Wirtschaft Der Chempark und mehr

Dormagen · Das Herzstück der Dormagener Wirtschaft ist der Chempark, eine der größten chemischen Anlagen-Ballungen in Europa. Doch in den vergangenen Jahren setzt Dormagen verstärkt auch auf andere Branchen, um unabhängiger von der chemischen Industrie zu werden.

Das Herzstück der Dormagener Industrie ist und bleibt der Chempark. Und noch immer gilt der Satz: "Wenn Bayer hustet, bekommt Dormagen eine Lungenentzündung." Die Stadt ist immer noch stark abhängig von Wohl und Wehe der chemischen Industrie. Trotz Krisen — Dormagen ist früher mit Bayer und heute mit Currenta gut gefahren. Der Chempark ist mit rund 10 000 Beschäftigten (inklusive Fremdfirmen) der größte Arbeitgeber im Rhein-Kreis Neuss, und steht mit deutlich mehr als 400 Auszubildenden an der Spitze der Ausbildungsbetriebe in der Region.

Das sind Werte, die seit 1917 eine enge Verbindung von Bayer, heute Chempark-Betreiber Currenta, zu der Stadt Dormagen und ihren Bürgern wachsen ließen. "Ich arbeite beim Bayer", war früher ein geflügelter Ausdruck. Vielfach sind Familien über mehrere Generationen mit dem Chempark verbunden. Das macht es auch möglich, dass sich in Dormagen politisch nur ein sehr geringer Widerstand gegen die chemische Industrie regt.

Man hat sich arrangiert. Currenta auf der anderen Seite garantiert dafür neben relativ sicheren Arbeitsplätzen vor allem Sicherheit. Die Sicherheitseinrichtungen und das Personal in diesem Bereich sind auf einem sehr hohen Niveau, sie übertreffen in vielen Fällen die festgelegten Standards.

Dormagen ist im Vergleich zum benachbarten Leverkusen fast ein reiner Produktionsstandort. Allerdings mit gravierenden Ausnahmen. Im Bereich Kunststoffe, Kautschuk und bei Lacken wird auch in Dormagen intensiv geforscht.

Für Bayer Material Science ist Dormagen ein wichtiger Herstellungsort zum Beispiel für TDI und TDA, zwei Grundkomponenten für die Herstellung von Schaumstoffen. Diese Materialien werden vom Skischuh bis zum Autohimmel und Armaturenbrett, von der Matratze bis zum fälschungssicheren Ausweis benötigt.

Für eine weitere Bayer-Gesellschaft, CropScience, ist Dormagen der größte und wichtigste Pflanzenschutz-Produktionsstandort weltweit. Bekannte Mittel wie "Gaucho", "Poncho" und andere Herbizide mit klangvollen Namen kommen von dort. Aktuell hat Bayer CropScience rund 30 Millionen Euro in die Erweiterung der Produktionsanlagen investiert. Auch neue, vielversprechende Mittel wie Indaziflam werden im Chempark Dormagen hergestellt.

Doch nicht nur Bayer ist im Chempark vertreten. Insgesamt 32 Unternehmen haben sich dort niedergelassen, Zulieferer oder Abnehmer der vielfältigen Produkte. Die Palette reicht von RWE, das ein großes Gas- und Dampfturbinenkraftwerk dort betreibt, bis zu Sauerstoff-Lieferanten Praxair, von der Dralon GmbH, die noch an die einstige Faserspinne am Niederrhein erinnert, bis zu Yara, von Logistiker Chemion, einer Currenta-Tochter, bis zu diversen Bayer-Gesellschaften, die eher in der Verwaltung und Sicherheit tätig sind, zum BeispielBayer Business Services in der Abwehr der Industrie-Spionage.

Zwei Gesellschaften ragen aus den 32 Unternehmen heraus. Es ist zum einen das petrochemische Unternehmen Ineos, das aus einem Joint Venture von Bayer und BP hervorgegangen ist. Es liefert die petrochemischen Rohstoffe für viele Zweige der Chemie im Industriepark. Mit rund 2000 Mitarbeitern und einem Umsatz von rund zwei Milliarden Euro ist Ineos Köln das größte Einzelunternehmen im Chempark.

Mit rund 1000 Mitarbeitern ist auch der Spezial-Chemiekonzern Lanxess, vor einigen Jahren aus dem Bayer-Konzern abgespalten, stark im Chempark vertreten. Neben speziellen chemischen Produkten stellt Lanxess in Dormagen vor allem hochwertige Kautschuk-Produkte für die Reifen-Industrie her. In diesem Jahr konnte das Unternehmen die Entdeckung des heute unentbehrlichen High-Tech-Stoffes vor 100 Jahren feiern. In diesem Bereich wird in Dormagen auch geforscht.

"Wir wollen der attraktivste Chemiepark Europas werden" — so lautet das Credo von Currenta-Geschäftsführer Dr. Klaus Schäfer. "Jeder, der irgendwo auf der Welt eine Chemie- oder chemie-nahe Anlage plant, muss sofort an uns denken", so Schäfer weiter. Und Currenta unternimmt einiges dafür. Der Chempark ist zu einer Stadt für sich geworden. Mit eigenen Sicherheitseinrichtungen, eigener, mustergültig ausgestatteter Feuerwehr, mit eigener Entsorgung, mit eigener Müllverbrennungsanlage, eigenem Umweltschutz und mit standorteigenem Kraftwerk des RWE.

Und auf alle diese Einrichtungen können und sollten die Betriebe im Chempark zurückgreifen. Von der Analytik bis zum Zentrallabor werden auch die wichtigsten chemischen Dienstleistungen angeboten. Und es kommen immer neue Unternehmen. "Wir brauchen Investitionen von 500 Millionen Euro pro Jahr in den Chemparks Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen, um unsere Infrastruktur in dem bisherigen Ausmaß vorhalten zu können", sagt Schäfer.

Und es wird investiert. Im Frühjahr hat der Chempark Dormagen den Zuschlag von Bayer Material Science für eine neue TDI-Anlage im Weltmaßstab bekommen. Die Investition beträgt rund 200 Millionen Euro. Angedacht ist auch ein neues Kraftwerk, das auf der Verbrennung des Mülls aus der Umgebung basieren soll. Auch das könnte eine Investition im zweistelligen Millionenbereich werden. "Diese und weitere Investitionen zeigen, dass der Standort Dormagen eine gute Zukunft hat", sagt Chempark-Leiter Dr. Walter Leidinger.

Der Chempark hat in den vergangenen Jahren eine ganze Armada von mittelständischen Unternehmen angezogen, die in oder für Unternehmen dort arbeiten. Zulieferer und Abnehmer, Weiterverarbeiter und Handwerker arbeiten für und mit den Unternehmen des Chemparks. Mit diesen Unternehmen floriert die Wirtschaft in Dormagen — wenn es der chemischen Industrie gut geht. Und die ist momentan nach der Wirtschaftskrise wieder im Aufwind.

Zurzeit ringt die Stadtverwaltung mit Bürgermeister Peter-Olaf Hoffmann an der Spitze mit der Bezirksregierung Düsseldorf um weitere Flächen am Silbersee beziehungsweise Am Kohnacker. Die vorhandenen Gewerbegebiete sind nahezu voll belegt. Freie Fläche gibt es im Chempark. Zurzeit sind es etwa 25 Hektar auf dem insgesamt 3,7 Quadratkilometer großen Areal. Und es kommen neue Flächen hinzu. Zum Beispiel die des alten Kohle-Kraftwerks, das zurzeit abgerissen wird. Angesichts der anspringenden Konjunktur herrscht im Chempark in weiten Teilen mittlerweile wieder eine optimistische Grund- und Aufbruchstimmung.

(NGZ)
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