Nach Veröffentlichung der Täterstimmen 30 neue Hinweise zum Mord in Hassels
Düsseldorf · Die Veröffentlichung der Stimmen der Männer, die in Hassels zwei Menschen erschossen haben, hat der Polizei zahlreiche neue Spuren eingebracht, darunter zwei konkrete. Mit den Techniken der forensischen Phonetik konnten die Stimmen aus einem unverständlichen Notruf gefiltert werden.

Doppelmord in Hassels ist aufgeklärt
Mehrere Dutzend Mal haben die Telefone bei der Mordkommission "Altenbrück" geklingelt, seit die Polizei zwei kurze Stimmsequenzen der Männer veröffentlicht hat, die am 17. Juni Rentner Helmut S. (82) und seine Tochter Mara (39) mit Kopfschüssen töteten. 30 neue Hinweise auf die beiden Unbekannten waren darunter. "Es gibt einzelne vage Hinweise auf Personen, aber auch zwei neue, konkrete Spuren zu am Tatort geparkten Fahrzeugen mit auswärtigen Kennzeichen", sagte Polizeisprecher Wolfgang Wierich. Für jeden Hinweis werde nun eine Spurenakte angelegt, die dann je einem Team zugeordnet wird: "Die Hinweise zu den Autos haben dabei höchste Priorität."
250 000 Notrufe pro Jahr
Die kurzen Sprachfetzen — erst ist "Ich will nichts hören (und) sonst gibt's Ärger" zu hören, dann "Nichts passiert" — wurden aus einem zunächst unverständlichen Notruf herausgefiltert, den Mara S. kurz vor ihrem Tod mit ihrem Handy abgesetzt hatte. Ihre Nummer war nicht unterdrückt. "Zu verstehen war dabei nichts", sagte Wierich. "Sie muss das Handy weit von sich weggehalten haben." Da auch der Beamte in der Leitstelle nichts hörte und sich trotz mehrmaligen Nachfragens am anderen Ende niemand meldete, wurde der Ruf zunächst nicht zurückverfolgt. Erst später, als das Handy der Toten gefunden wurde und man feststellte, dass die letzte gewählte Nummer die 110 war, wurden die gespeicherten Notrufe der Leitstelle neu untersucht. "Es gehen bei uns pro Jahr 250 000 Notrufe ein. 46 Prozent davon haben polizeiliche Einsätze zur Folge", sagte Wierich. "Wenn es einen Anlass gibt, einem Notruf nachzugehen, tun wir das." Binnen 15 Minuten stehe dann die so genannte Wabe fest, in dem sich der Anrufer befindet, eine genauere Ortung benötige noch mehr Zeit.
Mit hohem technischen Aufwand wurde der Notruf beim Landes- und Bundeskriminalamt (BKA), einem privaten Tonstudio und einer Expertin der Uni Trier bearbeitet und analysiert. Möglich macht dies die so genannte forensische Phonetik. Das Gutachten hatte ergeben, dass der erste Mann, der zu hören ist, in Norddeutschland aufgewachsen sein dürfte, der zweite aus Hessen oder Thüringen stammt.
Als Experte für forensische Phonetik schlechthin gilt Hermann-Josef Künzel von der Uni Marburg. Fast 20 Jahre lang leitete er beim BKA die Abteilung für Sprecher-Erkennung, an vielen großen Kriminalfällen von der Reemtsma-Entführung bis zum Kaufhaus-Erpresser "Dagobert" war er beteiligt. "Zunächst werden mit elektronischen Filterverfahren die Frequenzen herausgefiltert und verstärkt, die der Stimme zuzuordnen sind", sagt er. "Gleichzeitig versucht man, Hintergrundgeräusche herauszufiltern." Spezialsoftware zerlegt Stimmen in Zahlen, Daten und Kurven, die akustischen Signale werden in Form von Spektrogrammen sozusagen sichtbar. Problematisch: Die Frequenz von Störungen überlappt zumeist mit dem der Sprache. "Der Sprung von der Unverständlichkeit eines Originals zur störungsfreien Verständlichkeit der elektronisch verbesserten Kopie bleibt fast immer Illusion", sagt Künzel.
Ist das akustische Signal verstärkt, folgt die Stimmenanalyse — quasi an die Erstellung eines akustischen Fingerabdrucks. Denn Dutzende von Merkmalen können eine Stimme unverwechselbar machen. Untersucht werden organische (etwa die Stimmfrequenz), grammatische (etwa der Dialekt; dafür gibt es spezielle Datenbanken) und habituelle Merkmale (Sprachmelodie oder -tempo). Geschlecht, Alter, regionale Herkunft und fremde Muttersprachen können so, je nach Menge und Qualität des Materials, näher bestimmt werden. "Die Klangfarbe jedes einzelnen ,Äh' kann relevant sein", sagt Künzel. So deute ein stimmloses ,B' etwa auf den mitteldeutschen Dialektgürtel hin, der vom Saarland bis nach Schlesien verläuft, anhand der Betonung des Doppelvokals ,ei' sei ein Kölner relativ leicht von einem Düsseldorfer zu unterscheiden.