Phono- und Radiomuseum in Dormagen Die Musik der Goldenen Zwanziger

Dormagen · Vor hundert Jahren begann eine neue, aufregende musikalische Zeit. Aus den USA schwappten neue Musik, neue Tänze und ein verändertes Lebensgefühl nach Europa. Im Phono- und Radiomuseum bleibt die Zeit lebendig.

 Alice und Volkmar Hess sind bereit zum Charleston. Ein Tanz, der in den 20 er-Jahren aus den USA kam.

Alice und Volkmar Hess sind bereit zum Charleston. Ein Tanz, der in den 20 er-Jahren aus den USA kam.

Foto: Georg Salzburg(salz)

Die 1920er-Jahre waren ein sehr musikalisches Jahrzehnt. Die Charleston-Welle aus den USA hat dank Josephine Baker auch in Europa keinen Stein auf dem anderen gelassen. Jazz und Swing revolutionierten die Musik. Aber welche Titel hat man eigentlich gehört? Das wissen Volkmar Hess vom Internationalen Phonomuseum Dormagen und Pianist Markus Goosmann.

„Den besten Einstieg schafft man natürlich mit den Comedian Harmonists. Das Sextett gilt als die bekannteste deutsche Männergruppe aus der Zeit und konnte auch international Erfolge feiern“, sagt Goosmann, der darauf verweist, dass es in den 20er-Jahren etwa 70 dieser Männergruppen gab. „Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Konventionen immer weiter aufgebrochen, das Nachtleben der Goldenen Zwanziger war geradezu ausgelassen und freizügig.“ Das galt vor allem für die großen Städte, doch auch auf dem Land habe man sich gerne zum Tanz im Vereinsheim getroffen.

Vor allem klassische Tänze wie Walzer oder Foxtrott seien da aufs Parkett gelegt worden, ergänzt Volkmar Hess. „Aber auch Tango war sehr beliebt. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte der anrüchige Tango sich entgegen aller Widerstände des Kaisers im ganzen Land verbreitet.“ Besonderes Aufsehen erregten Ende der 20er-Jahre jedoch die neuen Tänze aus Amerika: Shimmy, Lindy Hop und vor allem der Charleston lösten noch einmal eine regelrechte Tanzwelle aus und sorgten für Entsetzen unter den Kirchen und Konservativen.

 Hergestellt im Jahr 1925: das Radio des britischen Herstellers Stevens & Co.

Hergestellt im Jahr 1925: das Radio des britischen Herstellers Stevens & Co.

Foto: Georg Salzburg(salz)/Salzburg, Georg (salz)

„Abseits der großen Klassiker und amerikanischen Importe hat sich der Schlager in den 20ern ganz schön gewandelt“, so Hess, der sich mit dem Phonomuseum für das Kulturgut Musik und Musikträger einsetzt und es bewahren will. So seien zum Beispiel zahlreiche Ulk-Texte gedichtet worden – inspiriert vom Dadaismus. „Wer hat bloß den Käse zum Bahnhof gerollt“ oder „Mein Papagei frisst keine harten Eier“ sowie „Du bist als Kind zu heiß gebadet worden“ sind hier amüsante Beispiele. „Ein Dienstmädchen in Berlin hatte einmal wirklich probiert, ob der Papagei ihrer Vorgesetzten keine harten Eier frisst. Das Tier ist daran gestorben – der Fall landete vor dem Arbeitsgericht“, schildert Volkmar Hess eine Anekdote.

Doch es gab nicht nur verrückte Schlager, die Texte waren mitunter auch ganz schön anzüglich: „Fräulein, woll’n Sie nicht ein Kind von mir?“, „Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt“ oder „Wenn ich Liebe brauche, dann geh ich zu Pauline“ bringen die freizügige Moral zum Ausdruck, die damals vor allem im Nachtleben herrschte.

Markus Goosmann, der seit Kurzem an der Musikschule Dormagen Klavierunterricht gibt und schon vielfach im Phonomuseum zu Gast war, kennt sich ebenso wie Volkmar Hess in dem Jahrzehnt, das vor 100 Jahren begonnen hat, bestens aus. „Mich interessiert vor allem der kulturgeschichtliche Kontext: Wie war die Unterhaltung zur Zeit der Weimarer Republik? Gab es einen Bruch unter Hitler?“ Lieder wie „Ich hab’ kein Auto, ich hab’ kein Rittergut“ von 1928 spiegelten die Verknappung des Mittelstands wider.

„Der Reiz dieser Musik besteht darin, sie auf Schallplatte zu konsumieren – authentischer geht es nicht.“ So spanne man eine neue Nadel ein, lege die Platte auf, suche mit der Nadel den ersten Ton und könne genießen. „Das Kulturgut Schallplatte wird in Deutschland zu wenig geschätzt. Dabei ist es die einzige Möglichkeit, die Musik zu konservieren. Und es ist unsere wichtige Aufgabe, dieses Kulturgut am Leben zu halten.“ So ist im Museum nicht nur ein Abspielgerät von Masters Voice zu finden, sondern auch ein Windrad von 1925, mit dem damals die Akkus für die Radios geladen wurden. „Als die Radiotechnik auf den Markt kam, waren die wenigsten Haushalte an das Stromnetz angeschlossen. Da wurde nach Möglichkeiten gesucht, es trotzdem zu benutzen.“

Ein weiterer spannender Aspekt: „Man überlegt tatsächlich, ob Musik in ihrer Idylle als Gegengewicht zur Kriegsmüdigkeit nicht kriegsverlängernd gewirkt hat“, erläutert Goosmann.

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