Pilotprojekt in Dinslaken Süßkartoffeln aus der Kläranlage

Dinslaken · Nahrungsmittelherstellung in einer Kläranlage? Klingt im ersten Moment etwas eklig. Ist allerdings offenbar nur sinnvoll. In Dinslaken wird nun ein Pilotprojekt umgesetzt. Was es damit auf sich hat.

 Mit der Demonstrationsanlage in Dinslaken betritt der Suskult-Verbund Neuland. Der Dünger, der hier hergestellt wird, eignet sich zur Kultivierung von Gemüse und Salat.

Mit der Demonstrationsanlage in Dinslaken betritt der Suskult-Verbund Neuland. Der Dünger, der hier hergestellt wird, eignet sich zur Kultivierung von Gemüse und Salat.

Foto: EGLV/Rupert Oberhäuser

Endliche Phosphatressourcen, hoher Energieaufwand bei der Düngemittelproduktion, Verschmutzung von Gewässern und Böden durch Phosphor und Stickstoff – hinzu kommen Probleme in den Lieferketten durch Ereignisse wie Corona sowie Kostenpflichtiger Inhalt massive Preissteigerungen aufgrund globaler Krisen: Das sind sicher keine guten Voraussetzungen, um die Erträge frischer und hochwertiger Agrarprodukte nachhaltig zu steigern. Expertinnen und Experten sind sich jedoch einig: Genau das muss geschehen, um eine größere Unabhängigkeit der deutschen Agrarwirtschaft sicherzustellen, zukünftigen Krisen gestärkt begegnen zu können und gleichzeitig besser auf Folgen des Klimawandels vorbereitet zu sein. Für den erforderlichen Transformationsprozess war bis dato der Zeitraum von 2040 bis 2050 vorgesehen – aktuelle Entwicklungen erfordern eine frühere Umsetzung.

Zu den zentralen Lösungsansätzen zählen mehr Regionalität und eine Kreislaufführung der eingesetzten Ressourcen. „Damit beschäftigen wir uns bei Suskult, indem wir ein Agrarsystem an Kläranlagen integrieren. Hier finden wir zum einen die für einen gartenbaulichen Anbau von Produkten notwendigen Ressourcen – Nährstoffe, CO2, Wasser und Wärme. Zum anderen sind Kläranlagen häufig zentrumsnah verortet, was die Transportwege zu den Konsumentinnen und Konsumenten minimiert“, erklärt Volkmar Keuter vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik Umsicht, der das Verbundprojekt koordiniert. „Mit der Einweihung der Demonstrationsanlage auf der Kläranlage Emscher-Mündung der Emschergenossenschaft (EG) beschreiten wir nun konsequent den nächsten Schritt auf dem Weg hin zu einem zukunftsfähigen Agrarsystem.“

In den vergangenen drei Jahren seit Projektstart haben die insgesamt 15 Partner – darunter Universitäten, Forschungseinrichtungen sowie Institutionen aus Industrie und Wirtschaft – die wissenschaftliche Grundlage für das Vorhaben gelegt und die einzelnen Bausteine entwickelt. Diese werden jetzt erstmals auf einer der größten Kläranlagen Europas zu einer Prozesskette zusammengeführt und in der Praxis getestet. „Die Modernisierung der Wasserwirtschaft ist seit Jahren getrieben durch Themen wie Energie- und Ressourceneffizienz. Phosphorrecycling aus Klärschlamm haben wir zum Beispiel auf der Kläranlage Emscher-Mündung bereits erfolgreich halbtechnisch pilotiert. Die Suskult-Vision, dass Kläranlagen künftig sämtliche Nährstoffe liefern, die für die Agrarproduktion eingesetzt werden, stellt daher einen logischen nächsten Schritt dar“, sagte Emanuel Grün, Technischer Vorstand der Emschergenossenschaft.

Von außen betrachtet wirkt die Demonstrationsanlage, untergebracht in zwei Seecontainern und in einem Teil des sogenannten Technikums der Emschergenossenschaft, relativ unscheinbar. Anders sieht es im Inneren aus: Hier befinden sich die insgesamt fünf Suskult-Bausteine. Drei von ihnen wandeln die Ressource Abwasser in NPK-haltigen Flüssigdünger (NPK: Stickstoff, Phosphor und Kalium) um, in den anderen beiden wird dieser Dünger zur Kultivierung von zum Beispiel Gemüse und Salat sowie gesundheitsfördernden Lebensmittel wie Süßkartoffeln verwendet. Der Anbau erfolgt vertikal, das ist platzsparend und saisonunabhängig. Des Weiteren werden Wasserlinsen produziert, die über einen hohen Vitaminanteil verfügen und als regionaler Sojaersatz dienen können.

Mit der Demonstrationsanlage betritt der Suskult-Verbund Neuland. Entsprechend wichtig ist die technische und wissenschaftliche Begleitung: Während einzelne Bausteine wie etwa das Vertical Farming fernüberwacht werden, bedarf der gesamte Versuchsbetrieb einer intensiven Betreuung. Hier arbeitet ein Team aus Studierenden, Forschenden und Technik Hand in Hand.

 suskult

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Foto: EGLV/Rupert Oberhäuser

Aber nicht nur die technischen Ziele stehen im Fokus. Bereits jetzt müssen die normativen Grundlagen erarbeitet und möglichst viele Teilhabende in den Entwicklungsprozess eingebunden werden. Eine wichtige Aufgabe kommt daher den zahlreichen Interessensvertretungen im Projektbeirat zu, und weite Teile der Zivilgesellschaft sind im Rahmen von Dialogprozessen involviert. Gemeinsam betrachten sie auch den zukünftigen Weg der Produkte zu den Kundinnen und Kunden. Volkmar Keuter kann sich sogar vorstellen, dass „es künftig ganz neue Standorte von Wochenmärkten geben wird.“

(ras)
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