Interview „Wir müssen miteinander diskutieren“

Dormagen · Die Zweite Vorsitzende der Bahá’i-Gemeinde Dormagen, Fiona Missaghian-Moghaddam, sensibilisiert für mehr Toleranz - besonders nach dem Attentat von Halle.

 Fiona Missaghian-Moghaddam ist stellvertretende Vorsitzende der Bahá‘i-Gemeinde Dormagen.  Archivfoto: salz

Fiona Missaghian-Moghaddam ist stellvertretende Vorsitzende der Bahá‘i-Gemeinde Dormagen. Archivfoto: salz

Foto: Georg Salzburg(salz)/Salzburg, Georg (salz)

Frau Missaghian-Moghaddam, 2017 haben Sie den 200. Geburtstag Ihres Religionsstifters Bahá’u’lláh gefeiert. Jetzt feiern Sie den 200. Geburtstag seines Vorgängers Báb. Welchen Unterschied gibt es?

Missaghian-Moghaddam Das ist eine gute Frage! Eine Besonderheit beim Bahá’ítum ist die Tatsache, dass es zwei Boten Gottes in sehr kurzem Abstand voneinander gab – den Báb und Bahá’u’lláh. Wir sprechen hier von den „Zwillingsleuchten“. Zum einen, um einen deutlichen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen, und zum anderen, um auf die wunderbare Zukunft zu weisen, die auf uns wartet, die neue Phase der sozialen Evolution unseres Planeten: die Vereinigung der ganzen Menschheitsfamilie.

Was bedeutet der Báb für Sie?

Missaghian-Moghaddam Báb trat Mitte des 19. Jahrhunderts im damaligen Persien auf. Das Land war geprägt von Korruption, tiefem Aberglauben und extremer Ungerechtigkeit. Der Báb befürwortete allgemeine Bildung und wissenschaftliches Studium, trat für die Gleichberechtigung der Frau ein und war ein Fürsprecher der Armen. Seine fortschrittliche Religion breitete sich im ganzen Land aus wie ein Lauffeuer. Kein Wunder, dass er von den weltlichen und religiösen Autoritäten als Bedrohung empfunden wurde. Er lehrte nur sechs Jahre, ehe er hingerichtet und zig Tausende seiner Anhänger getötet wurden.

Wie zelebrieren Sie das bevorstehende Fest zu seinen Ehren?

Missaghian-Moghaddam Mit einer öffentlichen Feier im Kulturhaus. Es wird einen Festvortrag von der Orientalistin Nicola Towfigh aus Münster geben, aber auch musikalische Präsentationen sowie ein kleines Theaterstück, das die Kinder unserer Gemeinde eingeübt haben.

Die Dormagener Bahá’i-Gemeinde gibt es seit 1969 und hat aktuell 18 Mitglieder. Wie generieren Sie Zuwachs?

Missaghian-Moghaddam Wir erzählen Interessierten von unserem Glauben und laden sie ein, mit uns zusammenzuarbeiten. Wir missionieren aber nicht. In Indien oder auf dem afrikanischen Kontinent gibt es starken Zuwachs. An unseren Gemeindeveranstaltungen nehmen auch Bahá’í aus Neuss, Grevenbroich und Rommerskirchen teil.

Wie engagieren sich die Bahá‘i in Dormagen?

Missaghian-Moghaddam Seit Mitte der 80er Jahre arbeiten wir bei interkulturellen oder interreligiösen Veranstaltungen der Stadt mit. Am damaligen „Runden Tisch gegen Ausländerfeindlichkeit“ und beim Rat der Religionen, den es in Dormagen seit 2006 gibt. Seit vier Jahren arbeiten einige aus der Gemeinde in der Flüchtlingshilfe.

Was haben Sie gedacht, als Sie von dem Anschlag auf die Synagoge in Halle erfahren haben?

Missaghian-Moghaddam Ich war total schockiert von der Tat und dem Gedankengut. Mein erster Gedanke war: Jetzt geht es doch wieder in Deutschland los. Die deutsche Bahá‘í-Gemeinde hat einen Brief an die jüdische Gemeinde geschickt und darin unser Mitgefühl und unsere Solidarität ausgedrückt. Er versichert den Einsatz für die Überwindung von Vorurteilen und die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Was muss in Deutschland passieren, damit interkulturelles Zusammenleben besser funktioniert?

Missaghian-Moghaddam Wir müssen lernen, dass es nur eine Menschheit gibt. Dass wir alle gleich sind in unserem Wunsch, ein ruhiges und gerechtes Leben zu führen. Der eine geht in die Synagoge, die andere in die Kirche, der nächste in die Moschee oder in einen Tempel, oder glaubt an gar keine Religion. Das ist alles legitim. Unsere Sehnsüchte sind gleich – wir möchten alle ein warmes Zuhause, genug zu essen, wir möchten arbeiten, wir möchten respektiert werden, uns entfalten können und wünschen uns all dies auch für unsere Kinder.

Was heißt das konkret?

Missaghian-Moghaddam Wenn wir uns mehr für einander interessieren würden, wenn wir uns mehr miteinander befassen, uns austauschen und einander besser kennenlernen, ist der erste Schritt getan für ein besseres Zusammenleben. Das heißt nicht, dass wir immer alle einer Meinung sein müssen. Aber wir können lernen, miteinander gepflegt zu diskutieren, andere Perspektiven zu respektieren und vielleicht sogar eigene Positionen zu hinterfragen oder zu wandeln, wenn wir erkennen, dass unsere Sicht nicht richtig war.

Sie sagten mal, entscheidend sei, was Religionen miteinander verbindet, und nicht, was sie voneinander unterscheidet. Was ist das?

Missaghian-Moghaddam Dass sie alle denselben Ursprung haben – und dieselbe Aufgabe. Religionen sollen Menschen zur Erkenntnis führen, sie sollen uns über geistige Zusammenhänge aufklären, die wir alleine nicht verstehen würden. Zum Beispiel wer Gott ist, warum wir auf dieser Welt sind, was passiert, wenn wir sterben. Religionen haben auch die Aufgabe, die menschliche Gesellschaft zu dauerhafter Ruhe und Frieden zu führen.

Ist das in der heutigen Zeit aktuell?

Missaghian-Moghaddam Spätestens seit der Vernichtung begrenzter Ressourcen oder Umweltzerstörung. Zunehmende Polarisierung, Radikalisierung und Konflikte sind unsere individuellen und politischen Reaktionen. Wir können die notwendige Reform unseres Lebensstils nicht im Streit erreichen, sondern nur mit einer geeinten Menschheit. Das ist die Mission der jüngsten Zwillingsoffenbarung mit Báb und Bahá’u’lláh.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort