Thema auch in Dinslaken Wenn Patienten in Metaphern sprechen – die Rolle der Kultur in der Medizin

Dinslaken · Immer wieder kommt es zu Missverständnissen zwischen Ärzten und Patienten mit Migrationshintergrund. Auch dann, wenn alle Beteiligten ihr Bestes geben, ihre Anliegen begreiflich zu machen. Ein Thema auch in Dinslaken.

 Im Patientengespräch kommt es oft auf Unter- und Zwischentöne an. Wenn Metaphern falsch gedeutet werden, die ein kranker Mensch verwendet, dann kann es mit der Anamnese schwierig werden.

Im Patientengespräch kommt es oft auf Unter- und Zwischentöne an. Wenn Metaphern falsch gedeutet werden, die ein kranker Mensch verwendet, dann kann es mit der Anamnese schwierig werden.

Foto: dpa-tmn/Mascha Brichta

Ein Migrationshintergrund wirkt sich auf viele Aspekte des Lebens aus. Auch und nicht zuletzt auf die Gesundheitsversorgung. Besonders durch die Corona-Pandemie sei die Thematik wieder in den Fokus gerückt, stellt Senol Keser fest, der Ingetrationsbeauftragte der Stadt Dinslaken. So gebe es Sprachbarrieren in Praxen und Krankenhäusern, aber auch unterschiedliche Vorstellungen von Gesundheit oder Prävention.

„Auch wenn es mittlerweile durch digitale Übersetzer eine Möglichkeit gibt, Sprachbarrieren zu überwinden, entstehen in der Praxis trotzdem Probleme“, so Keser. Das zeigte sich zum Beispiel bei einer Fortbildungsveranstaltung, die die Stadt im Sommer gemeinsam mit dem Evangelischen Klinikum Niederrhein auf die Beine gestellt hat. Es ging um Interkulturelle Kompetenz in der Medizin und das Verständnis von Krankheiten.

Als Referent war Kemal Gün in Dinslaken, Psychotherapeut und Integrationsbeauftragter der LVR-Klinik in Köln. Eines seiner Themen waren die so genannten „Organchiffren“. Dahinter verbergen sich echte Fallstricke im Kontakt zwischen Menschen, die unterschiedliche kulturelle und sprachliche Hintergründe haben. „Die Anamnese ist für den Arzt und für die Ärztin das Maßgebliche, um anschließend die Diagnose zu stellen“, erklärt Kemal Gün. „Wenn es aber schon bei der Anamnese eine falsche Interpretation oder Annahme gibt, dann wird auch höchstwahrscheinlich die Diagnose falsch werden, was wiederum nicht zur Heilung und zur Lösung des medizinischen Problems beiträgt.“

Kulturvergleichende Studien zeigten, dass es unterschiedliche Wahrnehmungen und Beschreibungen von Krankheiten, Schmerzen, Leiden et cetera gibt. So würden vor allem im muslimischen Sprachraum und insbesondere im Türkischen Leiden und Schmerzen oft in Metaphern ausgedrückt oder bildhaft dargestellt.

„Sagt zum Beispiel ein Patient auf Türkisch ,Kafayi üsüttüm’, dann würde das eins zu eins übersetzt heißen, dass er den Kopf erkältet hat. Das hat allerdings rein gar nichts mit einer Erkältung zu tun. Es bedeutet, dass es dem Patienten psychisch gar nicht gut geht und er kurz vor dem Durchdrehen ist“, so Gün.

„Oder die Aussage ,Yüregim yaniyor’. Übersetzen würde man das mit ,Mein Herz brennt’. Dabei bringt der Patient oder die Patientin Trauer, Trennungsschmerz oder Liebeskummer zum Ausdruck“, erklärt er weiter. „In der bildhaften und metaphorischen Beschreibung spielen vor allem die Organe Leber, Lunge, Herz oder der Kopf eine große Rolle.“ In der Kommunikation sei es enorm wichtig, Fragen zu stellen und sich als Arzt oder Ärztin zu vergewissern, ob man es nun gerade im aktuellen Fall und Kontext mit einer metaphorischen Beschreibung eines Problems zu tun hat oder nicht. „Das setzt aber voraus, dass man sich als medizinisches Personal mit diesen interkulturellen Themen schon mal auseinandergesetzt hat und dafür sensibel ist.“

Zwar hätten viele Krankenhäuser und Arztpraxen interkulturelles Personal, das im Notfall übersetzen könne. Aber die Kenntnis der kulturellen oder auch religiösen Hintergründe sei eben nicht immer da.

Dass das tatsächlich immer wieder zu Problemen führt, erlebe er in seiner persönlichen und beruflichen Erfahrung, betont Dinslakens Integrationsbeauftragter Senol Keser. Wobei man nicht in jedes Missverständnis grundlegende Unterschiede hineininterpretieren müsse: „Alles auf die Kultur zu schieben, ist auch nicht richtig“, sagt er. Aber: „Das Problem gibt es definitiv.“

Und es tritt seiner Erfahrung nach gerade in diesen Jahren in Erscheinung. Denn jetzt kämen die Menschen der ersten und zweiten Einwanderer-Generation in ein Alter, in dem sie häufiger unter gesundheitlichen Problemen leiden. Und gerade diese Menschen seien es, die häufig schlecht Deutsch könnten. Ein Problem, das sich für sie nicht mehr durch Sprachkurse lösen lasse, geschweige denn durch die simple Forderung, dass sie halt Deutsch hätten lernen sollen: „Da ist einfach politisch viel versäumt worden“, so Kaser. „Ich plädiere dafür, dass es für Krankenhäuser einen Sprachmittlerpool geben sollte. Ich weiß, das wäre nicht ganz kostengünstig. Aber sinnvoll wäre das auf jeden Fall.“ Ansonsten sei allein das Wissen darum, dass es zu kulturell bedingten Missverständnissen kommen kann, ein großer Schritt.

(szf)
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