Kolumne Neu In Der Stadtbibliothek Walser und Augstein: Das Leben wortwörtlich

Dinslaken · Martin Walser ist auch im gesegneten Alter von 90 Jahren noch ein erstaunlich produktiver Schriftsteller, der den RP-Lesern zuletzt mit seinem essayistischen Roman "Statt etwas oder der letzte Rank" (2017) vorgestellt wurde. Jetzt hat Walser mit seinem Sohn Jakob Augstein (der erst im Jahr 2005 erfahren hat, dass Martin Walser und nicht Rudolf Augstein sein wirklicher Vater ist), ein ungewöhnliches Buch erarbeitet, "Das Leben wortwörtlich", eine Autobiografie in Gesprächsform. Denn, so Martin Walser, "die Lüge in den Memoiren, die möchte ich nicht".

Den Leser erwartet ein langes, eindringliches Gespräch, in dem der Sohn der Fragesteller und Stichwort-Geber und Martin Walser der Auskunft-Gebende ist. Und es ist natürlich auch nicht die "wortwörtliche" Mitschrift eines Gespräches (wie der Titel suggeriert), sondern ein kunstvoll arrangiertes und sprachlich ausgefeiltes Selbstporträt Martin Walsers, das sich immer wieder zu Erzählungen einzelner Lebensetappen verdichtet, allem voran die sehr lesenswerte Schilderung von Walsers Kindheits- und Jungendjahren in Wasserburg am Bodensee.

Fast alle wichtigen Lebensstationen werden in diesem intimen, aber nie indiskreten Dialog ausgeleuchtet: vom Hitlerjungen und Gebirgsjäger über den Germanistik-Studenten und Rundfunk-Journalisten bis hin zu den Entwicklungsstufen des berühmten Schriftstellers. Highlights dabei sind die Porträts von Autoren-Kollegen wie Günter Grass und Uwe Johnson, die komplikationsreiche Beziehung zum Kritiker-Papst Marcel Reich-Ranicki, die Stellungnahmen Walsers zu Auschwitz, und die gemeinsame Auslotung der Beziehung von Vater und Sohn. Vor allem dank der sachkundigen und hartnäckigen Nachfragen Jakob Augsteins, der seinen Vater immer wieder aus seiner Deckung herauslockt, erhält der Leser immer wieder überraschend neue Einblicke in Leben und Schreiben Martin Walsers. Das ebenso anregend wie anrührend zu lesende Gespräch zwischen einem prominenten Vater und seinem nicht ganz so prominenten Sohn hat zu Recht ein breites Leserecho gefunden.

RONALD SCHNEIDER

Jakob Augstein: Das Leben wortwörtlich. Ein Gespräch; Rowohlt Verlag, Hamburg: 2017.

(RP)
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