Dr. Michael Heidinger Reden wir mal über die Bundeswehr

Dinslaken · In den RP-Sommerinterviews reden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens über Themen, zu denen sie sonst nicht befragt werden. Dinslakens Bürgermeister berichtet, wie er den Kriegsdienst verweigerte und dann als Reservist Karriere machte.

Herr Dr. Heidinger, Sie sind nicht nur im Dinslakener Rathaus ein wichtiger Mann, sondern auch bei der Bundeswehr. Sie sind Stabsoffizier der Reserve, wurden 2006 im Verteidigungsministerium zum Oberstleutnant befördert — das klingt nach einer ziemlich hohen Führungsebene. Geht da noch was drüber?

Heidinger Da geht noch was drüber. Reservisten können grundsätzlich bis zum Oberst befördert werden. Daran arbeite ich. Ich habe im Rahmen eines Auswahlverfahrens die Stelle eines Obristen zugewiesen bekommen. Ich hoffe, dass ich bis zum Jahresende befördert werde.

Welche Voraussetzung müssen Sie erfüllen? Geht es um Eignung, Leistung, Befähigung oder auch Bedarf?

Heidinger All diese Dinge spielen eine wesentliche Rolle. 1984 bin ich als Wehrpflichtiger — Obergefreiter der Reserve — entlassen worden und habe dann als Reservist alle Lehrgänge der Laufbahn absolviert. Das war ziemlich aufwendig, aber auch auch sehr bereichernd.

Ein Mann mit Ihrem Dienstgrad wird sicherlich nicht zur Reserveübung gerufen, um mit Marschgepäck einen Zehn-Kilometer-Lauf zu machen. Wo und wann werden Sie eingesetzt und wie sehen Ihre Aufgaben aus?

Heidinger Aktuell bin ich als Referatsleiter in die Abteilung Strategie und Einsatz des Verteidigungsministeriums beordert. Da geht es um Grundsatzangelegenheiten von Auslandseinsätzen. Das ist eine spannende und fordernde Aufgabe, die Freude bereitet. Mir ist aber auch der Kontakt zur Truppe wichtig. Deswegen versuche ich, wo es zeitlich möglich ist, in der Truppe an Wehrübungen teilzunehmen. Das hat jetzt etwas länger nicht geklappt. Die letzte Übung liegt sieben Jahre zurück. 2006 habe ich in der ABC-Abwehrbrigade 100 in Bruchsal geübt.

Ging es um logistische Aufgaben?

Heidinger Ja. Als Stabsoffizier musste ich verschiedene Ausbildungsvorhaben vorbereiten, dafür die logistischen Voraussetzungen schaffen und Befehle erarbeiten. Das ist ein relativ komplexes Verfahren, weil sehr viele Dinge ineinandergreifen. Es geht darum, welches Material zur Verfügung gestellt wird, welcher personelle Einsatz nötig ist.

Worum ging es konkret?

Heidinger Um die Ausbildung der Soldaten zur Vorbereitung auf die Teilnahme an Auslandseinsätzen. Im Ministerium begleiten wir aber auch die Auslandseinsätze. Wir arbeiten auf der Ebene, wo die politisch-strategischen Entscheidungen fallen, die dann an das Einsatzführungskommando weitergegeben werden.

Warum sind Sie für diesen Job der richtige Mann?

Heidinger Man benötigt politische Sensibilität. Ich habe im Ministerium viele Jahre die Information des Parlaments über die Einsätze der Bundeswehr begleitet und Berichte verfasst. Heute bin ich als Referatsleiter dafür zuständig, dass die Berichte so geschrieben sind, dass sie das Parlament ausreichend informieren. Für die ministerielle Stabsarbeit ist es von Vorteil, wenn man Verwaltungs-Erfahrung mitbringt und auch schon mal im Ministerium im Einsatz war. Von meiner vierjährigen beruflichen Erfahrung im Landesarbeitsministerium kann ich da gut profitieren.

Wie häufig wird jemand zum Oberst der Reserve befördert?

Heidinger Oberstleutnante der Reserve gibt es noch sehr viele. Es gibt aber nur noch wenige, die den Spitzendienstgrad der Reservisten erreichen.

Humanitäre Einsätze der Bundeswehr gewinnen immer mehr an Bedeutung. Damit verändern sich die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen. Das erfordert eine Umstrukturierung der Streifkräfte in organisatorischer und technologischer Hinsicht. Was sollte geschehen?

Heidinger Wichtig ist, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Wo und wann die Bundeswehr eingesetzt wird, muss klar definiert sein. Wenn sie eingesetzt wird, braucht man einen Beschluss der Vereinten Nationen, des Deutschen Bundestages und vor allem ein politisches Gesamtkonzept. Das gilt gerade auch für humanitäre Einsätze. Damit klar ist, was wir eigentlich mit dem Einsatz erreichen wollen. Nur wenn das stimmig in eine gesamtpolitische Lösung eingebracht werden kann, ist es zu verantworten, dass die Soldaten losgeschickt werden.

Und die Kosten?

Heidinger Streitkräfte sind teuer. Aber es ist klar: Wenn deutsche Soldaten in einen Einsatz geschickt werden, dann haben sie ein Anrecht auf die bestmögliche Ausrüstung. Wir sind es unseren Soldaten schuldig, dass sie wohlbehalten zurückkehren. Da darf Geld keine Rolle spielen. Man muss vorher überlegen: Können wir uns das finanziell leisten. Wenn ja, müssen diese Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Manchmal wird vorher nicht genug überlegt. Stichwort: Drohnen.

Heidinger Die Drohnen-Debatte ist noch nicht beendet, die muss man weiterführen. Es muss sichergestellt werden, dass die Arbeit unserer Soldaten durch technische Hilfsmittel weiter unterstützt werden kann.

Sie sind auf dem Sprung nach Berlin.

Heidinger Ja, ins Verteidigungsministerium. Bis zum 27. August werde ich als Referatsleiter im Grundsatzreferat der Abteilung Strategie und Einsatz eingesetzt.

Ihre Arbeit als Bürgermeister ist recht zeitintensiv. Wie schaufeln Sie sich Freiräume, um sich als Reservist für die Bundeswehr zu engagieren?

Heidinger Das ist Zeit, die ich mir abknapsen muss. Die Amtsgeschäfte hier gehen weiter. Vieles muss im Vorfeld abgestimmt werden. Das haben wir bislang gut hinbekommen.

In den 70er Jahren gab es die erste große Welle von Kriegsdienstverweigerern. Haben Sie selbst jemals darüber nachgedacht zu verweigern?

heidinger Ich habe den Kriegsdienst verweigert. Ich bin aber abgelehnt worden. Dann habe ich mir die ganzen Dinge noch einmal durch den Kopf gehen lassen und mich dazu entschieden, doch zur Bundeswehr zu gehen. Manche sind erstaunt, dass man vor so einem Hintergrund eine Reservistenkarriere anstreben kann. Ich fand immer, dass die beiden Dinge sehr gut zueinander gepasst haben. Ich habe gezeigt, dass ich mir Gedanken gemacht habe und mich dann bewusst für diesen Weg entschieden.

Sie mussten damals eine Gewissensprüfung über sich ergehen lassen?

Heidinger Ja, ich habe sie zweimal gemacht. Das fand ich weniger toll. Aber gottseidank gibt's das ja nicht mehr.

Und Sie sind zweimal durchgefallen.

Heidinger So kann man das sagen. Ich habe immer sehr viel Wert darauf gelegt, dass ich eine Reservistenkarriere als Wehrpflichtiger gemacht habe. Die Wehrpflicht war immer ein ganz wichtiges Instrument. Die Bundeswehr war in der Bevölkerung verankert. Jetzt ist die Wehrpflicht leider abgeschafft.

Leider?

Heidinger Ja, leider. Denn jetzt muss auf andere Weise sichergestellt werden, dass es diesen sehr engen Kontakt zwischen Bundeswehr und Bevölkerung gibt. Deshalb wird die Bedeutung der Reservisten in Zukunft weiter zunehmen. Ich hätte mir zum Thema Wehrpflicht eine breitere Debatte gewünscht. Ich könnte mir vorstellen, dass es eine Dienstpflicht gibt mit einer freien Wahl des Pflichtbereichs, also auch in den Bereichen, die damals durch den Zivildienst abgedeckt waren. Ich hätte mich gefreut, wenn wir das als gesellschaftliche Aufgabe begriffen hätten und den Wehrdienst um Angebote des ökologischen, sozialen und Friedensdienstes erweitert hätten. Leider ist diese Diskussion politisch nicht weiter verfolgt worden.

Die Auswirkungen bekommen die Wohlfahrtsverbände bereits zu spüren.

Heidinger Die leiden ganz extrem darunter. Ich glaube, dass wir da noch große Probleme bekommen werden, die sich hätten vermeiden lassen.

RALF SCHREINER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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