Krippenerfahrung 2019 In Walsum liegt Jesus im Schlauchboot

Walsum · In der Kirche Sankt Dionysius in Walsum trägt die Heilige Familie Schwimmwesten. Doch warum ist das so?

 Erika und Helmut Kemper an der Krippe in Sankt Dionysius Walsum: Das Ehepaar hat früher Menschen aus der DDR geholfen, über die Grenze nach Westdeutschland zu flüchten.

Erika und Helmut Kemper an der Krippe in Sankt Dionysius Walsum: Das Ehepaar hat früher Menschen aus der DDR geholfen, über die Grenze nach Westdeutschland zu flüchten.

Foto: Martin Büttner

Maria liegt auf einer Rettungsweste in einem aufgeblasenen, gelben Schlauchboot. Sie hält das Jesuskind – es hat dunkle Haut – in ihren Armen. Neben dem Boot steht Josef, er trägt eine Schwimmweste. Die Heilige Familie begegnet den Besuchern der katholischen Kirche Sankt Dionysius in Walsum in Gestalt von Flüchtlingen. Hinter den drei Gestalten erhebt sich ein Bauzaun, gekrönt von Stacheldraht. Am Zaun hängen Bilder von Menschen, die sich auf der Flucht befinden, die Gesichter in Leid verzerrt. Ein Foto zeigt einen Retter, der ein lebloses Kind durch eine Trümmerlandschaft trägt, ein weiteres eine Mutter, die im Meer steht, ihr Kind in den Armen haltend. Auf einem der Bilder ist ebenfalls die Figur eines Jesuskindes zu sehen. Sie liegt auf einem Bett aus metallenen Patronenhülsen. An der Wand hinter dem Zaun hängt das Kontrastprogramm zu den Bildern von Flüchtenden: Ein bunt beleuchteter Weihnachtsmarkt, ein Haus, das übersät ist mit Lichterschmuck zu Weihnachtszeit. Aber man sieht auch Papst Franziskus, nicht als den menschenfreundlichen, nahbaren Vertreter Christi auf Erden, sondern inmitten der Renaissance-Pracht der Sixtinischen Kapelle sitzend. Es ist ein Kontrastbild zwischen dem Leid der Flüchtlinge auf der einen und dem Reichtum der westlichen Welt auf der anderen Seite, das sich bis in die Details fortsetzt: Am Fuße des Bauzauns liegen die Kronen der Heiligen Drei Könige, reicht geschmückt. Unter ihnen: Die Geschenke an den Heiland, in einer hölzernen Schatulle, samt Wundverbänden, Einweghandschuhen und Mullbinden.

Die Krippe der Walsumer Kirche hat überregionale Aufmerksamkeit erfahren. Eine Journalistin, die in der Gemeinde aufgewachsen ist, verbreitete über den Internetdienst Twitter Fotos von der besonderen Krippe, die tausendfach weiterverbreitet wurden. „Damit hätten wir nie gerechnet“, sagt Anne Hellwig, Küsterin der Kirche. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern hatte sich Pfarrer Werner Knoor das Konzept für die „Krippe der Gegenwart“ ausgedacht. „Es hat natürlich auch Kritik gegeben, aber ein Großteil der Reaktionen, die wir bekommen haben, ist sehr positiv“, sagt Anne Hellwig. Das hört man auch heraus, wenn man kurz den Menschen lauscht, die zur 16. Krippenerfahrung im Dekanat Dinslaken die Gelegenheit genutzt haben, sich selbst ein Bild von dieser besonderen Krippe zu machen. „Zeitgemäß“, sei sie, hört man da. „Damit hat man einen Nerv getroffen“, sagt eine andere Besucherin. „Das ist mal etwas ganz Anderes“, kommentiert ein Besucher.

 Klaus und Monika Otte betrachten Fotos in der Dionysius-Kirche. Sie halten die „Krippe der Gegenwart“ für eine gelungene Provokation.

Klaus und Monika Otte betrachten Fotos in der Dionysius-Kirche. Sie halten die „Krippe der Gegenwart“ für eine gelungene Provokation.

Foto: Martin Büttner

Aus Dinslaken sind Monika und Klaus Otte nach Walsum gekommen, gezielt um sich die besondere Krippe anzuschauen. „Das ist eine wunderbare Provokation“, sagt Klaus Otte. „Die Krippe zeigt uns, wie viel trotz aller Berichte und Bilder noch an uns vorbeigeht und wie viel mehr wir uns um diese Themen kümmern müssen“, sagt er. „Diese Gegenüberstellung vom Leid der Flüchtlinge und dem Reichtum der Kirche ist auch eine Provokation gegenüber der eigenen Obrigkeit“, kommentiert seine Ehefrau Monika die ungewöhnliche Darstellung. Beide finden diese Interpretation der Krippe sehr gut. „Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass es einige Menschen vor den Kopf stößt“, sagt Monika Otte.

Auch Erika und Helmut Kemper sind in die Kirche Sankt Dionysius gekommen, um sich die besondere Krippe anzuschauen. „Viele wollen eine gewöhnliche Krippe haben, die eine heile Welt zeigt. Wir finden das hier besser“, sagt Helmut Kemper. Er und seine Ehefrau halfen in Berlin in den 60er-Jahren Menschen, die aus der DDR flüchten wollten über die Grenze zu entkommen. „Wenn man das hier sieht, denkt man natürlich sofort wieder daran zurück“, sagt Erika Kemper. Für sie ist es wichtig, dass man den Menschen das Leid der Flüchtlinge auch in der Weihnachtszeit vor Augen führt. „Es kommen noch immer Tausende Menschen im Mittelmeer ums Leben und es ist wichtig, dass das gezeigt wird“, sagt sie. Gewagt findet sie die Darstellung trotzdem. „Ich glaube, dafür braucht man einen ziemlich modernen Pfarrer“, sagt Erika Kemper.

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