RP-Serie „Engel im Alltag“ „Hier bin ich sehr glücklich“

Wesel · Jak Diabys Dankbarkeit ist unendlich: Vor zwei Jahren flieht der 22-Jährige aus seiner Heimat Guinea, weil er dort wegen seines Glaubens misshandelt wird. In Deutschland ist es vor allem die Kirche, die ihm anfangs hilft.

 Für Jak Bouba Diaby (r.) ist Arnd Lohmeier einer von vielen Engeln im Alltag. 

Für Jak Bouba Diaby (r.) ist Arnd Lohmeier einer von vielen Engeln im Alltag. 

Foto: Maren Könemann

„Ich möchte nicht mehr zurück“, sagt Jak. „Aber ich vermisse meine Mutter. Nachts träume ich oft von ihr. Und von meiner Schwester.“ Als seine Gedanken für einen kurzen Moment um seine Familie in seiner Heimat Guinea kreisen, kämpft der 22-Jährige mit den Tränen. Gerne würde er seine Schwester und seine Mutter noch einmal wiedersehen, das schon. Aber zurückkehren? Niemals. Zu gefährlich ist es dort für ihn, zu sehr hat man ihm dort wehgetan, körperlich wie psychisch.

Jak muss sein altes Leben hinter sich lassen, und mit aller Kraft um sein neues Leben hier in Deutschland kämpfen. Keine einfache Aufgabe für den 22-Jährigen, der viel durchgemacht hat. Hier gibt ihm vieles Hoffnung. Eine neue Familie habe er gefunden, und dafür sei er unendlich dankbar. „Ich bin hier sehr glücklich, vor allem mit meinem Chef und Freund“, sagt Jak und schenkt seinem Ausbilder Arnd Lohmeier ein strahlendes Lächeln, „er ist wie ein Vater für mich.“

Jak so glücklich zu sehen, erfüllt auch Arnd Lohmeier mit Freude. Der Inhaber einer Weseler Gärtnerei beschäftigt Jak seit diesem Herbst als Auszubildenden in seinem Betrieb und gibt ihm damit die Chance, vielleicht für immer in Deutschland bleiben zu können. Der 53-Jährige Unternehmer ist für Jak ein großer Halt, unterstützt ihn in allen Lebenslagen, denn er weiß: Jak hat es nicht leicht – und hat eine traumatisierende Reise hinter sich.

„Ich hatte Probleme mit meinem Vater“, erklärt Jak. Für ihn ist das der Anfang seiner Geschichte. Weil Jak sich in seiner Heimat Guinea schon lange zu einem anderen Glauben als dem seines Vaters hingezogen fühlt, weil er heimlich christliche Gottesdiente in seiner Heimatstadt Mamou besucht, weil er von dem Prinzip der Nächstenliebe begeistert ist, und weil er schließlich nicht mehr Muslim, sondern Christ sein will, wird er aufs Härteste bestraft. Seine Gemeinde lehnt ihn ab, beleidigt ihn, droht ihm mit dem Tod. Schlimmer noch sind die Reaktionen seines Vaters, einem sehr einflussreichen Imam, der ihn brutal misshandelt. Was genau passiert ist, bringt Jak kaum über die Lippen, doch die Folgen der Wut seines Vaters spürt er bis heute. „Ich habe oft Knieschmerzen, weil er mich so geschlagen hat“, erzählt der 22-Jährige bedrückt. Als Jak sich schließlich auch gegen die Beschneidung seiner Schwester auflehnt, verliert sein Vater die Kontrolle und bedroht seinen Sohn mit einer Waffe. Ein Warnschuss in die Decke ist das letzte, was Jak von seinem Vater sieht – danach dreht er sich um, läuft weg, und schaut nicht wieder zurück.

Völlig auf sich allein gestellt durchquert Jak fast den halben afrikanischen Kontinent, flieht über Mali, Burkina Faso und Niger bis nach Libyen. Wie lange er unterwegs war, das weiß Jak heute nicht mehr. Und dass er in Libyen einen Monat lang ins Gefängnis gesperrt wurde, scheint für ihn schon fast nebensächlich. Doch er schafft es, auch von dort zu fliehen. Einen Monat lang habe er schließlich in Libyen gearbeitet, um sich das Geld für eine Überfahrt nach Europa zusammenzusparen.

Was folgt, kann der 22-Jährige bis heute kaum verarbeiten: Das Boot, in dem Jak mit 125 anderen Menschen sitzt, schlägt schon nach drei Tagen ein Leck. Alle Flüchtlinge müssen runter, im Wasser kämpfen sie ums Überleben. „Wir waren 24 Stunden lang im Wasser“, erinnert sich Jak an die Zeit, „25 Menschen sind gestorben.“ Darunter sei auch eine schwangere Frau gewesen, der Jak nur noch beim Ertrinken zusehen konnte. Diese Bilder gehen dem 22-Jährigen bis heute nicht aus dem Kopf.

Ein Rettungsboot schafft die Überlebenden schließlich an Land in Italien, doch dort kümmert man sich kaum um Jak. Also reist er weiter nach Deutschland, und wird von den Behörden nach Duisburg gebracht. Schnell sucht er eine Kirche in der Nähe seines Flüchtlingsheimes auf, und erhält Hilfe. Von „Frau Anja“ wird er herzlich aufgenommen. „Frau Anja, c’est elle qui m’a baptisée“, sagt er auf Französisch: „Frau Anja, sie war es, die mich getauft hat.“

„Frau Anja“ kümmert sich viel um Jak, auch als er Wesel verlegt wird und dort im Krankenhaus behandelt werden muss, weil er sehr krank wird. Aus Sorge bittet „Frau Anja“ eine Gemeindeschwester in Wesel, „Frau Helga“, um Hilfe, die sich schließlich gemeinsam mit Elisabeth Rolf-Macht als Dolmetscherin weiter um Jak kümmert. „Madame Elisabeth, elle est comme ma mère“, sagt Jak: „Frau Elisbeth ist wie meine Mutter.“

„Und dann habe ich noch eine Familie“, erzählt Jak weiter, und meint damit Petra Rippin-Schorsch, die Jak bei seinen schulischen Herausforderungen unterstützt. „Frau Petra ist eine tolle und sehr nette Frau“, sagt Jak und lächelt dabei. Wie kostbar sein Engel-Trio für ihn ist, das weiß er ganz genau.

Jetzt will Jak sich voll und ganz auf seine Zukunft in Deutschland und bei Arnd Lohmeier konzentrieren. „Ich kann das schaffen, ich schaue immer nach vorne“, sagt der 22-Jährige mutig, und das, obwohl er unter enormem Druck steht. „Jaks Fluchtgrund ist nicht anerkannt, die Verunsicherung bleibt also. Er arbeitet, geht zur Berufsschule und zusätzlich zur VHS. Ein Pensum das kaum zu schaffen ist“, sagt Elisabeth Rolf-Macht, die gemeinsam mit Arnd Lohmeier und Petra Rippin-Schorsch alles dafür tut, um Jak hier eine Zukunft zu ermöglichen.

„Ich muss allen so sehr danken“, sagt Jak noch einmal. Hier habe er so viele neue Freunde gefunden, vor allem in der Kirche. „Dort sind alle so nett“, sagt er. Jeden Samstag gehe er dorthin, aber natürlich erst, wenn er seine Hausaufgaben gemacht und den Stoff für die Ausbildung gelernt hat. Weihnachten wird Jak – wie schon im letzten Jahr – mit Petra Rippin-Schorsch und ihrer Familie verbringen. „Oma Rippin ist auch da. Sie ist so nett, sie fährt mich immer zum Psychologen, und manchmal gibt sie mir fünf Euro für ein Eis“, sagt Jak fröhlich und bescheiden.

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