Kommentar „Unsere Woche“ Ärger mit dem Fahrradfahren – die guten Seiten an den schlechten Noten

Die schlechten Noten für Dinslaken und Voerde beim Fahrradklima-Test des Fahrradclubs ADFC sind ein gutes Zeichen. Denn sie belegen: Die Menschen erwarten jetzt mehr als früher.

 Ein Radfahrer (Symbolbild). Die Lage in Dinslaken und Hünxe sieht mancher Radler kritisch.

Ein Radfahrer (Symbolbild). Die Lage in Dinslaken und Hünxe sieht mancher Radler kritisch.

Foto: dpa/Paul Zinken

Am Niederrhein wird ja allgemein geradelt wie verrückt. Da ist es doch bezeichnend, dass ausgerechnet Städte wie Dinslaken und Voerde so schlecht wegkommen, wenn man die Menschen mal fragt, wie sie sie aus Radler-Sicht finden. Voerde kam beim Fahrradklima-Test auf die Note 4,1, Dinslaken knapp darüber auf 3,9. Damit kann man nicht angeben.

Allerdings muss man diese Zahlen richtig einzuordnen wissen. Sie sind kein objektives Test-Urteil darüber, wie fahrradfreundlich eine Stadt wirklich ist. Sie geben ein Meinungsbild wieder. Sie beleuchten, wie Radler die Sache gerade sehen. Und zwar diejenigen Radler, die im Herbst aus eigener Motivation und eigenem Interesse bei einer Befragung mitgemacht haben. Das waren in Dinslaken 305 Menschen, in Voerde 114. Leute, die vielleicht auch gerade einmal etwas ganz besonders nervt oder die auf Missstände hinweisen wollen.

Und das ist das Gute an den schlechten Noten: Sie beweisen, dass jetzt nicht mehr einfach hingenommen wird, was schlecht läuft. Hätte man die Befragung vor ein paar Jahrzehnten durchgeführt, hätte man sicher ebenfalls Kritik an Gefahrenstellen gehört, wie sie der ADFC zum Beispiel in Voerde beklagt. Aber eine Reihe anderer Beschwerden wären eher nicht geäußert worden, obwohl sie damals mindestens genau so berechtigt gewesen wären wie heute.

Ungünstige Ampelschaltungen? Früher hat doch niemand ernsthaft infrage gestellt, dass der Autoverkehr immer Vorrang hat. Wer fuhr schon mit dem Rad durch den Berufsverkehr zur Arbeit? Es galt vielmehr als Freizeitvergnügen, für das man eben Zeit mitzubringen hat. Keine Fahrrad-Abstellplätze? So einen Drahtesel kann man ja wohl irgendwo anketten, hätte man gesagt; gelegentliches Umkippen wäre zu tolerieren. Häufige Fahrraddiebstähle? Inwiefern sollte das eine Angelegenheit der Stadt sein, hätte man gefragt.

Das Bewusstsein hat sich geändert. Jetzt wird Infrastruktur eingefordert. Und das wiederum ist die Grundlage dafür, dass andere innovative Konzepte überhaupt ernsthaft diskutiert werden.

Die Idee von autofreien Innenstädten oder Wohnvierteln beispielsweise findet inzwischen mancher reizvoll. Mit so etwas lässt sich aber nur sinnvoll liebäugeln, wenn man dafür flächendeckend sehr hohe Ansprüche stellt für Fußgänger-, Rad- und öffentlichen Nahverkehr.

Wenn die Menschen das Auto öfter stehen lassen, unterstützt das nebenbei Klimaschutzziele. Damit die Leute mitziehen, müssen sie im Zweifel nicht einmal von der guten Sache überzeugt sein – es muss für sei einfach nur praktisch sein. Mit dem Rad bequem zur Arbeit oder zum Bahnhof kommen, es geschützt abstellen können: solche Dinge tragen dazu bei.

Welche Investitionen dafür angemessen sind, bietet derzeit Stoff für Diskussionen. Das Fahrradparkhaus am Bahnhof in Dinslaken soll zum Beispiel 850.000 Euro kosten. Es ist die Frage, ob sich eine sichere Anlage nicht auch günstiger realisieren ließe. Der Grundgedanke aber ist richtig: Wer sich für die Zukunft neu ausrichten will, der muss mit einer gewissen Anspruchshaltung an die Sache herangehen. Oder auch: heranradeln.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.

Ihre Meinung? Schreiben Sie an
sina.zehrfeld@rheinische-post.de

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