Thorsten Weckherlin "Kunst machen zu können, ist großartig"

Dinslaken · Der Intendant der Burghofbühne packt nach zehn Jahren die Koffer. Im August übernimmt er die Leitung des Landestheaters Tübingen. Zurück bleibt ein gut bestelltes Haus: Nie war das Theater in Dinslaken offener und näher am Zuschauer als heute.

Sie sind vor zehn Jahren mit dem Ziel angetreten, gute Unterhaltung zu bieten, das Publikum zu fordern, das Theater mitten in der Stadt zu verankern und die Zahl der Vorstellungen zu steigern. Hat's geklappt?

WEckherlin Wäre ich eitel, würde ich sagen: ja klar! Aber im Ernst: Es war immer mein Wunsch, für die Dinslakener relevant zu bleiben, bürgernah und transparent. Und das Publikum in der Fläche zu bedienen. In Itzehoe wie in Solingen oder gar in der Schweiz. Wir sind ja auch ein reisendes Theater. Für mich war immer die große Frage: Welche Stücke kann ich außerhalb Dinslakens zeigen? Wie schaffe ich den Spagat, das Publikum vor Ort zu halten und neue Zuschauer hinzuzugewinnen? Wie schaffe ich Vertrauen in den Abnehmerorten, damit sie uns wieder buchen? Ich glaube, das ist uns gut gelungen. Uns allen hier, allen 27 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Gab es etwas, das Sie richtig genervt hat?

Weckherlin Ja, das gab's, das ist aber kein Dinslaken spezifisches Problem, sondern ein bundesweites. Wenn wir heute über Theater reden, dann reden wir nur noch über die Finanzierbarkeit von Theater. Es geht nicht mehr darum, was wir auf die Bühne bringen und was auf der Bühne stattfindet. Die Durchökonomisierung der Kultur hat zur Folge, dass auch die Burghofbühne immer härter kämpfen muss, um sich zu behaupten. In der Stadt und wenn sie über Land fährt. Kultur und Bildung verlieren an Stellenwert. Das macht mich bisweilen meschugge.

Es sieht nicht so aus, als würde sich dies in Kürze ändern.

Weckherlin Leider. Und viele Theater werden allmählich den Bach runtergehen. In Ostdeutschland ist das schon der Fall. Krisen hat's immer gegeben. Und darüber zu sprechen, ist der beste Beweis, dass es uns ja noch gibt. Aber es verändert sich viel, und zwar in eine Richtung, die ich nicht gut finde. Das Gleiche gilt für die Kunst, auch für die Zeitungen. Wir kriegen eine dramatische Krise der Printmedien mit. Wir drei - Theater, Kunst und Zeitung - sind es doch, die eine Möglichkeit gefunden haben, unsere Meinung zu sagen. Und wenn wir das bald nicht mehr können, finde ich das schlecht. Das ist auch nicht gut für eine Demokratie.

Das klingt schwer pessimistisch.

Weckherlin Wir leben in schwierigen Zeiten. Jeder Zehnte geht nur noch regelmäßig ins Theater, die Hälfte der Bevölkerung überhaupt nicht mehr.

Woran liegt das? Spielt das Theater am Publikum vorbei? Tut es zu wenig dafür, in einer von elektronischen Medien bestimmten Welt überhaupt noch wahrgenommen zu werden?

Weckherlin Ich glaube, dass die Welt extrem heterogen geworden ist. Es gibt ganz viele Mikrokosmen. Es ist nicht nur das Internet, das Virtuelle an sich, die Möglichkeit, zu Hause am Monitor alles regeln zu können. Darauf müssen wir reagieren. Auch die Bedürfnisse und Lebensumstände der einzelnen Bürger haben sich verändert. Wir müssen die Leute da abholen, wo sie sind. Und wir sollten die wirklich wichtigen Themen auf der Bühne verhandeln. Mit viel Spaß und Ausdauer. Kürzlich hat mich eine Abiturientin gefragt, was denn eigentlich ein Intendant ist? Oder auf einer privaten Feier stellt jemand fest, dass ich ein ganz normaler Mensch bin. Wenn ich so etwas erlebe, zeigt mir das: Das Theater hat Defizite, das ist bundesweit so. Manchmal haben die Leute auch Angst vor uns. Wenn Klein-Peter an dem riesigen Portal des Duisburger Theaters vorbeigeht, hat er möglicherweise das Gefühl, das Stück, das dort gezeigt wird, nicht verstehen zu können. Oder er hat das Gefühl, das ist nicht das, was ich sehen möchte. Da werden nicht meine Probleme behandelt.

Aber gerade in Dinslaken ist es doch ganz anders. Die Burghofbühne ist doch sehr bürgernah und so offen, wie Theater sein sollte.

Weckherlin Das stimmt. Wir dürfen da auch nicht locker lassen. Was wir in den vergangenen zehn Jahren aufgebaut haben, ist wichtig. Auch mit Blick auf unsere Spielstätte, diese kaputte, heruntergekommene Kathrin-Türks-Halle, die nicht renoviert wurde in dieser Zeit. Dadurch haben wir auch andere Räume gesucht, haben etwa in einem leerstehenden Ladenlokal gespielt. Wir haben das Publikum immer mitgenommen. Das war auch immer mein Ziel. Mich persönlich würde es freuen, wenn mal in 30 Jahren gesagt wird: Dann kam da dieser Weckherlin nach Dinslaken, das war der, der immer auf die Bühne gehüpft ist. Die Rampe der Kathrin Türks-Halle hat immerhin eine Höhe von 1,10 Meter.

Wie kann ein so kleines Landestheater wie die Burghofbühne trotz beschränkter Mittel in Zukunft Akzente setzen?

Weckherlin Ich glaube die Idee von der Bürgernähe, von dieser auch sehr fröhlichen, lustigen Bühne, die offene Bude - das sollte fortgesetzt werden. Dann kann eigentlich nichts passieren. Wir haben zwar wenig Geld, aber ich glaube, manchmal funktioniert Theater erst recht, oft sogar charmanter, wenn man kein Geld hat. Dann reichen manchmal 'ne Apfelsinenkiste und ne Pappkrone, und dann ist man plötzlich der König. Im Kinder- und Jugendtheater ist uns das ganz hervorragend geglückt. Stefan Ey hat das junge Publikum begeistert.

Nicht nur das Junge. Das Dinslakener Publikum war insgesamt mit der Leistung der Burghofbühne sehr zufrieden, mitunter auch begeistert.

Weckherlin Es ist toll, hier eine kleine Fangemeinde zu haben. Und es gab gute Inszenierungen. Aber die haben nicht allein dafür gesorgt, dass das Publikum sich bei uns wohlgefühlt hat. Das lag auch an den lockeren Premierenfeiern, wo die Zuschauer mit uns bei einem Bier über das Stück oder Gott und die Welt sprechen konnten. Damit haben wir Vertrauen schaffen können. Es ist wichtig, dass die Burghofbühne weiter offenbleibt. Die neue Mannschaft muss schauen, welche Möglichkeiten es hier in Dinslaken noch gibt und muss sie dann nutzen.

Welche Rolle spielt die Konkurrenz?

Weckherlin Der Kampf wird in der Fläche ausgefochten. Wir konkurrieren mit vielen privaten Tournee- und 23 Landestheatern. Warum soll man die Burghofbühne buchen und nicht lieber das Landestheater aus Stendal oder aus Neuss? Das werden Fragen sein, die muss sich auch mein Nachfolger stellen. Es ist immer auch eine Frage, was man auf die Bühne bringt. Ich habe für die kommende Spielzeit in Dinslaken noch den Faust angesetzt, das hat sich gut verkauft. Auch Orwells "1984" funktioniert hervorragend. Hier in Dinslaken ist der einzelne Zuschauer mein Ansprechpartner, in der Fläche ist es aber der Kulturamtsleiter. Das ist ein großer Unterschied. Da muss man die Schere im Kopf haben.

Was waren für Sie die größten Momente, die wichtigsten Inszenierungen?

Weckherlin Der größte Moment war die Geburt unserer Tochter Henriette. Das interessanteste Stück ist für mich eines, das gar nicht so oft verkauft wurde, überregional aber sehr wichtig war: "40 Jahre - leicht gesagt" (40 Yil - Dile Kolay). Wir waren die erste deutsche Bühne, die ein Stück auf Türkisch herausgebracht hat. Das hat uns nicht nur Freunde gebracht. Was die Inszenierungen angeht, ist immer noch "Die Feuerzangenbowle" der Hit. Mein Herz hing extrem am "Kaukasischen Kreidekreis" von Brecht. Ein wunderbares Märchen in sehr schöner Sprache. Das hat mir viel Spaß gemacht, und wir hatten auch Erfolg damit.

Was nehmen Sie aus Dinslaken mit?

Weckherlin Viele gute Freunde, das Prinzip Ruhrgebiet/NRW, das Direkte, das ist sehr wichtig für mich. Hier spricht man nicht in Subtexten. Hier spricht man frei Schnauze. Ich war vor Dinslaken zwei Jahre in Freiburg engagiert. Dort sprechen die Menschen viel in Subtexten. Ich musste die immer dechiffrieren und wusste nie so recht: Wollen die mir sagen, dass ich ein Blödmann bin oder nicht?

Worauf freuen Sie sich in Tübingen?

Weckherlin Auf das sehr große Ensemble. Ich habe 24 fest angestellte Schauspielerinnen und Schauspieler. Und diesen wilden Hummelhaufen zu bändigen und zusammenzubringen und gemeinsam für diese schöne Idee Theater zu arbeiten, darauf freue ich mich sehr. Auf ein Finanzdesaster, was sich gerade deutlich macht in der Neckarstadt, freue ich mich allerdings weniger. Das Team, das wir dort vor Ort zusammengestellt haben, ist ganz wunderbar. Die 135 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen mich natürlich erst mal kennen lernen. Ich glaube, die haben große Lust, mit mir Theater zu machen.

Die Reutlinger Nachrichten haben Sie kürzlich zitiert mit "Theater ist sauschön?" Was meinen Sie damit?

Weckherlin Theater lebt durch Überraschung. Das gilt auch für den Apparat. Wenn ich morgens ins Büro komme, weiß ich nicht, was passieren wird an diesem Tag. Das regelfreie Verhalten, die Probenarbeit mit den Schauspielern, das ist oft so frech unberechnend, manchmal auch verletzend, aber auch wunderbar. Kunst machen zu können, ist großartig. Das kann und darf ja nicht jeder. Ich habe die Möglichkeit, das zu dürfen, und das wird auch noch finanziert. Das ist eine wahnsinnig schöne Sache.

Was wünschen Sie dem neuen Intendanten Mirko Schombert?

Weckherlin Jedem Theatermenschen, ob Schauspieler, Dramaturg, Techniker oder Intendant muss man heutzutage immer viel Glück wünschen. Er soll so bleiben, wie er ist, er ist so angenehm authentisch. Ich glaube, das wird auch auf der Bühne rüberkommen. Ich wünsche ihm viele Zuschauer und viel Erfolg.

Wann genau ist der Wachwechsel?

Weckherlin Am 15. August. Ich gehe aber schon vorher. Am 25. Juli sind wir Schwaben.

RALF SCHREINER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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