Dinslaken „In Heinrich V. ist alles drin“

Dinslaken hat seit einiger Zeit einen idyllischen Lesegarten an der Stadtinformation. Die Rheinische Post trifft sich dort mit Lesern und spricht mit Ihnen darüber, was sie lesen: diesmal mit dem Pressesprecher der Stadt.

 Stadtpressesprecher Marcel Sturm liest immer mal wieder Shakespeare Heinrich V.

Stadtpressesprecher Marcel Sturm liest immer mal wieder Shakespeare Heinrich V.

Foto: mb/Martin Bürttner

Herr Sturm, welche Lektüre haben Sie mitgebracht?

Marcel Sturm Heinrich V. von William Shakespeare.

Schwere Kost für einen heißen Sommer. Warum gerade dieses Drama?

Sturm Wie zum Beispiel „Faust“ von Goethe ist das ein Stück, das ich immer mal wieder lese. Auf Heinrich V. bin ich allerdings nicht über die Literatur gestoßen, sondern über den Film. Ich war etwa 18 Jahre alt, da zeigte das ZDF die Verfilmung mit Kenneth Branagh. Ich hatte gerade einen neuen Videorekorder und habe das aufgezeichnet. Dann kam ich übermüdet von einer Klassenfahrt zurück, dachte, das guckst Du Dir jetzt mal an. . . und bin eingepennt. Dann hab ich den Film zwei Wochen liegen lassen, mich schließlich doch aufgerafft, ihn mir angeschaut und dachte: Mein Gott, was ist das ein Hammer. Wie der Typ spielt! Und auch diese Übersetzung ins Deutsche, die sich ganz dicht ans Original hält, fand ich total super. Ich habe den Film seitdem, denke ich, mindestens 25. Mal gesehen. Es gibt keinen Film, den ich mir so oft angeguckt habe. Jahre später habe ich dann das Stück zum ersten Mal gelesen, das ich ja von der Filmfassung quasi schon in- und auswendig konnte. Ich hatte auch schon andere Sachen von Shakespeare gelesen. „Hamlet“, „Romeo und Julia“ und fand die Stücke auch immer toll.

Warum sind Sie dann gerade bei Heinrich V. „hängengeblieben“?

Sturm Die Antwort, die ich darauf gebe, ist eine, die ich vermutlich bei jedem Shakespeare-Stück geben könnte. Und zwar: Weil da alles drin ist, wirklich alles. Heinrich V. – da geht’s um Liebe. Wie Heinrich mit Katharina von Frankreich anbändelt und wie humoristisch Shakespeare das darstellt. Wie Heinrich versucht, Französisch zu sprechen und sie auf der Lautebene eigentlich nichts versteht, aber auf der Gefühlsebene alles. Shakspeare entfaltet das als wunderbare Romanze, obwohl es ja eigentlich eine Pflichthochzeit ist. Dargestellt wird also eine romantische Liebe, aber auch die tragische Liebe, die vom Krieg zerrissen wird, wenn die jungen Männer, die mit Heinrich in den Krieg nach Frankreich ziehen, sich von ihren Frauen verabschieden und man ahnt, dass sie sich nicht wiedersehen werden. Shakespeare stellt beides grandios dar, das Glorifizierende, das auf der Königsebene passiert, genauso wie das Derbe, Brutale auf der tieferen Ebene. Das ist faszinierend. Nicht zuletzt finde ich, dass Heinrich V. ein fantastischer Ratgeber für Führungskräfte ist. Jedes Seminar zu diesem Thema ist eigentlich eine Wiederholung dessen, was Shakespeare ausdrückt.

Und woran machen Sie das genau fest?

Sturm Heinrich V. muss sein Volk motivieren, für ihn in den Krieg zu ziehen, und hält glorreiche Reden, obwohl er sich selbst als Führungskraft innerlich zermartert. Da gibt es diese Schlüsselszene, in der er sich nachts am Lager in Frankreich im tiefen Wald, verhüllt mit einer Kapuze, unerkannt unter seine Untertanen mischt, um einfach zu hören, wie die über ihn reden, was die wirklich denken. Heinrich setzt sich ganz ehrlich und unbarmherzig sich selbst gegenüber damit auseinander, was seine Leute von ihm erwarten. Aus dieser Szene lassen sich so viele Erkenntnisse ziehen, wo ich sage, das muss jede Führungskraft lesen. Pflichtlektüre! Total spannend!

Zu den berühmtesten Szenen des Stücks gehört ja tatsächlich die Saint-Crispian`s-Tag-Rede.

Sturm Die Rede, die er hält, bevor er mit seinen Männern in die entscheidende Schlacht von Azincourt zieht. Die habe ich mir im Film auch mehrfach als Einzelsequenz angesehen. Diese fünf Minuten, wo er vor seinen Untertanen steht und alle motiviert, um ihnen deutlich zu machen, dass es nun in die endgültige Schlacht geht, in der es um alles geht, um das Land und nicht um einen allein. Heinrich V. gelingt es dabei deutlich zu machen, dass er auch als König nur einer von vielen ist und dass der Sieg nur gelingen kann, wenn alle dazu beitragen. Er nimmt sich völlig zurück und zeigt damit gleichzeitig, wie wichtig er als Anführer ist.

Bei Shakespeare ist Heinrich V. ja schon ein arger Überheld, der gute König schlechthin Passt so einer noch als Vorbild in die Zeit ?

Sturm Nein, aber das ist eben Literatur. Der wirkliche König war sicherlich nicht die Gestalt, zu der Shakespeare ihn glorifiziert. Die Figur dient Shakespeare als Plattform, Botschaften zu setzen. Er stellt ja auch dar, wie Heinrich als „wilder Prinz“ gesoffen und gehurt hat. Wichtig aber ist eben, dass Shakspeare die Wandlung zeigt, die Heinrich durchmacht – hin zu einer Führungspersönlickeit, die von den eigenen Befindlichkeiten absieht.

Heinrich schlägt allerdings, wenn man sich etwa ansieht, wie die Franzosen dargestellt werden, auch sehr patriotische, um nicht zu sagen chauvinistische und nationalistische Töne an.

Sturm Ja, aber das ist Shakespeare generell, da ist er auch ein Kind seiner Zeit. Wenn man aber einmal von diesen ganzen Nationalismen absieht und das Stück zurückführt auf die Grundkonstellationen und Grunddramen, die wir Menschen alle jederzeit in unserem Leben durchmachen, da findet man erstaunlich viel Gültiges. Da blende ich diese Oberflächlichkeit weg. Wenn man Muster und Grundkonflikte des menschlichen Lebens sucht, findet man diese definitiv in Shakespeares Stücken.

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