Dinslaken Hertie-Abriss ist Attraktion

Dinslaken · Fast immer stehen sie dort: Frauen und Männer, die stundenlang den Abriss von Hertie beobachten. Was treibt sie an, was wollen sie erleben? Ein Rundgang um das abgezäunte Abbruchgelände gibt Aufschluss.

Dinslaken: Hertie-Abriss ist Attraktion
Foto: Martin Büttner

Ein gewöhnlicher Tag mit ein paar Sonnenstrahlen reicht aus — mehr braucht es nicht, und Hertie wird zur Attraktion. Dann stehen 40, 50 Menschen, überwiegend Männer am Bauzaun. Sie gucken, staunen und fotografieren, was das Zeug hält. Es gibt gemütlichere Orte, ein Café zum Beispiel, wo einem der Duft von frisch gebrühtem Kaffee in der Nase liegt und nicht eine Wolke Staub. Was also treibt sie an, die Schaulustigen?

Dinslaken: Hertie-Abriss ist Attraktion
Foto: Angelika Barth

Erinnerungen an früher

 30 Jahre arbeitete Edith Wagner bei Hertie. Nun steht sie mit Ralf Mölken vor der Ruine.

30 Jahre arbeitete Edith Wagner bei Hertie. Nun steht sie mit Ralf Mölken vor der Ruine.

Foto: Martin Büttner

Überall in Deutschland schließen Kaufhäuser. Und auch in Dinslaken, war Hertie — zwischendurch Karstadt — ein Symbol für Kaufkraft, florierenden Einzelhandel und Gemeinschaft. Nur noch Schutt und Asche ist davon übrig. Keine Teppiche mehr, kein Parfüm, keine Schreibwaren oder Pralinen. Auch Marianne Perlbach steht auf dem Hans-Böckler-Platz und beobachtet, wie die Bagger ihre Abbruchzangen immer und immer wieder ins Mauerwerk schlagen, Decken einreißen, Wände zum Einsturz bringen. "Ich stelle mir gerade die Räume vor, wie das mal war", sagt sie. Früher hat Marianne Perlbach häufig im Hertie-Café gefrühstückt. Jetzt sieht sie zu, wie es dem Boden gleichgemacht wird.

Florian Wibbelhoff ist drei Jahre alt. An der Hand seines Opas kommt er zweimal die Woche an die Baustelle und staunt. Winfried Kroehnert, dessen Hand Florian hält, muss dann alles ganz genau erklären. Warum fährt der Lkw von A nach B und nicht umgekehrt, zum Beispiel. "Wenn Florian hier steht, vergisst er sogar am Lolli zu lutschen", sagt Kroehnert. "Im Kindergarten ist der Hertie-Abriss Thema Nummer eins." Hier arbeiten sie schließlich, die Riesenbagger, die es im Sandkasten nur als Modell gibt. 1968, drei Jahre nach der Eröffnung des Kaufhauses, begann Edith Wagner ihre Tätigkeit in dem Warenhaus. 30 Jahre blieb sie; nun steht sie an der Ruine und ist traurig. "Das tut schon in der Seele weh."

Ralf Mölken steht bei ihr. Er interessiert sich mehr für das Krachen und Kloppen, für die mächtigen Betonstücke, die unter ohrenbetäubendem Lärm zu Boden stürzen. "Das, was Männer halt interessiert", scherzt seine Begleitung. "Die Größe des Abrisses ist ungewöhnlich", erklärt Mölken. So etwas fasziniert, irgendwie. Vor 14 Tagen war er zuletzt dort, da gab es das Café noch.

Ein Fahrradfahrer hält am Zaun an. Schnell macht er ein Foto, neben ihm steht noch ein anderer. Für Hertie lohnt sich das Absteigen.

(her)
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