Ieyüp Yildiz Türkei: der Putsch und die Folgen

Dinslaken · Dinslakens stellvertretender Bürgermeister zur Situation in der Türkei nach dem gescheiterten Putsch und zu den Folgen für die Integrationsbemühungen in Deutschland im Allgemeinen und in Lohberg im Besonderen.

 "Die Politik hat die Augen vor der Entwicklung verschlossen."

"Die Politik hat die Augen vor der Entwicklung verschlossen."

Foto: Büttner Martin

Herr Yildiz, hatten Sie nach dem gescheiterten Putsch schon Kontakt in die Türkei?

 "Die Türkei war immer schon gespalten."

"Die Türkei war immer schon gespalten."

Foto: Büttner Martin

Eyüp Yildiz Ja, meine Mutter ist zurzeit zu Besuch in Istanbul. Mit ihr habe ich natürlich sofort telefoniert. Sie wohnt etwas außerhalb und hat von dem Geschehen nicht unmittelbar etwas mitbekommen. Es geht ihr gut, aber sie schildert die Situation als sehr bedrückend.

 "Wir müssen nicht zulassen, dass die Ideologie Erdogans verbreitet wird."

"Wir müssen nicht zulassen, dass die Ideologie Erdogans verbreitet wird."

Foto: Büttner Martin

Wie sehr hat Sie dieser Putsch überrascht?

 "Mit Autokraten macht man keine Geschäfte."

"Mit Autokraten macht man keine Geschäfte."

Foto: Martin Büttner

Yildiz Na ja, ich will jetzt nicht sagen, dass das vorhersehbar war, aber die Türkei ist ein im Inneren gespaltenes Land und zudem dabei, sich nach Außen ins Abseits zu manövrieren. Die Türkei ist ungemein unter Druck. Das fängt bei der Tourismusbranche an. Ich glaube auch nicht, dass sich die Wirtschaft insgesamt so entwickelt, wie das von der türkischen Regierung immer dargestellt wird. Und der autokratische Regierungsstil Erdogans führt natürlich auch bei vielen zu einer großen Unzufriedenheit.

Offenbar sind aber auch ausgewiesene Erdogan-Gegner auf die Straße gegangen, um diesen Putsch zu verhindern. Hat Sie das gewundert?

Yildiz Teilweise, ja. Es gibt für mich zwei Erklärungen. Da waren zum einen die, die sich gesorgt haben, was mit ihnen passiert, wenn der Putsch schiefgeht und die deswegen Erdogan unterstützt haben. Ich glaube aber, dass der größte Teil der Erdogan-Gegner sich gegen den Putsch gestellt hat, weil sie ihn mit demokratischen Mitteln bekämpfen wollen und nicht mit Waffengewalt.

Alles, was bislang aus der Türkei zu hören ist, deutet darauf hin, dass der Präsident diesen Putsch mit allen Mitteln dazu nutzen wird, seine Macht auszubauen.

Yildiz Natürlich, das war doch klar. Ich möchte mich jetzt nicht unter die Verschwörungstheoretiker einreihen, aber es gibt so viele Ungereimtheiten. Plötzlich gibt es da Listen mit tausenden von Namen, die mit dem Putsch in Zusammenhang gebracht werden, Richter, Staatsanwälte. Das spricht dafür, dass Erdogan zumindest vorbereitet war und diese Gelegenheit jetzt nutzt. Ich glaube, man muss sich die Entwicklung der Türkei unter Erdogan insgesamt ansehen. Die Türkei war immer schon gespalten, instabil. Es geht letztlich um den Kampf der "Weißtürken" gegen die "Schwarztürken". Die "Schwarztürken" sind Jahrzehnte lang von einer gewissen elitären Schicht unterdrückt worden. Diese Schicht in der Türkei, die sehr traditionell, sehr religiös ist, hat in Erdogan, der ja selbst aus armen Verhältnissen kommt, ihren vermeintlichen Helden gefunden, der genauso denkt wie sie, der ihr den vermeintlich richtigen Weg zeigt.

Wird Erdogan jetzt noch stärker und was bedeutet dies für die Integrationsbemühungen in Deutschland? Erdogan, das belegen seine Auftritte vor türkischen Landsleuten in Deutschland, ist ja nicht bekannt dafür, dass er die Integration fördern will?

Yildiz Erdogan war schon stark. Wir reden ganz eindeutig über einen autokratischen Herrscher. Und wir reden von einem Herrscher, dessen Ideologie schon längst in die türkische Gemeinschaft nach Deutschland herübergeschwappt ist. Das lässt sich doch sehr gut in den sozialen Netzwerken verfolgen, in denen Erdogan-Kritiker beschimpft und angefeindet werden. Das ist aber doch das Wichtige für uns. Darauf, was in der Türkei passiert, haben wir keinen Einfluss. Da sollten wir uns auch nicht einmischen. Wenn die Bevölkerung Erdogan will, dann ist es deren Sache. Der Punkt, der uns interessieren muss, ist, welchen Einfluss hat Erdogan, hat die Ideologie, die er vertritt, hier bei uns in Deutschland. Das ist für uns eine Frage unserer inneren Sicherheit.

Das betrifft doch auch ganz direkt den Stadtteil Lohberg. Auch hier gibt es ja eine erkleckliche Anzahl von Erdogan-Anhängern. Wird sich der konservative Islam, den der türkische Präsident vertritt, künftig auch hierzulande noch mehr von allen Integrationsbemühungen abschotten.

Yildiz Richtig. Das ist ja auch schon seit langem mein Thema. Wir müssen uns doch fragen, wie sich das so entwickeln konnte. Diese Entwicklungen sind von der Bundes-, der Landes- und auch teilweise von der Kommunalpolitik aus politischem Kalkül in Kauf genommen worden. Statt die Finger in die Wunde zu legen, hat Politik die Augen vor solchen Entwicklungen verschlossen, um nur nicht anzuecken, hat so getan, als sei alles Friede, Freude, Eierkuchen. Das hatte schon etwas von Obskurantismus, also einer feindlichen Art gegenüber jedweder Aufklärung, was diese Themen betrifft. Das aber ist unsere Verantwortung, was leider oft noch immer nicht gesehen wird. Wenn wir unsere offene Gesellschaft verteidigen wollen, müssen wir Aufklärung betreiben. Aus meiner Sicht haben wir inzwischen eine sehr explosive Gemengelage. Wir haben auf der einen Seite die Erdoganisten, die sich der Integration entziehen, und auf der anderen Seite die Rechtspopulisten, etwa von der AfD, die versuchen, daraus ihr politisches Süppchen zu kochen. Das schaukelt sich gegenseitig hoch. Die AfD, da bin ich sicher, wird versuchen, aus dieser Lage, auch aus dem, was gerade in der Türkei passiert, Kapital zu schlagen.

Was lässt sich dagegen tun?

Yildiz Kurzfristig ist das sehr schwierig. Mit 16, 17, 18 Jahren sind Menschen - das betrifft die Türken genauso wie die deutsche Mehrheitsgesellschaft - oft schon in einem bestimmten Gedankenkorsett gefangen. Da stößt man mit Argumenten, das erlebe ich in vielen Gesprächen, die ich in Lohberg führe, kaum noch durch. Wir müssen von Anfang an, alles tun, damit sich solch ein Gedankenkorsett nicht verfestigt. Wir müssen, da sind wir wieder bei meinem alten Thema, bei den Kindern anfangen. Die müssen wir aus den Strukturen herausholen, die sie umgeben, und ihnen zeigen, was eine offene Gesellschaft bedeutet. Wir müssen auf die Kinder setzen, ihnen deutlich machen, dass die Welt nicht schwarz oder weiß ist, sondern dass sie viele Farben hat, dass nicht der Hass regiert, sondern das Miteinander.

Wie aber soll das ganz praktisch gehen? Sie haben erlebt, dass Ihr Vorschlag, die Lohberger Grundschule zu schließen, damit die Migranten-Kinder aus dem Stadtteil nicht unter sich bleiben, keine Mehrheit gefunden hat. Und selbst wenn man den Kindern in der Schule diese andere offene Gesellschaft zeigt, kehren sie doch nach der Zeit, die sie in der Schule verbringen, für den Rest des Tages wieder in die Strukturen zurück, aus denen Sie sie doch lösen wollen? Die meisten Imame, die sie in ihren Moscheegemeinden treffen, werden doch in der Türkei unter dem Einfluss Erdogans ausgebildet.

Yildiz Das ist zum Beispiel ein Punkt, an dem wir schnell Einfluss nehmen können. Das habe ich schon vor eineinhalb Jahren gefordert: keine importierten Imame mehr. Schluss damit. Man darf kein Pauschalurteil über diese Imame fällen, aber wir wissen, dass die Abhängigkeit der Ditib-Moscheen von der Diyanet sehr groß ist. Diyanet ist die türkische Religionsbehörde. Das ist Erdogans Behörde. Was in der Türkei passiert, ist die Sache der Menschen dort. Sie müssen entscheiden, ob sie das richtig oder falsch finden. Aber was hier passiert, ist unsere Angelegenheit. Wir haben hier genügend islamische Religionsgelehrte, die die Lage der Menschen in diesem Land sehr genau kennen. Wir brauchen keine importierten Imame. Wir müssen es nicht zulassen, dass die Ideologie Erdogans hier verbreitet wird.

Erdogan ist aber doch für viele europäische Regierungen - auch für die deutsche - ein wichtiger Gesprächspartner.

Yildiz Wenn diese Regierungen klug wären, würden sie nichts tun, was Erdogan stärkt. Man muss nicht mit ihm verhandeln. Ich halte es auch für einen Fehler, wie sich die deutsche Bundeskanzlerin verhalten hat. Mit Autokraten macht man keine Geschäfte. Ich sehe ja das Dilemma zwischen pragmatischem politischen Handeln und Prinzipienfestigkeit. Letztlich würde ich mich aber für die Prinzipienfestigkeit entscheiden. Ich bin sicher, dass der Deal in der Flüchtlingsfrage auf Dauer nicht funktionieren wird. Das ist so, als wenn man die ganze Zeit lügt. Irgendwann kommt die Wahrheit dann doch raus, und dann wird es umso schlimmer. Wie soll ich gegen die Erdoganisten in diesem Land argumentieren, wenn die Regierung Geschäfte mit diesem Mann macht. Irgendwann bekommen wir die Rechnung.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE JÖRG WERNER.

(RP)
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