Dinslaken Vom Glück, ein Schauspieler zu sein

Dinslaken · HIntergrund Vor 50 Jahren engagierte ihn Kathrin Türks für die Burghofbühne. Noch heute ist Wilfried Szubries gelegentlich als Schauspieler für das Dinslakener Theater tätig. Zum 60-jährigen Bestehen der Bühne blickt der 77-Jährige zurück auf die Pionierin des deutschen Kinder- und Jugendtheaters, bergmännische Kulturarbeit und seine erste Rolle.

 Immer wieder Burghofbühne: Wilfried Szubries (77) als "Präsident Delbec" in Eric-Emmanuel Schmitts "Hotel zu den zwei Welten".

Immer wieder Burghofbühne: Wilfried Szubries (77) als "Präsident Delbec" in Eric-Emmanuel Schmitts "Hotel zu den zwei Welten".

Foto: MB/LTB

Im Gründungsjahr 1951 war ich während der Sommerferien als Schlepper unter Tage im Hamborner Bergbau tätig. Ein Aushilfsjob auf siebter Sohle mit Kurzschicht bei 40 Grad Hitze. Das spülte mir als 17-jährigem Schüler gute Kohle in die stets löchrigen Taschen. Der Bergbau boomte. Es wurde Geld verdient. Arbeiter wurden gesucht. Mit der Einrichtung guter Wohnmöglichkeiten und sinnvollen Angeboten zur Freizeitgestaltung sollte der Bergmannsberuf anziehend gemacht werden.

In der Bergwerkszeitung "Der Förderturm" las ich von einer Ansiedlung eines kleinen Ensembles von Schauspielern aus Bielefeld in Lohberg zur Unterstützung der Bergmännischen Kulturbetreuung im Revier Duisburg-Hamborn bis Dinslaken-Lohberg. Der Rubel rollte offensichtlich bei der Gelsenberg Aktien-Gesellschaft. "Die tun aber wirklich viel für uns", kommentierte mein Vater, der Bergmann war, und wie meine Mutter sagte, mit dem "Pütt" verheiratet war. Er starb später an Steinstaublunge. (Pardon, "Herzversagen", wie es hieß.)

Was war das um 1951 noch für ein Vorstands-Gremium, das Steigerungen der Rendite im Zaum zu halten verstand. Es wurde für die kulturelle Betreuung der Belegschaft und ihrer Familien sehr viel Geld ausgegeben. Die angeworbenen Arbeiter sollten in ihrer Freizeit ein menschenwürdiges Dasein gestalten können. Dazu sollte auch eine anspruchsvolle Kulturbetreuung aufgebaut werden. Man erhoffte sich dadurch vermutlich eine positive Beeinflussung des gesamten Betriebsklimas.

Die Idee führte bei ihrer Realisierung zu wirtschaftlichem Erfolg und zu Spitzenleistungen in den Künsten, von denen manche gar zu glänzenden Mosaiksteinen der Weltkultur wurden. Die leichte Muse gedieh ebenso wie selbst tiefgründig verästelte Adern der Musik, der Malerei und des Theaters. Mich elektrisierte die Welt des Schauspiels und erhellte mir eine Welt, selbst im Drama, die der Kriegsalltag und der Krieg im Friedensalltag verdüstert hatten.

Gedichtaufsager

Im Schultheater spielten wir Klassiker und übten den Gedichtvortrag. Aus der Kulturabteilung der Gelsenberg gab es Anfragen, ob ich als "Gedichtaufsager vom Dienst" in Schulen, Kirchen und Jugendheimen eventuell in die Kulturarbeit des Bergbaus einbezogen werden könnte. Ich wich verschämt aus. Meine Vortragsversuche erschienen mir für eine derartige Verwertung noch allzu dürftig. Heute erst beginne ich die Beweggründe des Interesses zu verstehen, das damals aus der Kulturabteilung des Bergbaus selbst meinen kargen Versuchen kultureller Tätigkeit entgegengebracht wurde. Was waren das für Leute, die mit seismografischem Feingefühl Kulturwurzeln wieder aufzuspüren suchten und mit ihren betrieblichen Zielen in Einklang zu bringen wussten? Ich konzentrierte mich zu dieser Zeit zunächst auf einige Ausbildungsabschlüsse, übernahm Stückverträge als Schauspieler und bewarb mich erst zehn Jahre später am Bochumer Theater als Schauspieler. Hans Schalla, der Leiter dieser Bühne, empfahl mit jedoch die Tour durch die kleinen Theater erst einmal weiterzumachen. Danach, sei er sicher, fände sich auch ein Platz für mich an seiner Bühne. In Dinslaken, sagte er, gäbe es doch ein neues kleines Ensemble. "Gehen Sie doch da erst einmal hin."

Meine etwas kritischen Vorurteile vergaß ich umgehend und folgte dem Hinweise dieses berühmten Theatermannes. Bei meinem Vorsprechen bei Frau Türks erwähnte ich, dass ich zuletzt in Bielefeld arbeitete, wo ich das Marionettenspiel erlernt hätte, nun aber habe mich Hans Schalla vom Bochumer Theater an sie verwiesen. Ich wurde engagiert.

Von 1961 bis 1964 habe ich reizvolle Aufgaben bei der Burghofbühne übernehmen dürfen. Dabei kam es für mich zu einem glückhaften Ereignis: Kathrin Türks war es im Zusammenhang mit der Aufführung von Sartres "Die schmutzigen Hände" gelungen, Jean Paul Sartres Lehrer, den Philosophen Gabriel Marcel, nach Dinslaken zu holen. Als der alte Herr, gestützt von seiner alten, gebrechlichen Frau sich am Bahnhof in Dinslaken aus dem Zug herabließ, war ich von diesem hilflos erscheinenden berühmten Mann tief beeindruckt. Es fiel ihm schwer, deutsch zu sprechen. Kathrin Türks bot ihm an, ein Schauspieler könne seinen Vortrag doch in deutscher Sprache vorlesen. Er stimmte zu.

Der Augenblick für mich nahte. Ich sollte seinen Vortrag auch in Duisburg und anderen Städten vortragen, bevor er eine Fragestunde eröffnete. Bei den Veranstaltungen antwortete er enthusiastisch. Um seinen Begriff der Existenzphilosophie vor Sartre, Jaspers und Heidegger ging es dabei. Lange durfte ich an diesen Tag mit ihm und seiner Frau verbringen und ihn ausfragen. Es ging oft um "Die schmutzigen Hände", den Wahn vom grenzenlosen Streben nach Macht, ihrer Ausdehnung und Stabilisierung, verbunden mit krankhafter Gewinnsucht, die bedrohliche Existenzsorgen der Schwächeren ignoriert. Muss denen nicht notfalls mit "schmutzigen Händen" das Handwerk gelegt werden?

Gabriel Marcel formulierte energisch seinen Widerspruch gegen jede Philosophie ohne Gott, wie er es nannte. Rettung sei nur durch langatmigen Widerspruch durch eine Philosophie mit Gott, wie er ihn sähe, zu erreichen. Er wusste die Worthülse Gott mit überzeugenden Sehweisen zu füllen. Verhärtete Fronten gelte es in der Regel gewaltlos, aber beharrlich aufzuweisen. (Wie zur Verhöhnung seiner Einsicht begann die RAF wenige Jahre später mit ihren irrsinnigen Morden.) Um Ohnmacht der Schwachen in der Politik, gegen Verflachung in Kunst und Kultur, in Kirche, Schule und anderen Bereichen kreisten die Gespräche mit dem Philosophen. Die Burghofbühne hat mir die Möglichkeit zu einer Begegnung mit Gabriel Marcel gegeben. Allein schon um dieser Begegnung willen hat sich für mich der Weg zur Burghofbühne ausgezahlt. Inzwischen sind 50 Jahre vergangen, in denen ich gelegentlich als Schauspieler für diese Bühne tätig sein durfte. Mein Dank dafür geht an diejenigen, die dieses Theater gründeten und an alle, die es weiter erhalten wollen. Mein Dank gilt Kathrin Türks, die mit viel Mut, Kraft und Klugheit das Theater aufbaute und über Jahre zu erhalten verstand. Zum 60. Geburtstag sage ich dem Geburtstagskind Burghofbühne mit seinem Publikum, im Gedenken an Mutter Türks und die Gründerväter der Gelsenberg AG wie auch dem derzeitigen Ensemble mit seinem Intendanten und seinen Mitarbeitern mit diesem kleinen Beitrag aus Worten als Streublumen: "Herzlichen Glückwunsch. Glückauf!"

(RP)
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