Dinslaken Punk und Politik auf der Schwarzen Heide

Dinslaken · Mehr als Musik und Leute treffen: Drei Tage wird beim Ruhrpott Rodeo gefeiert - aber Punkrock ist auch eine Haltung.

 Beim Auftritt von Suicidal Tendencies kam es zu einem Unglück, als ein Zuschauer von der Bühne sprang und sich dabei am Kopf verletzte.

Beim Auftritt von Suicidal Tendencies kam es zu einem Unglück, als ein Zuschauer von der Bühne sprang und sich dabei am Kopf verletzte.

Foto: Schack

Die beiden haben Stift und Block gesehen und ergreifen die Gelegenheit: "Presse?" - "Ja" - "Dann schreiben Sie das mal: Wir sind seit Jahren dabei und immer wieder begeistert. Von den Bands, die hier spielen, von der Atmosphäre. Was braucht man mehr?" So wie Oliver Grimm und Frank Schmitt zieht es viele auf das Ruhrpott Rodeo. 8500 Besucher sind es in diesem Jahr. Ein Blick auf die Nummernschilder auf den Parkplätzen des Festivalgeländes an der Schwarzen Heide in Hünxe verrät ihre Anreisen von Niedersachsen über Baden-Württemberg bis zur Schweiz. Aber für die beiden Nachbarn ist das Ruhrpott Rodeo ein Heimspiel. Sie sind aus Kirchhellen. Und damit gehören sie zu der nicht kleinen Gruppe derer, die die alljährliche Gelegenheit nutzen, dass Veranstalter Alex Schwers ihnen ihre Lieblingsbands von Kalifornien bis Finnland, nun nicht gerade auf dem Silbertablett, aber auf dem Acker vor der Haustür serviert.

The Descendents, NOFX, Turbonegro, Suicidal Tendencies und weitere 42 Acts sorgen für drei Tage Punkrock non stop. Erstes Highlight am Freitag ist der Auftritt von Michael Monroe. Der Finne verbreitet einen Hauch von Glamrock, turnt dabei auf der Seitentraverse der Bühne hoch, springt ins Publikum, um Hände zu schütteln, und mischt seinen energiegeladenen Rock'n'Roll im Stil der Stooges auch noch mit Harp-Soli auf. "Das ist Blues-Punk", erklärt er dem Publikum und sorgt damit für den ersten stilistischen Ausflug des Tages, dem mit dem swingenden Ska der Slackers auf der kleinen Bühne und dem brettharten und doch funkigen Crossover der vom Ex-Slayer-Drummer Dave Lombardo neu aufgemischten Suicidal Tendencies weitere folgen.

Und doch ist das eigentliche Bühnenprogramm nur ein Teil des großen Festivalerlebnisses. Das Campen gehört für viele dazu, und es soll ja Leute geben, die so mit dem Feiern auf den Zeltplätzen beschäftigt sind, dass sie kaum etwas vom Konzertgeschehen mitbekommen. Einer, der in diesem Jahr nur an einem Tag dabei sein konnte, ist Martin Baumann. Für den Leiter des ND- Jugendzentrums und Gitarristen der Dinslakener Funpunk-Combo Trust God Simon ist das Ruhrpott Rodeo eigentlich eine Pflichtveranstaltung. Und das eben nicht nur wegen der Musik, sondern auch um Freunde zu treffen.

"Ich bin mit Leuten aus dem aktuellen SYLS-Team hier", so Baumann. "Aber ich sehe auch immer wieder alte Freunde aus Kindheitstagen, die ich sonst aus den Augen verloren habe." Das Ruhrpott Rodeo als Klassentreffen.

Musik erleben, Freunde treffen, in Erinnerungen schwelgen. "Hier spielen Bands, mit denen man groß geworden ist." Aber Punkrock ist noch mehr. "Punk ist eine Haltung", so Martin Baumann, "die verlangt, dass man gesellschaftliche Werte und Normen immer wieder neu hinterfragt." Eine Einstellung, die in den Alltag hineinwirkt, wenn auf dem Festivalgelände längst wieder die Kühe grasen.

Wie nahe pogen vor der Bühne und politisches Agieren beieinander stehen, sieht man nicht nur an den vielen Ständen gegen Rechts auf dem Festivalgelände. Jello Biafra, als Sänger der Dead Kennedys Punklegende geworden und als Politiker der Grünen in den USA sogar schon als Präsidentschaftskandidat gehandelt, verknüpft ungehemmten Punk und verantwortungsvolles gesellschaftspolitisches Handeln in einem beeindruckenden Bühnenauftritt. Der Kalifornier lobt - bei allen sonstigen politischen Differenzen, wie er betont - Angela Merkels Flüchtlingspolitik und verdammte die AfD, fordert aber zugleich dazu auf, mit deren Anhängern das Gespräch und die offene Diskussion zu suchen. Er erinnert daran, dass der Terrorismus der letzten Monate nicht nur aus islamistischen, sondern auch rechtsextremen Motiven verübt wurde. "Aller Terror ist faschistisch. Und dagegen soll man mit Faschismus antworten?" Wenn es um Donald Trump geht, holt Jello Biafra die Verbalkeule heraus. Und feuert musikalisch nach: Bei den Klassikern der Dead Kennedys wie "California über alles", "Holiday in Cambodia" und dem umgetexteten "Nazi Trump Fuck off" gibt es für die Menge vor der Bühne kein Halten mehr.

(RP)
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