Dormagen Aus professioneller Distanz

Dormagen · Zons Es kribbelt immer noch. Zur Weltmeisterschaft im eigenen Land läuft auch er zur Höchstform auf.

Und seine Einschätzung ist gefragt wie selten. Gregor Derichs, seit 1991 im Zonser Römerfeld ansässig, zählt zur ersten Garde der deutschen Sportjournalisten.

Selbst unter den Altgedienten der Zunft gehört der 52-Jährige zu den profundesten Kennern der Nationalmannschaft.

Seit der Weltmeisterschaft 1982 in Spanien hat er in sportjournalistischer Mission keine WM ausgelassen.

Der wahre WM-Kick kam 1974 beim Spiel Deutschland gegen Schweden, das er als studentische Hilfskraft des Sport-Informations-Dienstes (sid) Neuss dabei war.

Im Gedächtnis haften geblieben sind ihm vor allem die siegreichen Endspiele bei der WM 1990 in Rom oder der Europameister-Titel 1996 in London.

Bei allen Emotionen, die den professionellen Berichterstatter übermannen könnten, sucht er die Distanz: "Ich will die Balance halten zwischen sachlicher Darstellung und Euphorie."

Berufserfahrung schafft jene Distanz, die manche heißblütigen Kollegen aus südlicheren Gefilden gelegentlich vermissen lassen.

Und: "Der Laptop auf der Tribüne signalisiert Arbeitsatmosphäre." Dennoch gibt es auch Momente, die wohl nur der Sport schaffen kann, bei denen unbeschreiblicher Jubel und tiefe Tragik ganz nahe beieinander liegen.

Die in der Nachspielzeit verlorene Meisterschaft von Schalke 04 in der Saison 2001 war solch ein unvergesslicher Augenblick. Gregor Derichs, damals auf Schalke: "Ich war einer der wenigen, die das Ergebnis der Bayern beim HSV schon kannten, als noch gejubelt wurde."

Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Stuttgarter Nachrichten, Kölnische Rundschau, der Züricher Tagesanzeiger schätzen und drucken seine Berichte aus den Bundesliga- und WM-Stadien.

Aber auch seine Reportagen, Kommentare, Features und Glossen von Olympischen Spielen von 1984 Los Angeles bis Turin 2006 sind gefragt.

Rund 25 Tageszeitungen, vorwiegend große regionale Blätter, beliefert Gregor Derichs von seiner Zonser "Dachkammer" aus. Hinzu kommen Magazine wie Focus oder Bunte. T

exte für Sponsoren wie Mercedes oder Adidas sind ebenso ein Betätigungsfeld wie Beiträge für den Deutschen Fußball-Bund oder koordinierende Aufgaben beim DFB.

Nach schwierigem Beginn ist er mittlerweile froh über seine Entscheidung vor fünf Jahren, die sichere Stelle bei der Deutschen-Presse-Agentur (dpa) mit der des freien Journalisten getauscht zu haben.

"In der Selbständigkeit kann ich mich richtig entfalten", sagt der Familienvater, der mit Ehefrau Bettina und den Töchtern Katja (15) und Dana (17) in Zons wohnt. Und: "Die Dinge, über die ich mich heute ärgere, habe sich selbst verbockt."

Die Begeisterung für den Sport hat Gregor Derichs früh entdeckt. 1974 begann er ein Volontariat beim sid, studierte parallel an der Sporthochschule in Köln.

Seine Diplomarbeit schrieb er über die "Ausbildungsprobleme des Sportjournalismus" - eine Arbeit übrigens, die immer noch gern zitiert wird.

1978 zog der sid in das Pressehaus Neuss, siedelte sich später mit eigenem Haus im Neusser Hammfeld an. 1986 dann wechselte Derichs zu dpa.

Chancen bei der WM? "Wir hatten noch nie eine so unerfahrene Mannschaft auf dem Feld", sagt Gregor Derichs. Und: "Wir zählen nicht mehr zu den Top Ten der Welt."

Entsprechend kritisch beurteilt er die Aussichten: "Das Viertelfinale wäre ein realistisches Ziel.

Halbfinale oder Endspiel eine positive Sensation". Aus seinem Erfahrungsschatz sieht er auch Probleme, ob Bundestrainer Jürgen Klinsmann sich der Mannschaft gegenüber verständlich machen kann.

"Ich habe Bedenken, ob die Philosophie des Angriffsspiels bei der Mannschaft ankommt - normalerweise stabilisiert man zunächst die Abwehr."

"Gute Fußballspiele, die den Zuschauern tollen Sport und Spannung bieten", wünscht sich Derichs. "Die Atmosphäre bei solchen Turnieren ist einmalig".

Dennoch wird er auch diesmal die professionelle Distanz wahren. Ausgleich findet er in der eigenen sportlichen Betätigung bei Laufen Tennis, Fußball.

Dass die WM in der Heimat ist, stimmt ihn ein wenig wehmütig: Auch nach über 30 Jahren Sportjournalismus, Ereignissen in über 80 Ländern, reist er immer noch gern, nimmt sich die Zeit, Land und Leute kennenzulernen.

(NGZ)
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