Neuss Tatort Schlosspark: Wer schlägt Jupp nieder?

Neuss · Heiteres Krimi-Raten: Ein Hobbyfotograf kam im Park von Schloss Dyck einigen Menschen in die Quere. Auflösung folgt am Dienstag.

 Seine Kamera wird Hobbyfotograf Jupp wohl nicht wiedersehen - es sei denn, die NGZ-Leser erweisen sich als Spürnasen und finden heraus, wer ihm Übles wollte.

Seine Kamera wird Hobbyfotograf Jupp wohl nicht wiedersehen - es sei denn, die NGZ-Leser erweisen sich als Spürnasen und finden heraus, wer ihm Übles wollte.

Foto: Lothar Berns

Jupp genoss die Frühlingssonne, die sich auf die mit Gänseblümchen übersäten Wiesen des Schlossparks, auf seine gebeugten Schultern und den kahlen Kopf ergoss. Er schlenderte zum Wassergraben, in dem die Enten friedlich dümpelten, und hob die Kamera. Die helle Fassade von Schloss Dyck leuchtete freundlich im Mittagslicht auf, während sich ihr Spiegelbild im Wasser dunkel und geheimnisvoll präsentierte. Alles hat seine Licht- und Schattenseiten, philosophierte Jupp, während er den Auslöser betätigte. Er musste es wissen. Erstens als Hobbyfotograf und zweitens, weil sein Leben seit seiner Pension etliche Schattenseiten aufwies.

Erst war Marlies an Krebs dahingesiecht und gestorben, dann stellte sich bei Testamentseröffnung heraus, dass sie ihm all die Jahre einen Sohn verheimlicht hatte. Mit siebzehn Jahren hatte sie ihn zur Welt gebracht und sofort zur Adoption freigegeben. Michael verschleuderte sein Erbe von 10.000 Euro in Windeseile, um Jupp daraufhin in regelmäßigen Abständen um Geld anzubetteln. Er sei zu kurz gekommen, klagte er, bei lieblosen Adoptiveltern in einem Sozialbau aufwachsen, anstatt dort, wo er hingehörte: bei seiner Mutter in wohlhabenden Verhältnissen. Michael hatte es zu nichts gebracht und war ein Säufer vor dem Herrn. Natürlich tat er Jupp leid, aber er war doch kein Sozialamt. Irgendwann musste Schluss sein.

Das hatte er dem Jungen vorhin mitgeteilt. Der hatte übers Handy angerufen, als Jupp im Schlosshof auf den Beginn der Führung wartete. Während er dem Nichtsnutz klipp und klar erklärte, dass der Geldhahn ein für alle Mal abgedreht sei, verkündete eine Museumsmitarbeiterin mit schriller Stimme: "Wir haben dieses Jahr an Ostern exorbitant viele Besucher. Die Führung ist ausgebucht. Bitte haben Sie Verständnis und kommen um 16 Uhr wieder." Bis dahin waren es noch zwei Stunden. Dann würde er eben erst Naturaufnahmen machen.

Jupp wanderte am Schlossgraben entlang. Sein Ziel war das Areal vor der Orangerie. Nach dem grauen niederrheinischen Winter gelüstete es ihn nach Farben. Die bunten Blumen und Stauden in den Beeten würden ihn fröhlicher stimmen. Sein Blick wanderte zur Barockbrücke. Ein Pärchen stand eng umschlungen darauf und schaute über das Geländer hinunter. Bestimmt beobachtete es die Schildkröten, die sich gern auf aus dem Wasser ragenden Ästen wärmten. Eine romantische Szene. Jupp schaute durch die Linse und zoomte das Bild heran. Dann stutzte er. Das war doch Karl Schmitz, der sich bei der nächsten Neusser Bürgermeisterwahl zur Wahl aufstellen lassen wollte! Er hatte eine Frau und zwei heranwachsende Kinder, aber die modisch gekleidete Person mit der fuchsroten Mähne, die ihn ein wenig an Marlies' und Michaels Haar erinnerte, konnte nicht seine Gattin sein, jung wie sie war. Aufgeregt knipste Jupp Bild um Bild. Er grinste. Für die kompromittierenden Schnappschüsse würde er garantiert Verwendung finden.

Zu spät bemerkte er, dass das Pärchen zu ihm hinüberschaute. Schnell verbarg er die Kamera unter seiner Lederweste, die er über dem grünorangekarierten Hemd trug und wartete, bis die beiden ihren Platz verließen, sich trennten und in verschiedenen Richtungen im Park verschwanden. Erst jetzt überquerte er die Barockbrücke und spazierte fotografierend über die Halbinsel.

Anschließend zog es ihn in den hinteren Teil des englischen Landschaftsgartens. Dort standen majestätische, uralte Baumraritäten, an deren knorrigen Wurzeln Märzenbecher, gelbe und weiße Narzissen sowie blaue Hyazinthen blühten. Der herbe Duft von feuchtem Humus zog in seine Nase, Vögel sangen. Sonnenstrahlen bildeten helle, warme Inseln. Frieden breitete sich in Jupp aus, während er abseits der Wege umherstrich und seinem Hobby nachging.

Plötzlich entdeckte er zwischen Rhododendron und Hibiskus eine Ansammlung von jungen Pflanzen, die auf keinen Fall hierhergehörten. Laura, seine Tochter, inzwischen Musikstudentin, hatte als Jugendliche so etwas auf der Fensterbank gezüchtet, bis Marlies es entdeckt und identifizierte hatte: Cannabis! Die Gewächse wurden auf dem Kompost entsorgt, und Laura kassierte zwei Wochen Stubenarrest. Aber was um Himmels Willen hatte das Zeug im altehrwürdigen Park von Schloss Dyck verloren? Jupp schüttelte missbilligend den Kopf und machte sich an die Arbeit. Er produzierte eine ganze Bilderserie, bis ihm ein junger Mann mit blondem Rauschebart in grüner Latzhose, Gummistiefeln und mit Spaten in der Hand vor die Linse geriet, der aussah wie das personifizierte schlechte Gewissen.

"Hey, was soll das?", rief der Gärtner, bevor Jupp auch ihn ablichtete, schleunigst einen Baumstumpf umrundete und das Weite suchte. Er lief zurück zum Wassergraben und von dort zu den Gärten in der Nähe des Kassen- und Restaurantbereichs. Bekannte Landschaftsgärtner hatten hier diverse Themenanlagen geschaffen, die sich an der Größe eines Hausgartens orientierten. Zwischen Hecken und Obstbäumen konnten Besucher erleben, welche Wirkung sich mit einer speziellen Pflanzenauswahl, Wasserläufen oder Skulpturen erzielen ließ.

Jupp betrat einen Pfad zwischen den Gärten, bog rechts ab und setzte sich auf eine Steinbank im Schatten eines Winterjasmins. Hier würde er ungestört seine Aufnahmen sichten können. Auf einmal erklangen Stimmen direkt hinter seinem Rücken. "Das kannst du nicht machen", sagte die männliche beschwörend, "bitte steck die Tulpenzwiebeln zurück in die Erde."

"Auf keinen Fall!", antwortete eine weibliche. "Die Sorte ist extrem selten und sehr alt. Vor Jahrhunderten war sie Gold wert. Stell dir mal vor, wie toll die rotvioletten Blüten bei uns auf dem Balkon ausschauen würden."

"Nur weil man für Tulpenzwiebeln anno dazumal ein Vermögen ausgegeben hat, heißt das nicht, man dafür heute im Gartencenter viel löhnen muss. Der Diebstahl kann mich den Praktikumsplatz kosten. Anne, bitte!"

Jupp hielt es vor Neugier nicht mehr auf seinem Platz. Er ging um die Bank herum und spähte zwischen dem Blattwerk hindurch. Er entdeckte zwei junge Leute, die wie Zwillinge aussahen. Ihre dunklen Haarschöpfe glänzten im Sonnenlicht, die blassen Gesichter waren zart. Bloß dass die Miene des Mädchens mehr Willensstärke ausdrückte als die des Mannes. Der deutete vorwurfsvoll auf den Stoffbeutel in ihrer Hand, aus dem unverkennbar mehrere Tulpenköpfe hervorlugten. Jupp konnte einfach nicht anders: Er hob die Kamera und drückte ab. Beim "Klick" des Auslösers schauten die beiden auf. Entsetzen stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Er aber beeilte sich, fort zu kommen. Erst unweit des Niedrigseilgartens verlangsamte er seinen Schritt und setzte sich auf einen Steinblock. Er überlegte gerade, wie mit den Fotos des heutigen Nachmittags Gewinn zu machen war, als ein höllischer Schmerz in seinem Hinterkopf explodierte. Dass er seitlich ins Gras fiel, bekam er schon nicht mehr mit.

Er erwachte mit dröhnendem Schädel. Benommen setzte er sich auf. Ihm schwindelte. Er betastete seinen Hinterkopf und fühlte etwas Klebriges. Sein Blick irrte umher. Neben ihm lag ein blutbeschmierter Ast. Stattdessen war seine Kamera weg. Er schaute an sich herunter und begriff, dass man ihm auch die Kameratasche samt Portemonnaie, Schlüsselbund und Smartphone geraubt hatte.

Aber warum? Und wer? In dem Moment entdeckte er auf seinem Ärmel etwas, das er beinahe für einen Faden seines Hemdes gehalten hatte. Außerdem stieg ihm ein zarter Geruch in die Nase. Sofort war ihm klar, wer der Täter war.

(NGZ)
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