Heimat entdecken in Dormagen Unterwegs mit Hellebarde und Laterne

Dormagen · Eine Attraktion in Zons sind die Nachtwächterführungen, die auch bei schlechtem Wetter regelmäßig viele Touristen anlocken. Die Herren in ihren dunklen langen Mänteln haben immer viel zu erzählen, auch so manche Anekdote.

Heimat entdecken in Dormagen: Unterwegs mit Hellebarde und Laterne
Foto: Jazyk, Hans (jaz)

Es wird langsam dämmrig. Der wolkenverhangene Himmel lässt es vorzeitig dunkeln. Nieselregen fällt auf die Gassen der historischen Altstadt. Es ist kühl, zu kühl für die Jahreszeit. Harald Schlimgen steht am Eingang der Touristen-Information an der Schloßstraße und wartet auf die letzten Gäste. Rund ein Dutzend Interessierte haben sich trotz des widrigen Wetters an diesem Abend eingefunden, um von einem zertifizierten Nachtwächter allerlei Wissenswertes über Zons zu erfahren. "Wir sind auf jedes Wetter vorbereitet", sagt Schlimgen und rückt seinen Hut zurecht. In der einen Hand trägt er eine Laterne gegen die aufziehende Dunkelheit, in der anderen Hand hält er eine Hellebarde, wie es sich für Leute seiner Zunft gehört.

Längst nicht für jeden Teilnehmer dieser Führung ist Zons die eigene Heimat. Manch ein Besucher kommt von weit her, um den Worten des Nachtwächters zu lauschen und sich ins graue Mittelalter entführen zu lassen. Der Nachtwächter, so weiß Schlimgen zu erzählen, war früher in der Hierarchie der Gesellschaft ziemlich weit unten angesiedelt. Er ging einer "unehrlichen Arbeit" nach, hieß es. Nicht allerdings etwa, weil er lügen oder stehlen würde, sondern weil er seinen Lebensunterhalt statt mit körperlicher Arbeit mit Herumstehen und Wache schieben verdiente. "Er war nur wenig angesehener als ein Henker", berichtet Schlimgen, der im Hauptberuf eigentlich Pressesprecher von Dormagen ist. Nachtwächter mussten bei Wind und Wetter gleich mehrere Aufgaben erfüllen. Sie waren so etwas wie Ordnungshüter und achteten darauf, dass in der Dunkelheit niemand durch die Gassen schlich, der da nichts zu suchen hatte. Gleichzeitig herrschten sie über die Zeit, als Uhren noch eine Seltenheit und Wecker noch gar nicht erfunden waren. Viele verdienten sie ein Zubrot, indem sie die Bauern morgens aus dem Bett holten, damit diese zeitig ihre Kühe melken konnten.

Bereits seit fünf Jahren geht Harald Schlimgen mit dem Segen seines Arbeitgebers seiner abendlichen Nebentätigkeit nach, zusammen mit vier weiteren Nachtwächtern. Dabei habe der gelernte Historiker in dieser Zeit auch selbst noch vieles erfahren, was er vorher über Zons noch nicht wusste, sagt er. Vor allem von Hermann Kienle, auf dessen Initiative hin diese Touristenattraktion 2004 in Dormagen etabliert wurde. Zu den vielen Geschichten, die die Nachtwächter zu erzählen wissen, gehört natürlich auch die vom Erzbischof Friedrich III. von Saarwerden, der im Jahr 1372 den Rheinzoll von Neuss nach Zons verlagerte. Das brachte der nunmehr zur Zollfeste erhobenen Siedlung einen ansehnlichen Reichtum und bescherte ihr eine Stadtmauer, die direkt am Rhein entlanglief, bevor der Fluss sein Bett durchschnittlich rund 500 Meter nach Osten verlagerte.

An dieser Mauer, so zeigt Schlimgen, existieren noch heute zwei von ursprünglich drei so genannten Pfefferbüchsen. Das sind kleine, achteckige Wachtürme, die zeitweise auch als Gefängnisse dienten. Der dritte Turm fiel 1784 einem starken Rheinhochwasser zum Opfer, bei dem auch Teile der Stadtmauer einstürzten. Die Mauer wurde wieder aufgebaut, der Turm allerdings nicht. Noch heute finden sich Markierungen an der Mauer, die an die höchsten Wasserstände erinnern. "Zuletzt reichte das Wasser 1995 so dicht an die Oberkante heran, dass damals ein Krisenstab im Rathaus eingerichtet wurde für den Fall einer Überschwemmung", so Schlimgen, der sich noch gut an diese brenzlige Situation erinnern kann. Zum Glück kam es dann aber doch nicht dazu. Für die Anwohner von Zons ist das Hochwasser seit jeher eine Bedrohung, an die sie sich gewöhnt haben. Es ist Teil ihrer Heimat, ebenso wie die wiedergefundene Tradition der Nachtwächter.

(NGZ)
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