Düsseldorfer Porträt Der 100-Jährige, der vom Himmel fiel

Kaiserswerth · Herbert Spiller aus Kaiserswerth wünschte sich zu seinem runden Geburtstag einen Fallschirmsprung. Er bekam ihn, alles ging gut. Jetzt denkt er bereits über den nächsten nach – mit 101.

 Aus rund 3500 Metern sprang Herbert Spiller über Stadtlohn aus dem Flieger, im Tandem mit einem professionellen Springer.

Aus rund 3500 Metern sprang Herbert Spiller über Stadtlohn aus dem Flieger, im Tandem mit einem professionellen Springer.

Foto: diakonie/Diakonie

Herbert Spiller ist geistig noch voll auf der Höhe, und das ist einem 100-Jährigen nicht unbedingt vergönnt. Körperlich ging es ihm schon mal besser, ein Oberschenkelhalsbruch braucht halt seine Zeit, bis er verheilt ist. Ohne Rollstuhl geht es meistens nicht. Das ist für Spiller aber kein Grund, Trübsal zu blasen, darauf zu verzichten, Pläne zu schmieden. „Ich tue alles, um fit zu werden, ich will ja auch wieder schwimmen und tanzen“, sagt der rüstige Senior, der seit einigen Monaten im Stammhaus Kaiserwerth der Diakonie lebt. Zu seinem 100. Geburtstag hatte der gelernte Friseur aber noch einen weiteren Wunsch: einen Fallschirmsprung.

Das klingt ein bisschen verrückt, wer aber die Biografie von Herbert Spiller kennt, versteht ihn. Seine Kindheit verbachte er in Oberschlesien, 1939 beendete Spiller seine Friseurlehre. Im Zweiten Weltkrieg meldete er sich freiwillig bei den Fallschirmjägern, „damals wollte jeder Junge Soldat werden, die Kasernen waren voll“, erzählt er heute. Die Abenteuerlust war es, die ihn gepackt hatte, nicht die Überzeugung, für das Vaterland notfalls sein Leben zu geben. Dazu kam es ohnehin nicht, nur zu ein paar Übungssprüngen, acht Stück waren es, um genau zu sein. Vor der Schlacht von Monte Casino wurde er krank, und als der Krieg schließlich zu Ende ging und sich die Truppe geschlossen den Amerikanern ergeben wollte, floh er, aus Angst, doch noch in russischer Gefangenschaft zu landen. Er ging über die Alpen, übernachtete bei Bauern, schaffte es irgendwie über die italienische Grenze. Zwei Tage war er in Gefangenschaft, dann frei. „Ich hatte viel Glück“, räumt er ein.

Glück war es wohl auch, dass das mit dem Fallschirmspringen nie so richtig geklappt hat, denn die Überlebensrate bei der Elitetruppe war nicht sehr hoch. Das Fallschirmspringen hat ihn aber trotzdem nie losgelassen, auch als er längst wieder als Friseur arbeitete. Seine Frau starb früh, da war er gerade mal 60 Jahre alt, statt zu jammern („Das ist nicht meine Art“), reiste der ehemalige Vennhauser viel, Fernreisen nach Kanada, Ägypten und in die Dominikanische Republik waren darunter. Er machte mit über 70 noch seinen Tauchschein, er tauchte durch Wracks in der Südsee. Und er tanzte Rock’n’Roll im Zakk, schwamm jeden zweiten Tag in der Münstertherme, genehmigte sich auf der Bolkerstraße ein Bierchen – und erinnerte sich mit 95 wieder an seine heimliche Leidenschaft: Er wollte nach rund 70 Jahren wieder einen Fallschirmsprung machen, im Tandem mit einem professionellen Springer. Der Traum ging in Erfüllung.

 Was Herbert Spiller so am Fallschirmspringen fasziniert, „ist diese frische Luft, das Gefühl zu fliegen, diese grenzenlose Freiheit am Himmel“.

Was Herbert Spiller so am Fallschirmspringen fasziniert, „ist diese frische Luft, das Gefühl zu fliegen, diese grenzenlose Freiheit am Himmel“.

Foto: diakonie/Diakonie

Zum 100. sollte es jetzt also eine Wiederholung geben, und die Unterstützung seines neuen Zuhauses hatte er dabei: „Wenn es irgendwie möglich ist, dass Herr Spiller noch mal springt, werden wir alles dafür tun, dass sein Wunsch in Erfüllung geht“, hatte Heimleiter Klaus Patzelt im Vorfeld betont. „Und wenn der Arzt sein Okay gibt, sind wir natürlich dabei.“ Er gab grünes Licht.

Der Sprung sollte über den Dächern von Stadtlohn stattfinden, aber die Vorzeichen waren ungünstig. „Das Wetter war so schlecht, dass der Sprung eigentlich nicht stattfinden sollte“, berichtet Nina Hundert. „Wir sind trotzdem dahin gefahren“, erzählt die Leiterin der Sozialen Dienste am Stammhaus der Diakonie, die zu einem kleinen Fanclub mit Pflegern, Freunden, Familie zählte, der den tollkühnen Springer aus Kaiserswerth begleitete. „Und als wir ankamen, riss die Wolkendecke auf“, sagt Hundert, die überrascht war, wie wenig nervös Spiller war, „zumindest hat er sich nichts anmerken lassen“.

 Der 100-Jährige ist wieder am Boden, alles ist gut gegangen. Kaum hatte sich Spiller beruhigt, plante er schon den nächsten Sprung – mit 101 Jahren.

Der 100-Jährige ist wieder am Boden, alles ist gut gegangen. Kaum hatte sich Spiller beruhigt, plante er schon den nächsten Sprung – mit 101 Jahren.

Foto: diakonie/Diakonie

Es ging dann alles gut, „diese frische Luft da oben in 3500 Metern Höhe“, war der erste Satz, den Spiller von sich gab, als er wieder am Boden war. Der 100-Jährige war im Anschluss regelrecht euphorisch: „Die Freiheit, die Welt von oben zu sehen, das ist wie Fliegen“, das habe ihn sofort wieder fasziniert. Die Arme hat er hochgerissen, sich unheimlich gefreut, natürlich auch, dass er heil gelandet war. Und kaum hatte sich der Puls wieder beruhigt, sprach Herbert Spiller schon vom nächsten Sprung, spätestens zum 101. Geburtstag. „100 Jahre sind ja nicht das Ende“, sagt er.

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