Interview „Der Sparkurs trägt meine Handschrift“

Dormagen · Weniger Häuptlinge, mehr Indianer – Lierenfeld reklamiert geringere Ausgaben für sich. Bei der Feuerwehr sieht er einen Motivationsschub.

 Bürgermeister Erik Lierenfeld

Bürgermeister Erik Lierenfeld

Foto: Lothar Berns

Weniger Häuptlinge, mehr Indianer — Lierenfeld reklamiert geringere Ausgaben für sich. Bei der Feuerwehr sieht er einen Motivationsschub.

Sie haben beim Neujahresempfang die Leistungsbilanz der Stadt für 2015 von A bis Z skizziert. Welcher Buchstabe wird 2016 der Beherrschende sein?

Lierenfeld "F" wie Flüchtlinge bzw. "Z" wie Zuwanderung. Das wird das zentrale Thema auch in diesem Jahr werden. Wir müssen uns um Unterbringung und Verpflegung der Menschen, die Begleitung durch Sozialarbeiter und die vielen engagierten Ehrenamtler sowie die Sicherheit kümmern.

Hat das Thema Sicherheit etwas mit den Vorfällen in Köln zu tun?

Dormagen im Finale von "WDR 2 für eine Stadt"
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Lierenfeld Nein. Wir haben uns immer schon Gedanken zum Thema Sicherheit gemacht und entsprechende Vorkehrungen getroffen. Diese überprüfen wir natürlich nach Vorkommnissen wie in Köln. Das ist selbstverständlich.

In Dormagen ist es vergleichsweise ruhig, besondere Auffälligkeiten gibt es keine, so wie der Leiter der Dormagener Polizeiwache Ende letzten Jahres sagte.

Lierenfeld Es gibt kleinere Vorfälle in Dormagen. Es besteht aber kein Grund für tiefgreifende Ängste und Panik. Was uns ein Stück weit Sorge bereitet, sind die Karnevalstage. Nicht weil wir befürchten, dass dort etwas Schlimmes passiert. Denn Schlägereien und auch sexuelle Belästigungen gab es in den vergangenen Jahren an Karneval auch. So etwas kann auch jetzt passieren. In der jetzigen Situation steht zu befürchten, dass solche Dinge ein ganz anderes Echo in der Öffentlichkeit hervorrufen. Wir werden mit zusätzlichen Kräften unterwegs sein, ebenso die Polizei.

Was war schwieriger im vergangenen Jahr: einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen oder die Flüchtlingswelle zu bewältigen?

Lierenfeld Beides waren große Herausforderungen und mit großem zeitlichen Aufwand verbunden. In beiden Fällen konnten wir gute Ergebnisse erreichen. Emotional fordernder waren die Flüchtlinge. Bei vielen Erzählungen von ihnen über die Umstände ihrer Flucht lief einem ein kalter Schauer über den Rücken.

Die Kanzlerin sagte: Wir schaffen das! Schafft Dormagen das?

Lierenfeld Es ist gut, wenn man einen gesunden Zweckoptimismus an den Tag legt. Wir haben frühzeitig deutlich gemacht, dass wir als Kommune an unsere Belastungsgrenze gestoßen sind. Daher bin ich froh, dass wir für Februar und eventuell auch für März keine kommunalen Zuweisungen erhalten werden. Das verschafft uns etwas Luft.

Wie kann Dormagen den Zustrom bewältigen? Viele Sportler schauen kritisch darauf, ob eine weitere Halle belegt wird.

Lierenfeld Wenn es mit dem Neubau von Unterkünften so funktioniert, wie wir es geplant haben, dann bekommen wir die Unterbringungen hin, ohne dass wir eine weitere Turnhalle nutzen müssen. Jedoch nur, wenn sich nichts Gravierendes an den Rahmenbedingungen ändert.

Wie stark beeinflusst das Flüchtlingsthema die Entwicklung anderer Themen und Projekte in der Stadt?

Lierenfeld Im vergangenen Jahr hatten wir in der Tat die Schwierigkeit, dass viele Bereiche im Rathaus zeitweise nur noch mit dem Thema Flüchtlinge befasst waren. Das war auch der Grund, warum wir jetzt einen Fachbereich Integration geschaffen haben, um alle Aufgaben dort zu bündeln. So können wir die anderen Fachbereiche wieder auf ihre eigentlichen Aufgaben lenken. Es wurde zwar alles bearbeitet, aber es gab Verzögerungen.

Ist die Entwicklung der Sportplätze nicht liegen geblieben? Die Mittel für Zons und Stürzelberg sind längst bereit gestellt, dort wollte man doch weiter sein…

Lierenfeld Wir wollen die Planungen weiter umsetzen. Es gab zum Teil Verzögerungen, weil der Eigenbetrieb mit anderen Aufgaben belastet war. Derzeit planen wir personelle Veränderungen im Sportamt. Ich bin zuversichtlich, dass es 2016 mit dem Umbau der Sportplätze positiv weiter gehen wird.

Bedeutet das mehr Personal?

Lierenfeld Nein. Wir versuchen im Regelfall mit dem vorhandenen Personal auszukommen. Es geht um Umbesetzungen innerhalb der Verwaltung.

Lag es an diesem zentralen Thema, dass Sie bei der Haushaltsaufstellung nicht die von vielen geforderte "Handschrift des Bürgermeisters" eingebracht haben, sondern stark von den sehr günstigen äußeren Einflüssen (Schlüsselzuweisungen, Steuern) profitierten?

Lierenfeld Ich behaupte das Gegenteil. Die Handschrift des Bürgermeisters war beim Thema Ausgaben klar zu erkennen. Wir haben bei dem Sparkurs, den es seit 15 Jahren gibt, die Schrauben noch einmal deutlich angezogen. So haben wir beispielsweise die Verwaltungsspitze verschlankt und dadurch 120.000 Euro gespart. Die Stellen von Produktverantwortlichen, die ausgeschieden sind, wurden nicht nachbesetzt, sondern die Aufgaben umverteilt. Wir haben inzwischen weniger Häuptlinge und an einigen Stellen mehr Indianer — das ist auch meine Handschrift. Weh getan hat innerhalb der Verwaltung, dass wir ebenso an den Geschäftsaufwendungen und den Fortbildungen gespart haben. Aber es war notwendig.

Wie beurteilen Sie die Situation bei der Feuerwehr?

Lierenfeld Wir warten gespannt auf das Gutachten zur Untersuchung der Organisationsstruktur. Es war gut, die Feuerwehr-Kommission einzusetzen. Das hat ein Stück weit zur Beruhigung der Situation beigetragen. Die Entscheidungen, was die Spitze betrifft, waren ebenfalls gut. Das hat zu einer spürbaren Ruhe geführt — und auch zu einem Motivationsschub bei Mitarbeitern. Wir werden in diesem Jahr eine Gesamtlösung finden müssen. Der Rat hat eine Abkehr von der bisherigen Struktur hin zu einer hauptamtlichen Wehr mit freiwilligen Kräften beschlossen. Eine nachvollziehbare Entscheidung. Wir sind auf gutem Kurs.

Was wird aus der ehemaligen Feuerwehrchefin Sabine Voss?

Lierenfeld Personalien thematisiere ich nicht öffentlich.

Wird Frau Voss zukünftig in der Dormagener Feuerwehr eine Rolle spielen?

Lierenfeld Das kann ich heute noch nicht sagen.

Befürchten Sie, dass die Seveso-Richtlinie die Stadtentwicklung blockiert? Und was wird aus dem Gelände der ehemaligen Zuckerfabrik?

Lierenfeld Die Richtlinie dient ja nicht dazu, Entwicklungen zu blockieren, sondern um Entwicklungen zu ermöglichen. Sie macht deutlich, was an der einen oder anderen Stelle geändert werden muss, um eine Koexistenz zwischen Industrie und anderen Nutzungen zu organisieren. Ich sehe dem Gutachten mit Spannung entgegen und glaube nicht, dass die Ergebnisse unsere Stadtentwicklung in besonderem Maße beeinträchtigen werden. Das Zuckerfabrik-Gelände wird entwickelt — in welche Richtung ist eine zweite Frage. Das ist aber auch Sache des Grundstückseigentümers.

Die Unternehmensberatung ExperConsult legt am Montag erste Ergebnisse zur Wirtschaftsförderung vor. Wie sieht Ihre Wunschvorstellung aus?

Lierenfeld Es gibt zunächst Zwischenergebnisse. Die Handlungsoptionen werden noch erwartet. Die Entscheidung, wie die Wirtschaftsförderung künftig aussieht, soll im ersten Halbjahr getroffen werden, rechtzeitig vor der Haushaltsaufstellung 2017. Ich sehe der Diskussion gelassen entgegen. Ja, es gab in den vergangenen Jahren zum Teil Stillstand. Aber in den letzten anderthalb Jahren hat sich einiges entwickelt. Seitdem ich Bürgermeister bin, ist die Wirtschaftsförderung ein wichtiges Thema für mich. Ich freue mich auf die Diskussion, welches die zukünftigen Herausforderungen sind und wie die beste Organisationsform aussehen kann. Dabei verlasse ich mich auf die Experten und möchte das Thema im Vorfeld nicht in eine Richtung lenken.

Handlungsbedarf gibt es auch beim Stadtmarketing. Braucht Dormagen einen Citymanager?

Lierenfeld Stadtmarketing und Standortmarketing hatten in den letzten Jahren nicht den nötigen Stellenwert. Man muss ein Stadtimage pflegen. Wenn man sich der Aufgabe annimmt, ist das mit personellen und finanziellen Ressourcen verbunden. Ich sehe auch die Notwendigkeit eines Citymanagers. Dies muss aber ebenfalls der Rat entscheiden.

Die Flüchtlingsbetreuung verlangt den städtischen Mitarbeitern sehr viel ab? Wie viele Überstunden sind entstanden und wann können diese ausgeglichen werden?

Lierenfeld Das waren allein in der Notunterkunft "Am Wäldchen" bis Ende November rund 2400 zusätzliche Arbeitsstunden. In der Regel ist es so, dass Überstunden innerhalb von Monaten ausgeglichen werden. An der ein oder anderen Stelle wurden sie auch ausgezahlt. Die Mitarbeiter, die in den Notunterkünften eingesetzt sind, werden vom Land bezahlt, daher ergibt sich daraus keine Belastung für die Stadt.

Beim Personalabbau ist Ihrer Meinung nach das Ende der Fahnenstange erreicht. Müsste nicht mit Blick auf die Flüchtlingssituation sogar wieder aufgestockt werden — zumindest zeitweise?

Lierenfeld Das ist genau das, was wir in diesem Bereich machen. Wir stocken in Teilen der Verwaltung wegen der Flüchtlingssituation das Personal auf. Wir gehen von 14 zusätzlichen Stellen aus, zumindest zeitweise. Zum Beispiel Hausmeister oder Sozialarbeiter, das haben wir dem Stadtrat auch vorgestellt. Auch bei der Feuerwehr und in den Kindertagesstätten mussten wir deutlich mehr Personal einstellen. Grundsätzlich gilt: Wenn ich mich von Aufgaben trenne, kann ich auch Personal abbauen.

Woran hapert es bei der Neuansiedlung eines Supermarktes in der Rathaus-Galerie?

Lierenfeld Kommt Zeit, kommt Rat und vielleicht auch ein Geschäft. Es ist nicht ganz einfach, weil in der Stadt auch ein Konkurrenzangebot durch Lidl, Netto und Aldi vorhanden ist. Wir sind weiter in Gesprächen, die Rathaus-Galerie ist aktiv. Für die wäre ein Lebensmittler gut, um die Frequenz dort zu erhöhen.

Sie gelten nach eigener Aussage nicht als Verfechter einer Musikschule für Dormagen unter dem Dach des Kreises. Hat sich ihre Meinung in diesem Punkt geändert?

Lierenfeld Für mich spielt die Wirtschaftlichkeit eine große Rolle. Wenn wir keine spürbare Entlastung haben, dann bringt uns eine Überleitung auf den Rhein-Kreis nichts. Wenn es wirtschaftlich interessant ist, bin ich bereit, diesen Weg mitzugehen. Bis jetzt habe ich keine überzeugenden Zahlen gesehen. Aber das kann ja noch werden.

Die Dormagener Tafel sucht einen neuen zentral gelegenen Standort. Sie haben dem Verein Ihre Unterstützung zugesichert. Wie sieht die aus? Hat die Stadt ein Grundstück für den Verein?

Lierenfeld Wir haben ad hoc kein Grundstück. Wir sind in einem intensiven Austausch und sehen die Notwendigkeit, damit die Tafel Planungssicherheit hat. Es ist für uns unvorstellbar, dass wir eine solche Einrichtung wie die Tafel nicht mehr bei uns in Dormagen haben. Ich erhoffe mir für 2016 eine Lösung.

Die städtische Unterstützung für den Verein "Club Behinderter und ihrer Freunde" ist bereits von 7000 auf 4000 Euro gekürzt worden. Der Verein bangt immer wieder um seinen Fahrdienst. Muss er mit weiteren Kürzungen rechnen?

Lierenfeld Es gibt aus Politik und Verwaltung keine Signale für weitere Kürzungen. Das Angebot ist wichtig für die Menschen in der Stadt.

Sollte Dormagen wieder am Stadtduell "WDR2 für eine Stadt" teilnehmen — wer sollte Ihrer Meinung nach ins Kompetenzteam? Lierenfeld (lacht) Nach der letzten Runde bräuchten wir jemanden aus dem Ruhrgebiet. Ein offener Aufruf mit der Suche nach Experten war gut.

Also Teilnahme ja!

Lierenfeld Wir wollen auf jeden Fall wieder mitmachen.

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