Dinslaken Rauschhafte Begegnung jenseits von Babylon

Dinslaken · Jazz Initiative Dinslaken präsentiert mit Arifa Weltmusik der Extraklasse. Publikum im Ledigenheim restlos begeistert.

 Gratwanderung zwischen orientalischer Musik und westeuropäischem Jazz: Arifa beeindruckten das Publikum mit einer musikalischen Reise von Istanbul nach Amsterdam.

Gratwanderung zwischen orientalischer Musik und westeuropäischem Jazz: Arifa beeindruckten das Publikum mit einer musikalischen Reise von Istanbul nach Amsterdam.

Foto: Büttner

Elf Saiten sind nicht genug, Mehmet Polat hat seine Oud mit 13 bespannt. Das verleiht der arabischen Kurzhalslaute mehr Dynamik, macht sie flexibler. Und das muss sie sein, wenn sie mit Arifa auf Reisen geht. Denn der Weg, den das Quartett in zwei Stunden zurücklegen wird, ist weit. Er führt vom Mittleren Osten über den Balkan nach Westeuropa, von Istanbul über Bukarest nach Amsterdam und wieder zurück in die Gegend jenseits von Babylon, wo die Luft nach Feigen duftet und das Mondlicht wie Honig in die Wüste tropft.

So faszinierend wie die geträumten Landschaften, die die aus Rumänien, der Türkei und Deutschland stammenden Musiker durchstreifen, sind auch die Klangbilder, die sie kreieren. Schnelle, asymmetrisch akzentuierte Tonfolgen und komplexe rhythmische Muster, wie sie die arabische Musik bevorzugt, treffen auf scheinbar einfache Themen westlicher zeitgenössischer Musik und werden durch Improvisation und unerwartete Wechsel übersetzt in Jazz, Klassik, Weltmusik.

Arifa begreifen ihre Unabhängigkeit als Chance. Anstatt sich darüber den Kopf zu zermartern, ob das, was sie da machen, in irgendeine Schublade passt, spielen sie sich in einen emotionalen Rausch, der bereits nach wenigen Minuten eine ungeheure Sogwirkung entwickelt. Das hört sich nicht nur in konservierter Form hervorragend an. Sowohl das Debüt-Album "Beyond Babylon" als auch die zweite CD "Anatolian Alchemy" wurden als beste "World-Music-Veröffentlichung" in den Niederlanden ausgezeichnet. Live klingt es noch intensiver. Das Publikum erlebte gleich beim ersten Konzert des Jahres, zu dem die Jazz Initiative Dinslaken ins Ledigenheim eingeladen hatte, einen ganz außergewöhnlichen Abend.

Alex Simu (Klarinette), Sjahin Durin (Percussion), Franz von Chossy (Piano) und Mehmet Polat (Laute) füllten das erste Set mit einer knapp 50-minütigen Komposition, in der sich bereits der gesamte Arifa-Kosmos offenbarte. Gefühlvoll klagend, melancholisch und kraftvoll brachte sich die Klarinette ins Spiel, zunächst zurückhaltend, dann sehr bestimmend die arabische Laute, mal spielerisch, leicht flüsternd und warm, dann druckvoll und entschlossen setzte das Piano Akzente. Unter und über allem tickelte und tackelte es, lag ein rhythmisches Rascheln und Wispern, klopfte es hohl und dumpf und mächtig, wenn flinke Finger über Becken und Felle kreisten und Handballen auf bauchige Tonvasen schlugen. Der Rhythmusteppich aus afro-anatolischen Goldfäden sollte nach der Pause bis hinunter in den Saal gerollt werden.

Von der anfänglichen Zurückhaltung der Musiker war da längst nichts mehr zu spüren. Zwar blieb Alex Simu mit seinen Klarinetten meist dezent einem wehmütigen Erzählen verpflichtet. Zugleich wurde deutlich, dass er die Solostimme immer als eine Leitstimme begreift, die lieber schweigt, als sich unterzuordnen. Das bot Raum für Tempo und Improvisation, für wahnwitzige Motivkombinationen, ausgelassene Soli an Tasten und Saiten und perkussive Gewitterstürme. Das Publikum tobte, wurde mit einer Zugabe belohnt und war hartnäckig genug, sich eine zweite zu erklatschen. Mehmet Polat hatte zwar schon die Jacke an. Aber in Dinslaken zieht man die auch gerne noch mal aus.

(RP)
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