Dinslaken Krieg überlebt im französischen Lazarett

Dinslaken · Als der Erste Weltkrieg ausbricht, ist Bernhard Dümpelmann 18 Jahre alt. Der Soldat aus Walsum wird verwundet. Fotos und der Brief eines Kameraden erinnern an seine Zeit in französischer Gefangenschaft.

Dinslaken: Krieg überlebt im französischen Lazarett
Foto: privat

Bernhard Dümpelmann kämpfte in Frankreich, wurde verwundet, kam als Kriegsgefangener ins "Hospital 26", ein zum Lazarett umgewandeltes ehemaliges Kloster der Barmherzigen Schwestern von Nevers. Der Ort liegt 216 Kilometer südlich von Paris am Ufer der Loire. Auf einer alten Schwarz-Weiß-Postkarte ist das Krankenhaus als schmuckloser Gebäudekomplex dargestellt, eingebettet in eine großzügige Parklandschaft. Gertrud Boscheinen hat die Karte aufbewahrt.

 Links: Bernhard Dümpelmann (links) mit einem Pferdefuhrwerk des Roten Kreuzes in Frankreich.

Links: Bernhard Dümpelmann (links) mit einem Pferdefuhrwerk des Roten Kreuzes in Frankreich.

Foto: privat

Ebenso wie die alten Fotos ihres Vaters. Eins zeigt einen jungen Soldaten vor einer Fototapete, der teilnahmslos an der Kamera vorbei schaut. Auf einem anderen hält derselbe junge Mann die Zügel eines Pferdes, das vor einen Rot-Kreuz-Wagen gespannt ist. Auf dem Wagen sitzen vier seiner Kameraden, ein fünfter steht daneben.

Was auffällt: Bernhard Dümpelmann trägt kniehohe Schaftstiefel. Seine Füße stecken in Holzklompen. Es ist matschig im Lager. Auf einem anderen Gruppenfoto muss Gertrud Boscheinen suchen, bevor sie ihren Vater entdeckt. "Da, er steht rechts neben dem Pferd", sagt die 79-Jährige. "Mein Vater konnte immer gut mit Pferden umgehen. Er war Landwirt."

Bernhard Dümpelmann wurde am 2. November 1895 in Walsum geboren. Aufgewachsen ist er in Budberg. Von dort zog er nach Wetten bei Kevelaer, wo er mit seiner Ehefrau einen großen Hof bewirtschaftete. Die Familie hielt Kühe, Schweine, Hühner und hatte viele Morgen Ackerland.

Gertrud Boscheinen musste schon als kleines Mädchen mit anpacken. Sie erinnert sich, dass sie gern Trecker gefahren ist, die Kühe gemolken hat. Im Grunde war die Landwirtschaft aber nichts für sie. "Wenn eine Kuh kalbte oder krank war, war ich schnell weg", sagt sie, während sie die Seiten des Albums umblättert und die ausgeblichenen Fotos betrachtet.

Ihr Vater hat wenig vom Krieg erzählt. Nichts von der Front. Keine Erlebnisse aus der Gefangenschaft. "Er durfte den Brotwagen fahren", sagt Gertrud Boscheinen. "Er hat keinen Hunger gelitten." Dann fällt ihr ein, dass er eine Verletzung hatte, ein Stück über dem linken Knöchel hatte es ihn erwischt. Die Tochter ist 1934 geboren. Da war der Erste Weltkrieg lange vorbei, und der Zweite stand bevor. Auch den hat ihr Vater überlebt. Als Zivilist. Wegen seiner Verletzung wurde er ausgemustert.

Zwischen den Fotos, die Gertrud Boscheinen in einem schlichten Album aufbewahrt, findet sich ein achtseitiger Brief, datiert vom 14. November 1918. Geschrieben hat ihn ein Kamerad von Bernhard, nachdem er aus Frankreich in seine Heimatstadt Offenbach zurückgekehrt war. Die in blauschwarzer Tinte verfassten Zeilen sind an die "Werte Familie Dümpelmann" gerichtet.

Der Schreiber berichtet, wie er "den lieben Bernhard" kennen und als Freund schätzen gelernt hat. Vom "Hospital 26" schwärmt er als der besten Unterkunft, die er sich denken kann. Kranke und Verwundete sind dort untergebracht, ausschließlich Deutsche, auch Soldaten, die vollkommen genesen sind und zur Pflege und Versorgung der Kameraden herangezogen werden. "Die Unterbringung und Verpflegung dort ist leidlich. Morgens empfangen wir um halb sieben jeder Mann einen Becher Kaffee. Um 10 Uhr ist Mittagstisch. Das Essen wird im Speisesaal eingenommen. Erst gibt es die bekannte National-Suppe. Eine ganz nette Brotsuppe. Dann Fleisch, gebraten oder gekocht und dazu Kartoffeln. Abendbrot wird um 5 Uhr eingenommen. Dies besteht aus Fleisch mit Tunke und Bohnen, Erbsen, Reis, Nudeln, Kartoffeln oder sonstiges. Brot gibt es wieder dasselbe Quantum wie beim Mittagstisch (300 Gramm)." Der Brief erzählt auch von den schrecklichen Verhältnissen im Lager von Nevers — "schlechte Ernährung und schmutzige Lagerstätten". Vier Monate hatte der Freund dort zugebracht, bevor er ins Lazarett wechseln durfte. Gottfried beruhigt die Familie: "Nachdem B. hergestellt war, seine Verwundung vollkommen ausgeheilt, verwandte sich die Verbandsschwester für ihn, damit er im Operationssaal als Sanitäter verbleiben konnte. Die Arbeit ist nicht schlimm. Die Schwestern sind zu Bernhard nett und liebenswürdig und behandeln ihn sehr gut. Haben Sie keine Sorge um Ihres Sohnes Wohlergehen. Die Verkürzung seines Beines trat durch die Verwundung ein. Jedoch bemerkt ein Laie das überhaupt nicht. Beschwerden hat B. auch keine. Laut Internierungs-Verfügungen gehört er zur Kategorie der Austauschfähigen, er kann in der Schweiz untersucht werden."

Dann rät der Verfasser, die Familie möge sich an das Rote Kreuz oder die deutsche Regierung wenden, um Bernhard aus Frankreich herauszubekommen. Denn in der Schweiz könne sich ihr Sohn frei bewegen. "Und das ist es gerade, wonach sich doch jeder Kriegsgefangene sehnt: frei zu sein und ein Wiedersehen mit den Angehörigen haben zu können." Der Brief schließt mit einer Bitte um Lebensmittel. "Ich fühle mich ganz wohl, nur die Ernährungsfrage macht einem jetzt Sorgen. Dürfte ich in diesem Falle bei Gelegenheit Ihre Liebenswürdigkeit in Anspruch nehmen. Dies wäre von Ihnen äußerst nett." Wann genau ihr Vater aus französischer Gefangenschaft zurückgekehrt ist, weiß Gertrud Boscheinen nicht. Dass die Eltern den Bauernhof in Kevelaer Anfang der 1960er Jahre aufgegeben haben und zu ihr nach Dinslaken zogen, daran erinnert sie sich genau. Sie war damals frisch verheiratet, hatte mit ihrem Ehemann Bernhard Boscheinen in Bruch ein Häuschen gebaut. Dort wohnt das Ehepaar noch heute.

Bernhard Dümpelmann ist am 31. Juli 1976 im Alter von 80 Jahren gestorben. "Er war ein fröhlicher Mensch", sagt seine Tochter, "nicht streng. Er wusste, was er wollte."

2014 jährt sich der Ausbruch des 1. Weltkriegs zum 100. Mal. RP und Stadtarchiv Dinslaken suchen Kriegstagebücher, Dokumente, Fotos und andere Erinnerungsstücke. Gertrud Boscheinen aus Dinslaken hat ein Fotoalbum zur Verfügung gestellt.

(RP)
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