Neu in der Stadtbibliothek Dinslaken Ein Friedhof als Jungbrunnen

Die 1961 in Chemnitz geborene Schriftstellerin Kerstin Hensel ist in ihren Erzählungen eine Spezialistin für die Psychopathologie des Alltags, für tragikomische Situationen und schwarzen Humor – zuletzt in den drei Novellen des Bandes „Federspiel“ von 2012. Jetzt liegt von ihr eine umfangreiche Erzählung von über 250 Seiten vor, „Regenbeins Farben“, in der sie erneut ihre subtile Erzählkunst unter Beweis stellt.

 Ronald Schneider empfiehlt eine amüsant zu lesende Erzählung über drei Witwen.

Ronald Schneider empfiehlt eine amüsant zu lesende Erzählung über drei Witwen.

Foto: Ronald Schneider/ronald schneider

Die „Novelle“ erzählt auf kauzig-versponnene Weise von drei Witwen fortgeschrittenen Alters, die sich regelmäßig auf dem Friedhof treffen, wo sie die Gräber ihrer verstorbenen Ehemänner besuchen und sich miteinander freundschaftlich austauschen. Dort treffen sie aber auch auf einen gutaussehenden Mann Mitte 50, der mehr und mehr das erotisches Interesse der drei auf sich zieht: den ebenfalls verwitweten Kunstsammler und Galeristen Eduard.

Um seine Gunst konkurrieren die drei späten Grazien immer heftiger, während Eduard alle drei geschickt auf halber Distanz hält. Für die drei Witwen wird der Friedhof so unversehens zu einer Art Jungbrunnen –  dummerweise allerdings ist das „ein Brunnen, in dem kein Wasser ist“.

Eingeblendet in die Tragikomödie des Begehrens im Alter sind die Lebensgeschichten der vier Protagonisten der Novelle, die miteinander verflochten sind und die alle auf ihre Weise geprägt sind von der jüngeren deutschen Geschichte: von der Judenverfolgung, dem Leben in der Deutschen Demokratischen Republik beziehungsweise vom Alltag in der Bundesrepublik und von den Wendejahren im Osten.

Die amüsant zu lesende Erzählung voller subtilem Witz, Sarkasmus und schwarzem Humor wendet sich mit ihren skurrilen Figuren und ihren traurig-komischen menschlichen Verstrickungen vorrangig an Leser, die scheinbar Verschrobenes und Verspielt-Schräges zu schätzen wissen und die einen Sinn haben für die heillosen Widersprüche menschlicher Existenz.

Kerstin Hensel: Regenbeins Farben. Novelle, Luchterhand Verlag, München 2020

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