Dinslaken Literatur im Zelt

Dinslaken · Kindheitserinnerungen ans Ruhrgebiet, der nicht immer romantische Lebenslauf Astrid Lindgrens, dazu Streuselkuchen, Jazz und Schokolade – die Buchhandlung Korn bot einen genüsslichen Literaturnachmittag.

Oer-Erkenschwick ist der mit Abstand schönste Ort des Ruhrgebiets. Sagt Hans Dieter Baroth. Hans Dieter Baroth ist Autor und gebürtiger Oer-Erkenschwicker. Er sitzt auf der Bühne des von der Buchhandlung „Korn“ so getauften Literaturzelts, spricht diese Liebeserklärung an seine Heimat mit keckem Unterton ins Mikrofon und sieht das Publikum dabei auffordernd an. Die Dinslakener jedoch sind ein höfliches Völkchen. Der ein oder andere hüstelt zwar amüsiert, Partei für die eigene Heimatstadt ergreift aber niemand. Womit Hans Dieter Baroth nun nicht gerechnet hat. „Normalerweise sagen die Leute an dieser Stelle immer: na wenn ’se meinen.“

„Vonne Rheinische Post“

Ohnehin sei es nirgendwo so einfach zu recherchieren, wie im Ruhrgebiet, erklärt der mittlerweile in Berlin lebende Autor. Egal ob die genervte Grobheit einer pampigen Bedienung, die ihm am Nachmittag den Espresso auf den Tisch knallte, oder der mit allerhand Klatsch und Tratsch gespickte Plausch an der Wursttheke im Supermarkt – Baroth notiert sich alles, jede gebietsspezifische Vokabel, jede Redensart. So schalt er auch die ihm Fragen stellenden Vertreter der Presse vor Lesungsbeginn: „Eigentlich müsste sie sich mit ’Ich bin vonne Rheinische Post‘ vorstellen; so kenn ich das.“ Mit Hörproben aus seinem Buch „Streuselkuchen und Muckefuck: Unsere Kindheit im Ruhrgebiet“, Auszügen aus dem Hörbuch „Als wir Blagen waren“ und der Erkenntnis „Das wahre Leben spielt im Stadion“ liest sich der Autor im Laufe der Lesung dann aber doch noch in das Ruhrpott’sche Stück Herz der Dinslakener. Die ordern im Anschluss den Streuselkuchen von „Lueg“ brav im angemessenen Dialekt an die Bierbänke.

Ein wenig desillusionierter geht es am Nachmittag bei Maren Gottschalk zu. Die Autorin und Journalistin liest anlässlich des 100. Geburtstages der schwedischen Kinderbuchautorin Astrid Lindgren aus deren Biographie „Jenseits von Bullerbü“. Angefangen mit dem recht unterkühlten Verhältnis zwischen dem „Backfisch“ Astrid und seiner Mutter Hanna beschreibt die literarische Reise die schwierigsten Stationen Lindgrens Lebens.

Die Geburt des unehelichen Sohnes (entstanden aus einer Affäre mit dem verheirateten Dorfredakteur) und die dann folgende Zeit als unterbezahlte Sekretärin in Stockholm– so romantisch, wie ihre Geschichten später klingen werden, ist Astrid Lindgrens Jugend lange nicht.

Lesen gegen Schmerzen

Umso einleuchtender das Geheimrezept der Rebellin gegen die vielen Erschütterungen ihres Lebens: „Lesen als Schmerzmittel“. Später dann: Schreiben. „Als Rache für die Spießigkeit ihrer Heimat Vimmerby hat Astrid Lindgren einem auffallend ähnlichen Dorf später Pippi Langstrumpf auf den Hals gehetzt.“

(RP)
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