Einsturzgefährdete Autobahnbrücke A57: Land ruft Experten zu Hilfe

Dormagen/Düsseldorf · Spezialisten untersuchen die einsturzgefährdete Autobahnbrücke. Noch ist nicht klar, wie lange es dauert, bis die Autobahn wieder befahren werden kann. Ein Stauexperte warnt vor einem Verkehrskollaps im Sommer. Die Polizei hat bisher keine Spur von den Brandstiftern.

Unter der Brücke ist nur das Dröhnen von Hammerschlägen zu hören. Mitarbeiter einer Stahlbeton-Fachfirma aus Castrop-Rauxel, die auf sechs Hebebühnen stehen, schlagen Teile aus der Decke. Diese werden ins Labor geschickt, um herauszufinden, wie stark das Feuer den Beton beschädigt hat. An der Unterseite der Brücke lässt sich immer noch erkennen, wie hoch die Flammen dort in der Nacht zu Dienstag geschlagen haben: Sie ist vollständig mit einer Rußschicht überzogen.

Mit Helmen und gelben Warnwesten begutachten Experten oben die Schäden an den Trägern des Bauwerks. Kehrmaschinen drehen derweil ihre Runden. Sie beseitigen die letzten Spuren der Massenkarambolage, bei der auf der A 57 bei Dormagen ein Mensch starb, acht weitere schwer und fünf leicht verletzt wurden. Dichter Rauch, der von dem Feuer unter der Brücke aufgestiegen war, hatte den Fahrern die Sicht genommen. Gestern gab die Polizei bekannt, dass eine 35-Jährige in Lebensgefahr schwebt.

Warten auf Labor-Ergebnisse

Wie stark die Schäden an der Brücke wirklich sind, kann auch an Tag zwei nach dem Brand niemand sagen. Auch nicht Wilfried Hackbroich, Diplom-Ingenieur vom Duisburger Fachbüro Professor Domke, der sich vor Ort ein Bild macht. "Wir müssen die Labor-Ergebnisse abwarten." Die könnten aber noch einige Tage auf sich warten lassen. Erst danach stehe fest, ob die geplante Konstruktion mit Stützpfeilern funktioniert, meint Hackbroich. Diese würde ermöglichen, die Autobahn wieder zu öffnen und einen Teil der Fahrbahn mit drei Fahrstreifen provisorisch in Betrieb zu nehmen.

Die Verkehrsforscher vom Institut für Straßenwesen der Universität Aachen raten Verkehrsteilnehmern, den Bereich in den nächsten Monaten weiträumig zu umfahren. "Es wird zu massiven Behinderungen kommen", warnt Stauexperte Dirk Kemper. "Die Sperrung wird sich auf das ganze Autobahnnetz in NRW negativ auswirken."

Verschärfen werde sich die ohnehin schon angespannte Situation im Sommer, wenn die Autobahn 40 in Teilen wegen Sanierungsarbeiten komplett gesperrt werde, sagt er. "Dann droht NRW ein Verkehrskollaps, weil es dann kaum noch Ausweichmöglichkeiten gibt." Sein Institut arbeitet derzeit im Auftrag der Bundesregierung an einem "Stau-Modell". "Wir berechnen auf Grundlage aller Baustellen und Sperrungen die Auswirkungen auf den Verkehr", erklärt Kemper. Auch das NRW-Verkehrsministerium und die Polizei Düsseldorf haben sein Institut im Fall der einsturzgefährdeten Brücke bei Dormagen um Rat gebeten.

Straßenbauern droht ein Dilemma

Um einen Verkehrskollaps im Sommer oder einen erzwungenen Stopp von anderen großen Bauprojekten wie der A 40 oder dem Breitscheider Kreuz zu verhindern, muss die Brücke möglichst schnell wieder befahrbar gemacht werden. Fest steht: Der Teil des Bauwerks, über den die Fahrbahn in Richtung Köln führt, ist so stark beschädigt, dass er abgerissen und neu errichtet werden muss.

Falls die Brücke komplett neu gebaut werden muss, stehen die Straßenplaner vor einem Dilemma: In drei bis vier Jahren soll der Streckenabschnitt sechsspurig ausgebaut werden. Ein Neubau einer vierspurigen Brücke wäre für einen so kurzen Zeitraum wirtschaftlich schwer zu verantworten. Daher wird auch geprüft, ob direkt eine sechsspurige Brücke geplant und gebaut werden sollte. "Sowas macht man nicht mal eben mit einem Handstrich am Reißbrett", sagte der Sprecher von Straßen NRW. Möglicherweise wird eine Behelfsbrücke einige Jahre lang als Provisorium herhalten müssen, bis der sechsspurige Ausbau beginnt.

Für mindestens zehn Tage bleibt die Autobahn zunächst noch gesperrt. Bis der Verkehr so rollen kann wie vor dem Brand, werden mindestens anderthalb Jahre vergehen. Über die A 57 fuhren täglich 70 000 Fahrzeuge – viele Pendler müssen sich fürs Erste eine andere Strecke suchen. Gestern zumindest klappte das besser als befürchtet.

Die Polizei sucht derweil weiter nach den Brandstiftern. Eine heiße Spur gibt es noch nicht. Gegen die unbekannten Täter, die unter der Brücke Kunststoffrohre entzündet hatten, wird wegen fahrlässiger Tötung, gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und Sachbeschädigung ermittelt. Brandstiftung komme aus juristischen Gründen als Tatvorwurf nicht in Betracht, sagte Staatsanwalt Matthias Ridder. Denn Rohre und Brücken seien vom Gesetzgeber im Katalog der besonders strafbewehrten Brandstiftungsdelikte nicht aufgeführt. Die Rohre, die Straßen NRW gehörten, waren unter der Brücke unbeaufsichtigt gelagert gewesen.

Ein Gutachter ist mit der Frage beschäftigt, ob der oder die Feuerteufel für die Tat Brandbeschleuniger verwendet haben. Dies war wahrscheinlich der Fall. Ergebnisse der entsprechenden Analysen lagen gestern noch nicht vor.

In Dormagen hatte es in den vergangenen Monaten häufig gebrannt, das letzte Mal fünf Tage vor dem verheerenden Feuer unter der Brücke. Die Polizei prüft eine mögliche Verbindung. Sie rief die Bevölkerung auf, Beobachtungen zu melden. Die Hoffnung auf Zeugen ist aber gering: Die Autobahnbrücke liegt in unbewohntem Gebiet, dazu geschah die Tat in der Nacht.

(RP/top)
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