Interview: Reportage Am Montag Ein Kaplan macht die Kirche spannend

Dinslaken · Ein Gotteshaus birgt Geheimnisse, spannende Geheimnisse. Das Ziel einer "Mystagogischen Kirchenführung" ist es, diese zu lüften. Bernd Holtkamp hat das nun zum ersten Mal in der Sankt-Vincentius-Kirche am Dinslakener Altmarkt getan.

 Kaplan Bernd Holtkamp präsentiert während der Führung auch Glasschälchen mit Myrrhe, Weihrauch und Manna sowie liturgische Gefäße.

Kaplan Bernd Holtkamp präsentiert während der Führung auch Glasschälchen mit Myrrhe, Weihrauch und Manna sowie liturgische Gefäße.

Foto: Martin Büttner

Dinslaken Man muss kein gläubiger Mensch sein, um beim Betreten einer Kirche von der besonderen Atmosphäre gefangen genommen zu werden. Manchen wird die Architektur beeindrucken, manchen die Kunst, aber hinter der Ehrfurcht, die wir - zumindest die meisten - empfinden, wenn wir über die Schwelle eines Gotteshauses treten, steckt mehr. Etwas Diffuses, schwer Fassbares, was selbst vielen von denen, die oft und regelmäßig in die Kirche gehen, nicht bewusst ist. Etwas das da ist, das wirkt, das aber nur schwer in Worte zu fassen ist. Ein Geheimnis eben.

Und so erklärt sich dann auch der etwas sperrige Titel dessen, was Kaplan Holtkamp mit den gut 20 Besuchern an diesem Samstagmittag in der Sankt-Vincentius-Kirche unternimmt. Das Wort "mystagogisch" kommt aus dem Griechischen und hat zwei Wortbestandteile: "agogisch" kommt vom Verb "agogein" und heißt "führen"; "myst-" kommt von "mysterion", das "Geheimnis". Es geht also um die Einführung in das Geheimnis der Kirche. Und es wird spannend. Nicht zuletzt deshalb, weil Holtkamp nicht bloß referiert, sondern weil er die Besucher mitnimmt auf einen Weg durch Sank Vincentius, den sie mit all ihren Sinnen erleben können.

Ein Fläschen mit Chrisam wandert von Hand zu Hand. Es wird geschnuppert und gemutmaßt, welche Bestandteile das wohlriechende Salbungsöl enthalten könnte. Die Basis ist Olivenöl, Rosenöl und andere Zusatzstoffe sorgen für den angenehmen Duft. "Riecht wirklich gut", lautet das allgemeine Urteil. Hat aber auch eine tiefe Bedeutung. Der Kaplan erzählt von seiner Priesterweihe, bei der seine Hände gesalbt worden sind. Er berichtet davon, wo überall in der Kirche Spuren zu finden sind und was es bedeutet, dass sie mit dem Öl geweiht worden ist, dass dies ein ewiges Zeichen für die Anwesenheit Gottes ist, und warum es deswegen - theologisch gesehen - ganz schwierig ist, Gotteshäuser abzureißen oder umzunutzen. Auch bei der Taufe wird Chrisam benutzt, was Holtkamp dann zum Anlass nimmt, über unterschiedliche Taufrituale zu sprechen. Dass in der orthodoxen Kirche heute noch das Kind im Wortsinne untergetaucht wird, überrascht dann doch den ein oder anderen seiner Zuhörer.

Vom Taufbecken von Sankt Vincentius und der Klärung der Frage, warum es acht Ecken hat, geht's dann weiter durch die Kirche in Richtung Altar. Bevor die Gruppe den Altarraum und damit das Allerheiligste betritt, erfährt sie noch, dass dieser Zutritt früher nur Priestern gestattet war. Wie groß die Achtung vor dem Verbot war, den Altarraum zu betreten, macht Holtkamp mit einer Geschichte aus der Zeit des Nationalsozialismus klar. Als damals die katholischen Verbände und Vereinigungen verboten wurden, kamen Gestapo-Männer in eine Kirche im Kreis Steinfurt, um deren Fahnen und Symbole einzukassieren. Der Priester empfing sie vor dem Altarraum. Sie könnten die Fahnen gerne mitnehmen. Sie müssten sie sich allerdings selber holen. Sie stünden hinter dem Altar, sagte er ihnen. Die Gestapo-Leute zogen unverrichteter Dinge wieder ab. Sie hatten sich nicht getraut, das Verbot zu ignorieren.

Seit dem II. Vatikanischen Konzil ist der Altarraum für Normal-Gläubige nicht mehr tabu. Und so versammelt sich die Gruppe dann um den Altar von Sankt Vincentius und erfährt, warum dieser genauso wie das große Triumphkreuz, das über ihren Köpfen schwebt, Reliquien enthält. Kirchen - das bekannteste Beispiel dürfte wohl der Petersdom in Rom sein - wurden oft über den Gräbern von Heiligen gebaut. Was aber, wenn kein Heiligengrab zur Stelle war? Dann beschieden sich die Kirchenbauer eben mit Stückchen von einem Heiligen. Auf dem Altar hat Holtkamp die liturgischen Gefäße aufgebaut - und in einem Weihrauchfässchen glimmt Kohle. Die Besucher können dann auch selbst einmal richtig Dampf machen. Davon, die ebenfalls bereitstehenden Myrrhebröckchen statt des Weihrauchs zu benutzen, rät Holtkamp allerdings ab. Hat er selbst schon einmal ausprobiert. Stinkt erbärmlich. Zum Abschluss der mystagogischen Kirchenführung geht's dann noch an einen Ort, der gemeinhin auch verschlossen ist - die Schatzkammer von Sankt Vincentius.

Und wer jetzt meint, dass in dieser Reportage über das Aufdecken von Geheimnissen eigentlich kaum Geheimnisse aufgedeckt wurden, der hat recht. Ist aber Absicht. Denn das hätte allen, die noch nicht an dieser besonderen Art von Kirchenführung teilgenommen haben, einen Großteil an Spannung geraubt. Und das wäre schade, denn es gibt viel Spannendes zu entdecken. Das bestätigt auch das Künstlerehepaar Barbara und Alfred Grimm, das beim ersten Mal dabei war. "Ich habe ganz viel Neues erfahren", sagt Alfred Grimm, obwohl er sich doch nun wahrlich - man denke zum Beispiel an seine Kruzifix-Objekte - intensiv mit der Kirche und ihren Symbolen auseinandergesetzt hat.

Auch Peter und Gabriele Munzert aus Hünxe, die die Vinzenzkirche gut kennen, weil sie sie, wenn sie in Dinslaken sind, regelmäßig aufsuchen, sehen das so. "Als evangelischer Christ habe ich mich beim Besuch katholischer Gotteshäuser eigentlich oft gefragt, was der ganze Pomp soll. Das könnte man besser den Armen geben", erklärt Peter Munzer. "Nach dieser Führung sehe ich das Ganze mit etwas anderen Augen." Gesine Gerke und Ehemann Thomas sind ebenfalls angetan davon, "dass wir einmal hinter die Kulissen blicken konnten".

Ach ja, um dann doch noch ein Geheimnis zu lüften: Manna - auch das konnten die Teilnehmer der Führung probieren - ist eher geschmacklos. "Es schmeckt wie Kandis ohne Zucker", beschreibt Werner Sage sein Geschmackserlebnis beim Kosten der Harz-Klümpchen.

Wer nun neugierig geworden ist: Mystagogische Kirchenführungen bietet das Seelsorgerteam der Kirchengemeinde an jedem letzten Samstag im Monat - außer in den Schulferien - an. Treffpunkt ist jeweils um 12 Uhr am Eingang von Sankt Vincentius.

(RP)
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