Interview mit Martin van Nooy „Wir brauchen neben Schiff und Bahn auch Lkw“

Dormagen · Für den Chempark Dormagen ist der Rhein als Transportweg unverzichtbar. Doch eine stabile Schiffbarkeit ist gefährdet.

 Martin van Nooy leitet die Standortlogistik bei den Chemparks in Dormagen, Krefeld und Leverkusen. Er ist damit auch Experte für die Abwicklung des Schiffsverkehrs.

Martin van Nooy leitet die Standortlogistik bei den Chemparks in Dormagen, Krefeld und Leverkusen. Er ist damit auch Experte für die Abwicklung des Schiffsverkehrs.

Foto: Jürgen Bindrim

Herr van Nooy, Sie kennen als Leiter Standortlogistik bei Currenta die logistischen Abläufe ihrer Kunden aus den drei Chempark-Standorten in Dormagen, Leverkusen und Krefeld sehr gut. Welche Bedeutung hat der Rhein für den Chempark Dormagen?

Martin van Nooy Die Stromhäfen an den drei Standorten sind alle unterschiedlich, aber alle immens wichtig. Fakt ist, dass wir bisher in Dormagen – das Petrochemieunternehmen Ineos eingeschlossen –, in Leverkusen und in Krefeld jährlich insgesamt rund 7,5 Millionen Tonnen Güter über den Wasserweg umgeschlagen haben. Wenn Sie sich vorstellen, dass man pro Lkw etwa 20 Tonnen Zuladung rechnen kann, gängige Schiffstypen auf dem Rhein je nach Ausführung aber auch durchaus mal 2000 Tonnen unserer Fracht bewegen, dann können Sie erahnen, wie groß die Bedeutung des Rheins und anderer Wasserwege für uns ist. Ohne Schiffsverkehr würde der Güterumschlag nicht funktionieren.

Wieviel Prozent der für die Produktion verwendeten Güter in Dormagen werden per Schiff angeliefert und wieviel der Güter werden über den Rhein ausgeliefert?

van Nooy Bei der Anlieferung sind es etwa 70 Prozent, bei der Auslieferung circa 30 Prozent. Das liegt vor allem daran, dass wir aus einer relativ überschaubaren Zahl von Grundstoffen mit großem Volumen eine Vielzahl von hochwertigen und vielfältig nutzbaren Produkten schaffen. Diese vielen Produkte gehen an eine breite Kundenbasis, von denen natürlich nicht jeder einen Wasserstraßenanschluss hat. Hauptsächlich muss dann auf den Lkw zurückgegriffen werden, wo möglich setzen wir auf den Transport per Bahn.

Welche Produkte oder Stoffe werden eigentlich zuvorderst mit dem Schiff transportiert?

van Nooy Das ist vor allem Siedesalz, das ein wichtiger Grundstoff für die Chlorproduktion im Chempark ist. Chlor wird bei sehr vielen Produktionsprozessen in der chemischen Industrie benötigt. Wir schlagen aber auch große Mengen von Natronlauge und z.B. Salpetersäure um, ebenso wie Naphta, also Leichtbenzin, für Ineos. Wir sind gerade dabei, die Umschlagskapazitäten in Dormagen auszubauen.

In welchem Umfang nutzt der Chempark Häfen und Bahn?

van Nooy Wir brauchen auf jeden Fall alle drei Verkehrsträger, also neben Schiff und Eisenbahn auch Lkw. Und wir brauchen von allen viel. Ein großer Teil wird über die Bahn abgewickelt, doch mit eigenen Schiffsanlegern, wie wir sie in unseren Stromhäfen haben, geht vieles schneller. Bei der Bahn verliert man unterm Strich eine Menge Zeit – durch notwendiges Rangieren, aber auch durch den Umstand, dass Güterzüge häufig auf langsamere Gleise ausweichen und warten müssen, um die schnelleren Zügen des öffentlichen Personen-Nah- und Fernverkehrs überholen zu lassen.

Welche Folgen hätte es für den Chempark Dormagen, wenn der Rhein als Transportweg wegfiele?

van Nooy Die Folge wäre wahrscheinlich ein Totalausfall unserer Produktion, zumindest müsste sie stark gedrosselt werden. Im vergangenen Hitzejahr war die chemische Industrie am Rhein nahe dran an solchen Zuständen.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang das Thema Klimawandel?

van Nooy Man muss ja damit rechnen, dass sich Niedrigwasserperioden in Zukunft häufiger werden. Und da macht man sich natürlich schon Gedanken, wenn die Hauptlebensader des eigenen Unternehmens – zumindest zeitweise – ausfällt. Wir betrachten das mit großer Sorge.

Arbeiten Sie an Gegenmaßnahmen?

van Nooy Unsere Branche engagiert sich über den Verband der chemischen Industrie (VCI) gemeinsam mit Vertretern der Mineralöl- und Stahlindustrie im sogenannten 8-Punkte-Plan des Bundesverkehrsministers. Darin wird zum Beispiel über neuartige Schiffe nachgedacht, die mit geringerem Wasserstand auskommen. Aber die müssten erstmal gebaut werden, was nicht nur Geld, sondern vor allem auch Zeit kostet. Ich betrachte das mit vorsichtiger Skepsis, bedenkt man, dass beim Nachzählen, wie viele neue Binnenschiffe im Jahr in Deutschland gebaut werden, wahrscheinlich noch die Finger an zwei Händen reichen.

Und wenn die Schiffe bei Niedrigwasser einfach weniger beladen würden?

van Nooy Das sogenannte Leichtern geschieht ja schon, aber dann brauchen wir für dieselbe Menge Güter bis zu dreimal mehr Schiffstransporte mit entsprechend hohen Zeitverlusten für die Abfertigung der Schiffe. Abgesehen davon ist so viele zusätzliche Schiffskapazität bei Niedrigwasser schwer zu bekommen.

Warum ist die Rheinvertiefung für den Chempark bedeutsam?

van Nooy Wir sprechen nicht von Rheinvertiefung, sondern von punktueller Abladeoptimierung. Denn es geht nicht darum, den Rhein gleichmäßig auszubaggern und so für mehr Wassertiefe zu sorgen, sondern um die Beseitigung von Gefahrenstellen, die bei Niedrigwasser auftreten – wie zum Beispiel aufragende Felsen. Demgegenüber gibt es auch Stellen, die immer tiefer und zu Verengungen des Flussbetts führen würden, wenn dort nicht regelmäßig Kies eingebracht würde. Solche sogenannten Auskolkungen müssen vermieden werden. Grundsätzlich geht es darum, eine Fahrrinne zu haben, die stabilen Schiffsverkehr zulässt.

Wie lange wird die Umsetzung dieser Abladeoptimierung am Nieder- und am Mittelrhein wohl dauern?

van Nooy Hier liegt das Problem beim fehlenden Fachpersonal der zuständigen Behörden. Der VCI hat ein Interesse daran, Politik und Behörden zusammen zu bringen, damit die Politik erkennt und umsetzt, dass sie gezielt mehr Fachpersonal zur Verfügung stellen muss.

Ihre Prognose: Wird der Transport mit dem Schiff in Zukunft eher wichtiger oder unwichtiger für die chemische Industrie?

van Nooy Er wird wichtiger werden. Denn das Schiff ist vergleichsweise umweltfreundlich, zuverlässig und auch nicht das teuerste Transportmittel. Allerdings brauchen wir mehr Hafenflächen entlang des Rheins.

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