Voerde Mit dem Flügel durch unruhige Gewässer

Voerde · Böse, bissig und gekonnt: Kabarettist Martin Zingsheim präsentierte im Voerder Rathaus sein "Opus meins".

September-Zeit, Weihnachtszeit. Die Lebkuchen liegen im Supermarkt und im Rathaussaal Voerde wird die Weihnachtsgeschichte erzählt. Mit irrem Blick und gefährlich überdeutlicher Stimme verbreitet Klaus Kinski Unheil im Heilsgeschehen, Dylan und Grönemeyer nuscheln um die Wette, und Herman van Veen gibt sein todlustiges "Plitsch-Platsch" dazu. Die Stimmparodie nach Lukas war die Zugabe im Kabarettabend von Martin Zingsheim am Donnerstag und ein Höhepunkt im Programm des Kölners am Klavier.

Zingsheim ist Musikwissenschaftler, wie sein Kollege Götz Alsmann bewegt er sich bevorzugt in Griffweite zum Flügel. Fürs Kabarett bedeutet dies vertonte Zweizeiler, deren Kürze manchmal nur vom Grad ihrer Boshaftigkeit übertroffen werden, oder gleich eine ganze Kant-Vertonung. Wem das zu hoch ist, darf über Texte von Modern Talking nachdenken. Oder wie "Ich hab mein Herz an dich verliert, ich wusste nicht, wie's mir geschahte", grammatikalisch korrekt lauten müsste.

Martin Zingsheim schippert mit seinem Flügel durch unruhige Gewässer. Manchmal, wie in seinen Parodien oder parteipolitischen Witzen, bewegt er sich in bekannten Bahnen ( "Was für Politiker die Lüge ist, ist für den Kabarettisten der FDP-Witz: nicht schön, aber es bringt einen beruflich weiter"). Gerne aber zeigt er dem Publikum auch die schönsten sprachlichen Klippen, drechselt Phrasen, raspelt Wirtschaftsjargon oder blufft mit pseudowissenschaftlichen Sprachhülsen. Für die Begründung der Notwendigkeit von Bibelkenntnissen nur aus Zitaten eben jener Schrift gibt es Szenenapplaus. Still wird es, wenn es um die Not der Flüchtlinge geht. In seine "neue Nationalhymne" gleichgültiger Deutscher schiebt er "Deine Heimat ist das Meer" über "Freude schöner Götterfunken": Dann schaut er in die Mienen seines Publikums und stellt fest: "Emotionale Betroffenheit im Kabarett ist schlecht. Bei Herman van Veen wäre das lustig geworden".

Denn dieses Prinzip ist eigentlich der Kern des ganzen "Opus meins": Zingsheim spielt mit den Mustern des Kabaretts, entlarvt sie, nimmt das Genre selbst auf die Schüppe. Gekonnt gibt er den Unsicheren aus Kalkül, verrenkt sich den Hals beim effektiven Zurückwerfen des Kopfes beim Klavierspielen und lamentiert, dass Kirchenasyl ihm als Kabarettisten Steine in den Weg lege, da ihm doch das gängige Feindbild wegbräche.

CDs verkauft er trotzdem noch. Dafür verteilt er sogar Bargeld im Publikum.

(RP)
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