ein "Geisterhaus".

(RP)
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