Dormagen Weniger Kinder aus Familien genommen

Dormagen · In Nordrhein-Westfalen ist die Zahl von Kindesmisshandlung und -vernachlässigung in 2014 um 3,5 Prozent gestiegen. In Dormagen werden weniger Kinder aus der Familie geholt. In diesem Jahr gab es noch keinen Fall von Misshandlung.

Im vergangenen Jahr prüften die Behörden in Nordrhein-Westfalen mehr als 31.600 Verdachtsfälle von Kindermisshandlung und -vernachlässigung. 3,5 Prozent mehr als 2013. Die gestiegenen Zahlen sind nach Einschätzung des Kinderschutzbundes eine Folge davon, dass genauer hingeschaut wird. So wie in Dormagen, wo man seit Jahren viel Wert auf Prävention im Rahmen des Dormagener Modells legt. Der Erfolg wird dort unter anderen in Stunden bemessen: Waren es 2012 insgesamt 495 Stunden, in denen Kinder zeitweise aus ihren Familien genommen werden mussten, waren es 2014 nur noch 220 Stunden. "Die Zahl von Kindesmisshandlungen liegt in diesem Jahr bei null", sagt Jugend- und Sozialdezernent Gerd Trzeszkowski. "Anfang der 2000er Jahre waren es bis zu zehn pro Jahr." Ein Erfolg der "Frühen Hilfen", sagt die Stadt. Dagegen argumentiert der Bielefelder Erziehungswissenschaftler Holger Ziegler, der sagt, dass "solche Programme vor allem in der Mittelschicht erfolgreich sind".

"Stimmt nicht", hält Trzeszkowski dagegen. Denn in Dormagen werden aktuell 96 Prozent aller Eltern mit dem bundesweit bekannten "Baby-Begrüßungspaket" erreicht. Mit der Geburt eines Kindes erhalten die Eltern einen Brief von Bürgermeister Erik Lierenfeld. Der enthält neben einer Gratulation auch das Angebot des Besuchs eines Sozialarbeiters mit diesem Begrüßungspaket. Darin steckt nicht nur ein Plüsch-Elefant oder ein Rauchmelder, sondern auch ein "Eltern-Begleitbuch". Darin gibt es "Informationen zu wirtschaftlichen Hilfen für Eltern, zu Elternzeit oder auch zum Kita-Platz", sagt Sozialarbeiter Hartmut Wieck. Sein Besuch wird förmlich erwartet - von Familien aller Einkommensgruppen. "Diese Besuche sind keine Kontrolle", betont Amtsleiterin Martina Hermann-Biert. Wenn sich in den Gesprächen vor Ort herausstellt, dass es ein Problem gibt, werden beispielsweise Beratungsstellen empfohlen. "In den seltensten Fällen gibt es einen Grund zum sofortigen Einschreiten, wenn uns Verdachtsfälle von Dritten gemeldet werden", so Hermann-Biert.

Mit einem völlig neuen Klientel sieht sich der Jugend- und Sozialbereich konfrontiert: Von den gut 450 Flüchtlingen, die in Dormagen ein neuen Zuhause finden, sind 53 in schulpflichtigem Alter und weitere 50 unter sechs Jahren. Neben Sprachbarrieren haben die Rathaus-Mitarbeiter auch mit den Folgen von Flucht und erlebter Gewalt zu kämpfen. Wie bei der Afrikanerin, die mit vier Kindern hier gelandet und traumatisiert ist. "Wir haben Glück, dass ein afrikanisches Sozialarbeiter-Ehepaar sich ehrenamtlich um sie kümmert", erzählt Hermann-Biert. Oder da ist der fröhliche Junge, der immer dann plötzlich zu weinen beginnt, wenn in der Kita um 12 Uhr das Essen auf den Tisch kommt. Für die hohe Zahl der unbegleiteten Minderjährigen wird Unterstützung von Freien Trägern benötigt. "Wir werden unser Spektrum erweitern müssen und brauchen auch spezielle Hilfen", weiß Dezernent Trzeszkowski.

(schum)
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